nickte dem Kollegen Aydin zu. »Weiter geht es.« Wieder der konzentrierte Blick durch das Mikroskop. »Pinzette!«
*
Dr. Daniel Norden wusste, dass er sich auf seine Mitarbeiter verlassen konnte. Während sie den Eingriff zu Ende brachten, konnte er sich in aller Ruhe um Christine Lekutat kümmern.
Er saß am Schreibtisch im Behandlungszimmer. Der Computerbildschirm warf das Licht auf sein Gesicht.
»Meine Vermutung war also richtig. Wir haben es mit einem Schlaganfall zu tun.«
Schwester Elena trat hinter ihn. Warf einen Blick über seine Schulter.
»Ein ischämischer Infarkt.«
»Ein ziemlich großes Areal.« Daniel fuhr sich mit der Hand über das Kinn. »Das hat zunächst einmal noch nichts zu bedeuten. Allerdings werden wir mit einer Lyse allein nicht weit kommen.« Er deutete auf eines der Bilder. »Siehst du? Die Halsschlagader ist stark verengt.«
»Eine PTA könnte helfen.«
Trotz aller Sorge um die Kollegin auf der Behandlungsliege musste Daniel lächeln. Er drehte sich zu Elena um.
»Wenn du mir auch noch die Definition aufsagst, bekommst du Lekutats Job. Auch ohne Medizinstudium.«
»Die perkutane transluminale Angioplastie, kurz PTA genannt, ist ein minimalinvasives Verfahren zur Erweiterung oder Wiedereröffnung von verengten beziehungsweise verschlossenen Blutgefäßen.« Auch Elena lächelte. »Aber den Job will ich trotzdem nicht. Ich bleibe lieber Pflegedienstleitung. Eric und die Kinder beklagen sich auch so schon genug, dass ich so selten zu Hause bin.«
»Du hättest dir einen Arzt als Mann suchen sollen.« Daniel zwinkerte der Freundin zu und konzentrierte sich wieder auf die Aufnahmen. »Dummerweise ist das noch nicht alles. Wie bei so vielen Schlaganfallpatienten ist auch das Herz in Mitleidenschaft gezogen.«
»Kein Wunder.« Elena betrachtete die schlafende Kollegin. Wie ein Berg lag sie auf der Behandlungsliege. Füllte die Breite komplett aus. »Schlaganfall und Herzinfarkt liegen ähnliche Auslöser zugrunde. Es kommt recht häufig vor, dass das eine das andere nach sich zieht.«
»Ehrlich gesagt wundert mich das bei ihrem Lebenswandel nicht.« Dr. Norden wiegte den Kopf. »Ich hatte das schon viel früher befürchtet.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Sie gründlich untersuchen und die PTA anordnen, sobald sich ihr Zustand stabilisiert hat. Und im Übrigen darauf warten, dass sie wieder aufwacht, damit ich ihr ins Gewissen reden kann.«
Mit einem Blick auf die schlafende Kollegin verzog Elena den Mund.
»Das hätte ich an deiner Stelle nicht so laut gesagt. Am Ende schläft sie genau deshalb einfach weiter.« Sie klopfte Daniel auf die Schulter und verließ das Zimmer. Höchste Zeit, nach ihrem Patienten Manfred Tuck zu sehen.
*
Die morgendliche Visite war vorüber. Felicitas Norden nutzte eine kurze Verschnaufpause, um Dieter Fuchs einen Besuch abzustatten. Die halbe Nacht war sie wachgelegen und hatte darüber nachgedacht, wie sie das fällige Gespräch führen sollte. Bis sie schließlich in Ermangelung einer besseren Idee beschlossen hatte, sich auf ihren Instinkt zu verlassen. Schweren Herzens klopfte sie an und betrat das Zimmer.
Der Verwaltungsdirektor saß kerzengerade am Tisch am Fenster. Wie an jedem Arbeitstag trug er das schlammfarbene Cordsakko mit den Lederflicken auf den Ellbogen. Eine farblich abgestimmte Hose. Straßenschuhe.
Aber dieser Tag war kein Arbeitstag.
»Guten Morgen, Herr Fuchs, wie fühlen Sie sich heute?« Fee schloss die Tür hinter sich.
Dieter blickte nur kurz von seinen Unterlagen hoch. Der Kugelschreiber in seiner Rechten zitterte leicht.
