Susanne Picard

Elfenzeit 7: Sinenomen


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einem großen Saal im ersten Stock. Artair ließ sich entschuldigen und die Diener, die an den Wänden standen, redeten kaum mit ihnen, beobachteten sie aber neugierig. Das Essen war einfach, Brot, Gemüse, ein wenig zähes Fleisch. Nadja aß ohne große Lust, während Anne in ihrer Mahlzeit stocherte und Robert behauptete, er würde fasten. Das schien niemanden zu stören.

      Als es dunkel wurde, zogen sie sich in ihre Zimmer zurück. Anne und Robert teilten sich eins, Nadja entschied sich für ein anderes, das genau gegenüber lag. Das Bett war breit und weich, es lagen so viele Kissen darauf, dass sie kaum Platz fand. Durch ein kleines Fenster in der mit Wandteppichen verhangenen Wand konnte Nadja auf einen Innenhof und einige Ställe blicken. Sie war froh, dass das Fenster nicht zum Marktplatz hinausging.

      Sie träumte von Talamh in dieser Nacht. Er lag auf einer Decke im Gras und sah sie aus großen Augen an. Nadja wollte nach ihm greifen, aber etwas hielt sie zurück. Sie konnte nicht zu ihm, egal, wie sehr sie sich anstrengte.

      »Mach dir keine Sorgen«, sagte Talamh, ohne die Lippen zu bewegen. »Mir wird nichts passieren.«

      Nadja öffnete die Augen. Es war hell. Sie glaubte, die Sätze immer noch zu hören. Sie hallten durch ihre Gedanken, wärmten sie und gaben ihr Kraft.

      Unter ihrem Fenster wieherte ein Cosgrach. Sonnenstrahlen warfen ein Muster auf den dunklen Fußboden. Nadja setzte sich auf. Es ging ihr besser.

      Sie wusch sich in einer Schüssel mit Wasser und Seife, die nach Feigen roch. Jemand klopfte an ihre Tür. »Statthalter Artair erwartet Euch zum Morgenmahl«, sagte eine Stimme.

      »Danke.« Nadja trocknete sich das Gesicht ab. Wenig später hörte sie ein Klopfen an der gegenüberliegenden Tür und die gleiche, noch dumpfer klingende Stimme.

      Nadja fuhr sich mit den Händen durch die Haare, zog ihre Jacke über und verließ das Zimmer. Robert und Anne standen bereits im Gang. Beide sahen nicht so aus, als hätten sie viel geschlafen.

      »Morgen«, sagte Robert, als er Nadja sah. »Du siehst ja gut gelaunt aus.«

      »Ich habe von Talamh geträumt. Es geht ihm gut.«

      Ihr entging der Blick nicht, den Anne ihr zuwarf. »Es war nicht nur ein Traum. Ich habe seine Stimme gehört. Ihr wisst, dass er dazu in der Lage ist.«

      »Das stimmt, und es freut mich sehr, das zu hören«, sagte Robert, bevor die Muse etwas anderes antworten konnte.

      Sie trafen Artair in dem großen Saal, in dem sie auch das Abendessen zu sich genommen hatten. Er saß am Kopfende des Tischs und aß kaltes Huhn von einer Holzplatte. Mit einem Messer zeigte er auf die Stühle rechts und links von ihm. Robert nahm Platz, Anne schob sich rasch an Nadja vorbei und glitt auf den Stuhl neben ihn. Nadja schüttelte den Kopf und setzte sich auf die andere Seite des Statthalters.

      »Ich hoffe, der Schmied hat über eure Nachtruhe gewacht«, sagte Artair kauend. Es klang wie eine traditionelle Begrüßung.

      »Das hat er«, antwortete Nadja. Diener stellten Holzplatten auf den Tisch und Krüge mit einer dampfenden, bräunlichen Flüssigkeit. Sie zögerte, bevor sie danach griff.

      »Kennt man bei euch etwa keinen Honigtee?«, fragte Artair.

      Gleichzeitig schüttelten sie den Kopf.

      »Was für ein seltsames Land.«

      Er lehnte sich zurück. An diesem Morgen trug er keine Rüstung, nur ein helles Hemd und eine braune Lederhose. Er war barfuß und hatte dunkle Ringe unter den Augen.

      Der Geruch des Huhns ließ Nadjas Magen knurren. Zum ersten Mal, seit sie Island verlassen hatten, war sie wirklich hungrig.

