Susanne Picard

Elfenzeit 7: Sinenomen


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sie weiße Watteflöckchen, und der Wind wehte leises Blöken herüber. Rian stand auf dem höchsten Punkt der weiten Schafweide. Dahinter erhoben sich unverkennbar Palmen.

      Bis vor kurzem war sie auch in der Nähe eines Meeres gewesen, mit Schafweiden … und einem riesigen Gletscher. Island. Doch im Gegensatz zu dort war es hier warm, die Farben intensiv. Alles, was recht war – der Getreue hatte sie tatsächlich in Sicherheit gebracht, und außerdem an einen anheimelnden Ort. Aber warum nicht nach Hause, zum Baum der Crain? Hatte er etwa schon wieder etwas mit ihnen vor?

      »Was für ein seltsamer Landstrich«, murmelte sie stirnrunzelnd. »Eine Schafweide mit Palmen. Wo gibt es so etwas wohl in der Menschenwelt?«

      »Was weiß ich«, knurrte es auf einmal unterhalb von ihr, hinter einer Düne vor dem Strand. Rian stieß einen erschrockenen Laut aus, verlor den Halt und sank zu Boden. Ihr Herz raste. »David! Bist du das?«

      »Wer denn sonst?«, ließ sich die Stimme erneut vernehmen, jetzt schon näher. Dann stolperte er um die Düne, stapfte mit erschöpftem Gesicht zu ihr hoch und ließ sich neben ihr hinplumpsen. »Schön, dass du dich wieder an mich erinnerst.«

      Rian hob die Augenbrauen. »Ich konnte spüren, dass du lebst, und hätte mich als Nächstes nach dir auf die Suche gemacht – aber zuerst mal musste ich selbst zu mir kommen und mich orientieren«, erwiderte sie.

      David warf ihr einen ungnädigen Blick zu. »Dafür, dass du erst letzthin noch rumgejammert hast, dass du mich an Nadja und meinen Sohn verlierst, bist du jetzt ziemlich gelassen.«

      Rian schwieg. Eine Weile sagte keiner von beiden ein Wort.

      »Ich habe wirklich Angst. Ich spüre, dass du mir entgleitest, David«, offenbarte sie schließlich. »Das gilt immer noch. Aber als ich aufgewacht bin, hatte ich nicht dieses Gefühl. Ich wusste, du bist in der Nähe und ich muss keine Sorge haben.« Sie machte eine Pause und suchte wieder nach Worten, die sie nicht fand. Es hilft nichts. Ich kann nicht andauernd darüber nachdenken, ob ich David irgendwann einmal verliere. Was auch immer mit ihm passiert, weil es Nadja in seinem Leben gibt, das Band zwischen uns wird nie zerreißen. Aber jetzt und hier ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.

      Sie spürte Davids fragenden Blick auf sich. Trotzdem – sie hatte keine Lust, ihm Rede und Antwort zu stehen. Sie hatten wichtigere Probleme. Wo sie sich befanden, was mit Nadja und den anderen war, was überhaupt auf Island geschehen war. Die Welt existierte noch, also musste irgendjemand Fenrir und Ragnarök aufgehalten haben. Sie sollten daher zusehen, dass sie so schnell wie möglich nach Hause kamen. Doch dazu mussten sie erst einmal ein Portal finden …

      »Also, was meinst du, wo wir sind?«, fragte Rian scheinbar leichthin.

      »Ich weiß es nicht«, antwortete David. »Ich habe so eine Landschaft noch nie gesehen. Es ist nicht im Entferntesten wie zu Hause, oder Island, auch wenn es Schafe gibt. Aber die Palmen da hinten …«

      »Ich glaube, wir sind gar nicht mehr in Europa«, murmelte sie. »Schafe und Palmen … das muss weit weg sein, vielleicht in Indien …«

      »Da gibt’s Dschungel.«

      »Keine Palmen?«

      Er zuckte die Achseln.

      »Was dann? Amerika?«

      »Nee. Darüber hat mir Robert so manches erzählt.«

      »Du bist nicht sehr hilfreich!«, beschwerte Rian sich.

      David grinste leicht. »Ich vermute, wir sind auf einem anderen Kontinent, aber nicht Amerika. Sondern wieder eine Insel. Irgendwo in der Südsee, oder Afrika …«

      »Australien?«

      Sie sahen sich an und prusteten los, steigerten sich in hysterisches Gelächter.