»Wenn Sie mir das nicht sagen können, werde ich dieses Zimmer verlassen und in mein Büro zurückkehren.« Daher also wehte der Wind!
Felicitas unterdrückte ein Seufzen. Sie trat an den Tisch.
»Darf ich?«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
Sie setzte sich. Legte das Tablet auf den Tisch und schaltete es ein.
»Ich habe tatsächlich die Ergebnisse Ihrer Untersuchungen.«
Dieter zog eine Augenbraue hoch.
»Und?«
»Ihr Blut weist minimale Störungen im Vitaminhaushalt auf, was möglicherweise Ihrer Ernährung geschuldet ist. Außerdem konnten die Kollegen im Labor Hormon- und Stoffwechselstörungen sowie Entzündungen, Autoimmunerkrankungen und Störungen von Nieren und Leber ausschließen. Die körperliche Untersuchung hat auch keinen Hinweis auf eine Tumorerkrankung ergeben.«
Der Verwaltungsdirektor zögerte kurz. Dann legte er den Kugelschreiber weg und sah Felicitas an.
»Heißt das, ich bin gesund?«
»Leider nein.« Felicitas schüttelte den Kopf. »Bezüglich Ihrer Erkrankung habe ich einen Verdacht. Um ganz sicher zu gehen, muss ich Ihnen allerdings noch ein paar Fragen stellen.«
Fuchs hob den Arm und sah auf die Uhr.
»Wenn Sie nicht so lange um den heißen Brei herumgeredet hätten, könnte ich noch pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen.«
Fee unterdrückte ein Seufzen.
»Herr Fuchs, Sie haben durchblicken lassen, an Herzrasen und Unruhezuständen zu leiden. Außerdem schlafen Sie schlecht und kämpfen mit Konzentrationsstörungen. Haben Sie sonst irgendwelche Beschwerden?«
»Reicht das etwa noch nicht?«
Felicitas Norden überging diese Bemerkung mit einem freundlichen Lächeln.
»Wie sieht es aus mit Kopf- oder Magenschmerzen? Fühlen Sie sich erschöpft und ausgebrannt?«
»Ja, ja und ja. Also, was fehlt mir? Ich muss nämlich dringend mit Dr. Beckmann vom Trägerverein sprechen. Offenbar gibt es ein Problem. Das muss ich aus der Welt schaffen.«
Fee biss sich auf die Unterlippe.
»Herr Fuchs, ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie unter dem sogenannten Burnout-Syndrom leiden.« Er öffnete den Mund, um zu widersprechen. Rasch fuhr sie fort. »Sie sind doch ein Mensch, der höchste Anforderungen an sich stellt.«
Er schloss den Mund wieder.
»Sie wollen das Beste aus allem und allen herausholen. Nicht zuletzt aus sich selbst.«
Ein vages Nicken.
»Sie vollbringen stets Höchstleistungen und verzeihen es sich nicht, Fehler zu machen.«
»Ganz genau.« Die Verwunderung in Dieters Gesicht war echt. »Woher wissen Sie das?«
»Ich habe eine psychiatrische Ausbildung genossen«, erinnerte Felicitas ihn. »Deshalb weiß ich auch, dass Sie sich als Spielball Ihrer Mitmenschen fühlen, was leider allzu oft auch stimmt.« Die Lüge ging ihr leicht über die Lippen. Denn wie hieß es so schön: Der Zweck heiligt die Mittel! Um den Verwaltungsdirektor vor dem endgültigen Zusammenbruch zu bewahren, tat sie es ohne Skrupel. Sie beugte sich vor und winkte ihn zu sich. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Herr Beckmann nichts Gutes im Schilde führt«, raunte sie ihm zu. »Er wird seinen Plan ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen. Und wie so oft werden Sie der Sündenbock sein.«
Dieters Kinn zitterte. Doch er sagte nichts.
»Noch haben Sie die Möglichkeit, das Gesicht zu wahren und mit Anstand und Würde aus der Sache herauszukommen.«
»Und wie?« Dieters Stimme war rau.
Fees Herz schlug schneller. Ihre Handflächen wurden feucht. Ihre Kehle war trocken. Bis jetzt hatte sie nur um den heißen Brei herumgeredet. Hatte sie dem Verwaltungsdirektor genug Honig ums Maul geschmiert?
»Indem