Ahmad Danny Ramadan

Die Wäscheleinen-Schaukel


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mit einer älteren Frau zusammen, die sie gut kannte. Die alte Frau trug eine Menge Taschen; sie hatte blaue Augen und ein freundliches Lächeln. »Das ist die Schneiderin Samira«, erklärte dir deine Mutter. »Sie ist die Beste ihrer Zunft. Sie näht Kleider für die reichen Frauen von Polizei- und Regierungsbeamten.« Du hast der alten Frau hinterhergesehen und ihren Namen sofort wieder vergessen.

      Die Blicke der feilschenden und ihre Waren feilbietenden Männer meidend zog deine Mutter dich in dieser überfüllten Straße in eine Ecke und betrat mit dir ein Geschäft, dessen Tür so niedrig war, dass sie den Kopf einziehen musste. Darin sahst du an den Wänden und unter einer gläsernen Tischplatte Dessous, ordentlich sortiert nach Größe und Farbe. Deine Mutter deutete auf ein Set; es glitzerte nur so vor Gold und falschen Diamanten, und sie fragte nach dem Preis, während du rot anliefst.

      »Morgen wird deine Frau sich auch solche Sachen kaufen«, flüsterte dir deine Mutter spöttisch ins Ohr, ein Lächeln im Gesicht. »Sei nicht so schüchtern, Sohn. Es wird dein eheliches Recht sein. Deine Frau wird die Königin aller Bräute sein. Sie wird alles Gold der Welt für dich tragen.«

      Du verließest das Geschäft in dem Gefühl, ein rechtmäßiger König auf dem Thron deiner Zukunft zu sein. Damaskus wurde zu deinem Königreich, das du weiter erforschen wolltest.

      An jenem schicksalhaften Morgen hinterließ der Regen, der damals, vor der Trockenheit, noch reichlich fiel, glitzernde Pfützen auf den alten Straßen, und du wolltest in jede einzelne hineinhüpfen. Der Duft von Jasmin, der dein Elternhaus in Damaskus umgab, kitzelte deine Sinne mit süßer Verheißung. Am nahe gelegenen Abbasiden-Platz plätscherte noch ein Springbrunnen, er wurde von gelben Taxis umrundet, deren Lack durch die Sonne abplatzte, sodass ihre Metallhaut den Elementen ausgesetzt war. Der Wind trug den Duft der Apfelblüten aus Ghuta zu den Hügeln von Damaskus und erfüllte sie mit einem einladendfrischen Aroma. Das riesige Schwertdenkmal am Umayyaden-Platz im Stadtzentrum glänzte in den Regenbogenfarben unter der heißen Sonne des Spätfrühlings.

      An jenem Morgen warst du besonders abenteuerlustig und wolltest auf eigene Faust etwas unternehmen, und so sagtest du zu deiner Schwester: »Wir müssen das Grab unseres Großvaters besuchen.«

      Wie kamst du auf diese Idee? Du weißt es nicht mehr. Du warst noch zu jung, um das, was du tun wolltest, begründen zu können. Ich würde sagen, dein Motiv war, dass du dein Erlebnis vom Ramadan-Fest wiederholen wolltest. Beim letzten Ramadan nahm dich dein Vater frühmorgens mit zum Grab deines Großvaters auf dem Friedhof unweit eures Hauses. Die Tradition, die Toten zu besuchen und ihnen ein frohes Fest zu wünschen, ist die demütige Eröffnung eines langen Tages voller Leckereien und Geldgeschenken, gefolgt von zu vielen Süßigkeiten und rassistischen Liedern auf der Schaukel.

      »Ali wird niemals sterben, denn seine Töchter sind schwarz und hässlich wie Affen.« Solche Lieder sangen wir zum Ramadan-Fest, in einer Zeit, als es in Syrien noch Feste gab, und ohne Gefühl dafür, wie unangemessen diese Lieder waren.

      Du gingst Hand in Hand mit deiner kleinen Schwester in die Richtung, die du für die richtige hieltest. Als ich die Geschichte zum ersten Mal hörte, wusste ich schon, dass ihr euch verlaufen würdet; du hast einen lausigen Orientierungssinn. Du gingst die überdachte Straße des Suks Medhat Bascha entlang, in deiner Nase die Düfte exotischer Gewürze aus den Läden zu beiden Seiten. Dann bogst du nach links in die Qanawat-Straße ein. Damals saßen dort alte Männer und tranken schwarzen Tee, während sie taulieh spielten; sie fluchten, wenn sie schlecht würfelten, und immer wieder zog einer an seiner geliebten arjileh. Jeder brachte seine eigene Wasserpfeife mit, stolz auf die wunderschöne Ausführung seines Exemplars. Du gingst mit deiner Schwester an ihnen vorbei, ohne zu ahnen, dass bald dort, wo diese alten Männer saßen, überall Gebrauchtwarenläden entstehen würden. Die Händler in diesen Läden feilschten den lieben langen Tag lautstark mit alten Frauen auf der Suche nach billiger Kleidung für ihre Söhne und Töchter und stritten sich über die Differenz von fünf syrischen Pfund, die verlangt wurden, aber nicht bezahlt werden wollten. Auch die Besitzer der Gebrauchtwarenläden ahnten nicht, dass bald dort, wo sie sich niedergelassen hatten, Demonstranten unterwegs sein würden, die mit grünen Fahnen gegen das syrische Regime protestierten und aus voller Kehle Freiheit forderten. Die Demonstranten wiederum ahnten nicht, dass sie von Soldaten mit Gewehren und Schwertern verdrängt werden würden, die sofort zu schießen anfingen.