      »Du isst nicht?«, fragte Artair mit einem Blick auf Robert. Der stellte den Krug, aus dem er gerade getrunken hatte – oder zumindest so getan hatte, als würde er trinken, dachte Nadja –, ab. »Nein. Ich faste noch bis zum Abend. Das machen wir gelegentlich dort, wo wir her kommen.«

      Artair nickte. »Verstehe.«

      Er begann mit dem Messer zu spielen, das auf dem Holzbrett vor ihm lag, wirkte ebenso nachdenklich wie ungeduldig. Als Nadja den letzten abgenagten Knochen zurücklegte, nickte er den Dienern zu, als habe er nur auf diesen Moment gewartet.

      »Räumt ab und schließt die Tür hinter euch.«

      »Ja, Statthalter«, sagte der Älteste von ihnen. Zu dritt schoben sie die Bretter zusammen, nahmen die Messer vom Tisch und verließen den Saal. Nur die Krüge ließen sie stehen.

      Artair sah sich um, dann stand er auf und schloss eines der Fenster, durch die man über die Dächer der Stadt bis zu den Mauern sehen konnte, die sie umgaben. Es war ein windstiller Morgen. Staubfahnen bewegten sich träge durch die Luft.

      »Ich habe die ganze Nacht gebetet«, sagte Artair. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. »Als ich gestern Las’wogg verließ, war ich auf dem Weg in den Tod. Ich suchte nach Flammenrittern, um mich ihnen im Kampf zu stellen und zu sterben. Ich dachte, selbst der Tod müsse besser sein als das.«

      Er deutete mit dem Kopf nach draußen, als sei der Anblick der Stadt und der Ebene Erklärung genug. »Doch dann kamt ihr, Fremde auf der Suche nach einem Kind, auf der Suche nach Hilfe. Ich fragte mich, weshalb euch der Schmied geschickt haben könnte. Also betete ich um eine Antwort. Und heute Morgen bekam ich sie.«

      »Oh-oh«, hörte Nadja Robert leise sagen.

      Artair lächelte. »Ihr seid ein Zeichen. Der Schmied hat euch mir gesandt, als er erkannte, dass ich seine Prüfungen nicht länger ertragen konnte, dass es Zeit für die letzte große Aufgabe ist.«

      »Und die wäre?«, fragte Anne. Ihr Misstrauen war nicht zu überhören, aber Artair ging nicht darauf ein. Seine Worte klangen wie die eines Wahnsinnigen, aber er wirkte ruhig.

      »Ihr werdet«, fuhr er fort, »zum Mittagsgebet mit mir zusammen vor die Betenden treten. Ihr werdet erklären, dass der Schmied euch geschickt hat, um mir etwas mitzuteilen.«

      »Was?« Annes Stimme klang schärfer.

      »Dass wir die Stadt aufgeben und den Teufel von seinem Berg vertreiben müssen. Wir haben keine …«

      Ein langgezogener klagender Laut unterbrach ihn, war selbst durch die geschlossenen Fenster noch zu hören. Im ersten Moment dachte Nadja, es wäre der Schrei eines verwundeten Cosgrachs, doch dann erkannte sie, dass es sich um ein Horn handelte. Ein zweites kam hinzu, ebenso klagend und laut.

      Artair fuhr herum und riss das Fenster auf. In der Ferne wehte eine Staubwolke heran.

      »Verlasst sofort den Palast«, sagte der Statthalter, als er sich wieder zu ihnen umdrehte.

      Robert war bereits aufgestanden, zögerte nun jedoch. »Warum?«

      »Weil der Palast ein beliebtes Ziel ist.« Mit langen Schritten ging Artair auf die Tür zu und riss sie auf. »Alles raus!«, brüllte er in den Gang hinein. »Die Flammenritter greifen an!«

      8.

       Rettungen

      »Ich bin sehr ungern ein Zeichen«, sagte Robert, als sie die Stufen des Palastes hinunterliefen. Soldaten schoben Karren voller Waffen an ihnen vorbei. Aus den Gassen strömten Elfen auf den Marktplatz, nahmen sich Bögen und Köcher voller Pfeile. Andere füllten Eimer mit Sand und stellten sie in langen Reihen auf. Artair war auf einen der Galgen gesprungen und brüllte Befehle, die in den Flüchen und Rufen um ihn herum unterzugehen drohten.

      Robert warf einen Blick in den Himmel, erwartete fast schon, Steine und brennende Pfeile niederregnen zu sehen. Doch er sah nur Staub und eine verwaschene gelbe Sonne. Ein Soldat drückte ihm einen Bogen in die Hand und lief weiter, ohne ihm Pfeile zu geben. Robert hielt ihn nicht auf. Er würde ohnehin nichts treffen.

      Er ließ sich von Anne in eine Nische am Rand des Platzes ziehen. Nadja schloss sich ihnen an.

      »Was meinst du damit?«, fragte sie.

      »In