Susanne Picard

Elfenzeit 7: Sinenomen


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war vor einem der Häuser geparkt.

      Aus dem Inneren des Zentralgebäudes erklang jetzt Gesang.

      »Na«, murmelte Rian. »Es gibt Menschen. Und es sieht so aus, als haben sie auch ein Telefon.«

      »Wie kommst du darauf?«,

      Rian wies auf die Leitungen, die von einem der kleinen Häuser über die Hügel davon führten. »Es gibt Strom«, sagte sie. »Und Handys gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt, zumindest hat Robert mir das erzählt.«

      »Wir müssen sehr weit von zu Hause sein«, bemerkte David. »Sieh dir die Schnitzereien an! Ich habe mal vor langer Zeit, als Kind, einen Zauberstab mit ähnlichen Verzierungen gesehen, den ein Bote unserem Vater als Geschenk brachte. Der Mann war sehr groß und überall tätowiert gewesen. Statt Haare wuchsen farbenprächtige Blumen auf seinem Kopf, auch die Füße waren damit bedeckt, und seine Leibesmitte, sodass er keine Kleidung brauchte.«

      »Lapui!«, rief Rian und schlug die Hände zusammen. »So hieß er, ich erinnere mich! Er konnte unglaubliche Dinge mit seiner Zunge anstellen, Sachen balancieren und all so was! Ich habe mich zuerst ziemlich vor ihm gefürchtet, aber meine Vögel fühlten sich in seinen Blumen wohl. Er war ein sanfter Riese, also nicht so groß wie Vater, aber doch fast, und nicht so finster … und er wusste viele Geschichten aus …«

      »… Puauta«, setzte David fort. »Das Blumenreich!«

      Die beiden sahen sich staunend an.

      »Himmel«, bemerkte der Prinz dann. »Wir sind wirklich weit fort! Der Getreue hat einen ziemlich schrägen Humor. Wieso schickt er uns ausgerechnet hierher?«

      »Falls er es wusste«, bemerkte Rian, »und das steht nicht unbedingt fest, denn bei dem Durcheinander kann er sich auch vertan haben – jedenfalls, wenn es Absicht war, dann will er irgendwas von uns.«

      »Oder er nahm an, dass der Weltuntergang nicht bis hierher reichte.«

      »Dann erst recht.«

      David grübelte. »Weißt du, wie die Menschenseite von Puauta heißt?«

      »Keinen blassen Schimmer.«

      »Also gehen wir runter und finden es heraus«, schlug David vor.

      Der Abhang zu dem kleinen Dorf hinunter war steil und daher für das verletzte Geschwisterpaar nicht leicht zu überwinden.

      Unten angekommen blieb Rian für einen Moment keuchend stehen und hielt sich erschöpft an David fest. Er spannte sich schweigend an, um ihr als Stütze zu dienen. Dankbar schöpfte sie Atem, bevor sie gemeinsam auf das Haus zu humpelten.

      4.

       Wahrheit oder Pflicht

      Sie schliefen nicht. Nadja döste ein wenig und wiegte dabei Talamh, Robert lag auf seinem Feldbett, die Arme unter dem Kopf verschränkt und lauschte Annes Atemzügen. Einige Male, als er hörte, wie Nadja sich aufsetzte und ihren Sohn fütterte, war er kurz davor, ihr zu sagen, was mit ihm geschehen war, aber er fand immer einen Grund, es doch nicht zu tun.

      Irgendwann wurde es lauter im Dorf. Die Feuer, die über Nacht niedergebrannt waren, wurden wieder entzündet, Elfen bereiteten das Frühstück vor oder trugen volle Wassereimer von einer unterirdischen Quelle zu den Trögen, in denen sich andere wuschen. Robert konnte sie durch das Fenster beobachten.

      Er sah auf seine Armbanduhr. Es war elf Uhr, aber auf dem analogen Zifferblatt ließ sich nicht erkennen, ob abends oder morgens gemeint war. In den Höhlen verlor man jegliches Zeitgefühl.

      Er schlug die Wolldecke zurück, setzte sich auf und fuhr sich zweimal mit der Hand durch die Haare. Dann strich er sie glatt.

      Nadja grinste ihn an. »Katzenwäsche?«

      Er grinste zurück. »Besser als mit den Elfen am Trog stehen.«

      Neben ihm setzte sich Anne auf. Der Feuerschein, der durch das Fenster fiel, tauchte ihr Gesicht in ein weiches, klares Licht. Ihre Schönheit traf ihn so unvorbereitet, dass er einen Moment nur da saß und sie anstarrte. Sie schien seine Blicke nicht zu bemerken, vielleicht tat sie aber auch nur so. Mit einer fließenden Bewegung erhob sie sich. Das lange Haar fiel ihr über die Schultern.