      Im lieblichen Licht der frühen Morgensonne seid ihr durch das Gewirr der alten Straßen von Damaskus gelaufen. Deine Schwester zitterte ein wenig, aber dir hat Kälte noch nie etwas ausgemacht. Die Kälte erfrischte dich und gab dir einen Energieschub. Du fühltest dich lebendig und allwissend, wie ein Gott auf seinem Thron. Dein Lächeln verzog sich zu einem Grinsen, als du den Eingang des alten Friedhofs erblicktest. Es war die Schwelle zu etwas Verbotenem, schwer Erreichbarem und Besonderem. Als du den ersten Schritt in den Friedhof machtest, fragtest du dich kurz, ob jemand dich und deine Schwester darauf ansprechen würde, was ihr hier zu suchen hattet. Ob jemand zu euch sagen würde: »Jetzt ist doch noch nicht das Ramadan-Fest, mein Sohn«, und euch zurück zu euren Eltern schicken würde.

      Niemand hielt euch auf, als ihr den Friedhof betratet.

      Morgens verlieren solche Orte ihren Schrecken; sie werden zu einem Hort der Ruhe und des Friedens, wo die Geräusche vorbeifahrender Autos gedämpft klingen. Du gingst auf der rechten Seite an den Gräbern vorbei und sprachst bei jedem einzelnen den islamischen Gruß, wie es dich dein Vater gelehrt hat. In die Grabsteine waren Verse aus dem Koran und die Namen der Verstorbenen eingraviert. Die Grabsteine in Damaskus sind immer sehr formell: Auf ihnen steht der Vor- und Nachname des Verstorbenen, der Name seines Vaters und das Sterbedatum, gefolgt von Gebeten. Es wirkt unpersönlich und einsam.

      Aber dann kommt Eid, das Fest des Fastenbrechens, und die Menschen strömen auf die Friedhöfe. Sie bringen Blumen und Myrte und versammeln sich um die Gräber ihrer Lieben. Sie erzählen den Toten Geschichten und das Neueste von ihren Angehörigen, beten für sie und lesen ihnen Passagen aus dem Koran vor. Väter erzählen ihren Söhnen übertriebene Geschichten von ihren toten Großvätern, um ihren Kindern eine glorreiche Vergangenheit mitzugeben.

      »Mein Großvater hatte vier Ehefrauen«, sagte dein Vater bei deinem ersten Besuch auf dem Friedhof, und du standst am Grab und hörtest ihm aufmerksam zu. »Er besaß ein kleines Stück Land am Rand von Ghuta, bei Maschrou Dummar. Dort baute er ein Haus mit Garten. Er pflanzte zwei Bäume von jeder Frucht, die er mochte, damit sie sich vermehren konnten.«

      »Er nannte es Noahs Garten«, meinte dein Vater schmunzelnd; von fern drang das Gebet einer weinenden Frau zu euch.

      Die Ehefrauen deines Urgroßvaters pflegten sich im Garten zu versammeln, wo ihr Ehemann einen Pool gebaut hatte. Sie schätzten einander, versicherte dir dein Vater, standen sich nahe wie Schwestern. »Sie schwammen im Pool, alle vier um meinen Großvater herum, und brachten ihm Kirschen, Äpfel und Feigen, während er im kühlen Wasser lag, um der Augusthitze zu entkommen.« Nicht einmal beim Schwimmen habe sein Großvater die weiße Kopfbedeckung abgenommen, behauptete dein Vater, vermutlich um seine beginnende Glatze zu verdecken.

      Zu spät merktest du, dass du dich, während du in der Erinnerung an die Geschichten deines Vaters schwelgtest und ziellos umhergingst, im Friedhof verlaufen hattest. Angst kroch in deinen Blick, und du packtest die Hand deiner Schwester fester. Auf einmal gerietest du in Panik. Du begriffst, dass du dir einen zu großen Bissen von der Welt genehmigt hattest und daran zu ersticken drohtest.

      Beim Anblick deiner Tränen fing deine Schwester an zu weinen. Du liefst kreuz und quer, um den Ausgang zu finden. Anstatt deine Schwester zu trösten, hieltest du nach jemandem Ausschau, der sich um sie kümmern sollte. Du wusstest nicht, was du mit ihr machen solltest, und wünschtest dir deine Mutter herbei, die deine Schwester immer auf den Schoß nahm und wiegte, bis sie sich beruhigte. Inzwischen heulte deine Schwester lauthals. Es war auf dem ganzen Friedhof zu hören. Hoch ragten die Grabsteine über euch auf. Sie kamen dir vor wie Türme, die dir die Sicht auf mögliche Retter versperrten, während sie für deine Schwester Monster waren, die sie verschlingen wollten. Diese Vorstellung ließ sie hysterisch aufschreien.

      Plötzlich tauchte ein alter Mann hinter einem der Grabsteine auf; er trug ein weißes Hemd und eine kleine weiße Kappe.