      »Wir sind also gestrandet«, fing Rian schließlich wieder von vorn an. »Der Getreue hat uns gerettet und wie üblich keine Wegbeschreibung mitgegeben.«

      David nickte, seine Miene verfinsterte sich. »Ich wollte, dass er Nadja und meinen Sohn rettet! Aber ich hätte wissen müssen, dass er sich nicht daran hält!«

      »Du denkst, er hat Nadja und Talamh nicht …«

      »Ich weiß nicht, was er getan hat. Wann weiß man das schon je bei ihm! Nichts passt mehr zusammen.«

      Sie legte die Hand auf seinen Arm. »David, der Getreue hat seine Königin verraten, als er Nadja von Irland wegbrachte. Er will nicht, dass ihr etwas geschieht, aus welchem eigennützigen Grund auch immer. Doch er will Nadja und Talamh lebend. Also hat er sie bestimmt wieder rechtzeitig in Sicherheit gebracht.«

      »Aber wohin diesmal?« Er schlug auf den Boden und riss Grasbüschel aus. »Seit Monaten bin ich von ihr getrennt, Rian! Ich habe meinen Sohn noch nicht einmal im Arm gehalten und ihn weniger als zwei Minuten gesehen! Ich ertrage das bald nicht mehr!« Er sprang auf, wandte sich von ihr ab und starrte aufs Meer hinaus.

      Rian blieb einen Moment sitzen, versuchte zu verstehen, was ihn so sehr bewegte. Die Liebe war ihr fremd, nach wie vor, und dass David auf einmal so ungeduldig war … es musste an der Zeit liegen, am Bewusstsein, dass er sterblich war und eine Seele in ihm heranwuchs. Ihr Bruder glich sich immer mehr den Menschen an, hatte Zeitnöte, Sorge, dass er nicht mehr hinterherkam …

      Aber was konnte sie für ihn tun?

      Doch, da gab es etwas. Sie stand auf. »Pass auf, David. Der Elfenkanal ist durchlässiger geworden, seit Bandorchu den Stab beim Ätna gesetzt hat. Ich werde versuchen, etwas herauszufinden. Vielleicht erfahren wir so, ob Nadja und Talamh in Ordnung sind.«

      David schwieg, aber er warf seiner Schwester einen dankbaren Blick zu. Rian wandte sich ab und schloss die Augen. Sie konzentrierte sich und blendete die strahlende Sonne, das Rauschen des Meeres und das Kreischen der Möwen aus.

      Ihre Sinne dehnten sich aus. Doch sie konnte keinen Kontakt herstellen. »Kannst du denn deinen Sohn nicht spüren?«, fragte sie leise.

      »Natürlich«, antwortete er. »Er ist überall. Lausche in dich hinein, du kannst ihn auch wahrnehmen. Doch das ist sein Geist. Ich weiß nicht, ob sein Körper unversehrt ist, und ich kann Nadja nirgends finden. Du warst in diesen Dingen sowieso immer besser als ich.«

      Daraufhin dehnte sie ihre Sinne erneut aus. Vielleicht konnte sie erfassen, wie die Schlacht ausgegangen war. Verluste – es hatte Verluste gegeben. »Schlimme Verluste«, murmelte sie kaum hörbar. »Ich weiß nicht, ob es unsere Seite oder die der anderen betrifft.«

      »Alle Seiten«, erwiderte David. »Zuletzt mussten alle gegen Fenrir antreten, und wer weiß, wie viele Opfer er gefordert hat.«

      Rian verzog das Gesicht und rieb ihr lädiertes Knie. »Das nächste Problem ist – in erreichbarer Nähe gibt es kein Portal.«

      »Jede Wette, der Getreue hat es genau darauf angelegt, um uns so lange wie möglich hierzubehalten. So weit wie möglich weg von allem Geschehen.«

      »Also dann, gehen wir einfach los und finden heraus, wo wir sind, und wie wir von hier wegkommen. Eins nach dem anderen.«

      Ihre Knieverletzung machte das Gehen schwer, sie war kaum in der Lage, es abzuknicken und es schwoll zusehends an. Aber auch die tiefe Schnittwunde an Davids Arm, die sie ebenfalls spürte, begann jetzt stärker zu schmerzen. Sie hörte ihren Bruder hinter sich leise vor sich hinfluchen, aber sie achtete nicht darauf. Ihrer Erfahrung nach würde es besser sein, über etwas Unwichtiges zu plaudern, damit er abgelenkt wurde. Sie schwelgte in Erinnerungen über Paris und ihren Job als Model dort, wie umschwärmt sie gewesen war von allen bedeutenden Modeschöpfern dieser Welt, hatte immer die angesagtesten Klamotten tragen können, Nougat und Glitzerschmuck kaufen … »Sie lagen mir alle zu Füßen.«

      Erwartungsgemäß ließ David einige gepfefferte Sätze über Pariser In-Modeschöpfer fallen, die sowieso alle dekadent seien und immer genau das Falsche für wirklich schön hielten und überhaupt nie in der Lage seien, sowohl funktionale als auch schöne und zeitlose Mode zu kreieren.

      Als