      Erst das Öffnen der Tür riss Robert aus seinen Gedanken. Ein Elf, den er bisher nicht gesehen hatte, stand im Türrahmen. Er hatte lange spitze Ohren und einen Schnabel anstelle eines Mundes.

      »Catan wünscht euch zu sprechen«, sagte er klappernd. Dann drehte er sich um und verschwand. Die Tür ließ er offen.

      Nadja nahm Talamh aus der Wiege. Sie hatte ihn in eine frische Decke gewickelt.

      »Sobald ich die Möglichkeit zur Flucht sehe, werde ich sie ergreifen«, sagte sie. »Ich habe mir den Weg, den wir gekommen sind, eingeprägt.«

      Robert nickte und stand auf. »Ich bin dabei.«

      Zu seiner Überraschung nickte Anne ebenfalls.

      Catan saß an der gleichen Feuerstelle wie am Vorabend. Neben ihm lagen ein Stapel Brennholz und einige kleine Zweige. Er schichtete die Zweige in der Glut auf und pustete hinein, bis erste Flammen am Holz leckten. Als Roberts Schatten über ihn fiel, stand er auf.

      »Wir müssen uns unterhalten«, sagte er. Sein Blick fiel auf Talamh, der in Nadjas Armen lag und aus großen Augen die Umgebung betrachtete. »Kommt.«

      Er führte sie von den Feuern weg zum Rand des Dorfs. Robert sah einen Tunnel zwischen aufeinander gestapelten Kisten und Holzabfällen. Zwei Elfen folgten ihnen in einigem Abstand und blieben erst stehen, als Catan sie mit einer Geste dazu aufforderte. Sie waren außer Hörweite, beobachteten jedoch alles. Der Laubelf war einer von ihnen, der andere hatte eine schuppige, graue Haut und ging gekrümmt.

      Catan verschränkte die Arme vor der Brust. Er war komplett in dunkles Leder gekleidet. Es knarrte bei jeder Bewegung.

      »Ich habe einiges über den Elfenkanal erfahren«, sagte er. »Bandorchu hat die Ereignisse auf Island überlebt.«

      Anne verzog keine Miene.

      »Sie erholt sich in ihrem neuen Schloss in Tara«, fuhr Catan fort. »Fanmór hat ebenfalls überlebt und sich in sein Reich zurückgezogen.«

      »Was ist mit dem Getreuen?«, fragte Anne.

      »Ich weiß nichts über ihn.«

      »Und was ist mit meinen Eltern, und David und Rian?« Nadjas Stimme zitterte.

      »Ich habe nicht nach ihnen gefragt. Sie haben keine Bedeutung für mich.« Catans Stimme klang plötzlich kalt und fremd. Jegliche Wärme war daraus verschwunden. »Andere Dinge sind wichtiger, so zum Beispiel, dass Bandorchu ein erhebliches Kopfgeld auf dich ausgesetzt hat.«

      »Kopfgeld?« Nadja zuckte zusammen und wich zurück, bis sie gegen einen Kistenstapel stieß.

      Catan lächelte. »Ihr Angebot ist wirklich verlockend. Wie du siehst, leben wir hier unten nicht gerade wie Könige. Mit dem Geld könnte ich meiner Sippe vieles ermöglichen.«

      Er sah Anne an. »Es ist soviel, dass man es sogar teilen könnte, sollte sich die Gelegenheit ergeben. Ich bin in der Anderswelt nicht mehr willkommen. Wenn ich sie ausliefern wollte, bräuchte ich eine Fürsprecherin, die mir den Weg zu Bandorchu ebnet. Wir gehören zum gleichen Stamm, Anne. Daher halte ich es für angemessen, wenn du mich in dieser Angelegenheit unterstützen würdest.«

      Robert traute seinen Augen nicht, als Anne langsam den Kopf neigte. Fassungslos ergriff er ihren Arm, so als könne er mit der Geste ihre Gedanken unterbrechen.

      »Du denkst doch nicht etwa ernsthaft darüber nach?«

      »Natürlich tu ich das«, entgegnete sie. »Wenn das, was er sagt, der Wahrheit entspricht, dann wäre das Angebot sehr vorteilhaft für ihn. Und es wäre meine Pflicht, ihn zu unterstützen.«

      »Wir reden hier über Nadja!« Robert wollte sie schütteln, wollte das Eis aus ihren Gedanken schlagen und die