Ahmad Danny Ramadan

Die Wäscheleinen-Schaukel


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feuchte Stein angenehm an, linderte das Brennen, das er dort spürte. Kurz stach ihm der Gestank von Kot und Erbrochenem in der Nase, der dem Eimer in der Zellenecke entwich, aber er ignorierte ihn. Nach einer Weile gewöhnte er sich daran und nahm ihn gar nicht mehr wahr.

      Er spürte die schweren Atemzüge seiner vielen schlafenden Zellengenossen an seiner Stirn. Vor einer Woche, als er an diesen Ort gekommen war, hatte er seine Mitgefangenen gefürchtet. Vergewaltiger, Diebe und Mörder waren in einem Raum versammelt, und er war körperlich geschwächt. Er versuchte den Harndrang so lange wie möglich zu unterdrücken, scheute ihre Blicke, aber er wusste, dass er sich nur in dem Eimer Erleichterung verschaffen konnte. Schließlich wurde der Ruf der Natur übermächtig, und er ging langsam, jeden Blickkontakt meidend, zum Eimer, um sich zu erleichtern. Von dem Gestank, der ihm entgegenschlug, wurde ihm so übel, dass er fast auf die Knie fiel.

      Mit weit aufgerissenen Augen drehte er sich zu den anderen Gefangenen um, erwartete, dass ihn ein Vergewaltiger packen oder eine Gang umbringen würde. Aber auch sie wandten die Augen ab, sahen in eine andere Richtung. Da wurde ihm klar, dass sie sich ebenso nackt fühlten wie er und dass er hier drin sicherer war als draußen, wo er den Wachen ausgeliefert war.

      Er lag auf dem Rücken und konnte den Schmerz spüren. Es fühlte sich wie eine V-förmige Verbrennung an, die auf seinem Rücken vor sich hin schwelte. In seiner Vorstellung wurde sie zu einem Vogel, der ihn von diesem Ort wegtrug, zurück in sein Heimatland. Auf einmal fasste eine Hand nach seiner Brust, und er zuckte vor Schmerz zusammen, aber seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und er erkannte einen fünfzehn oder sechzehn Jahre alten Jungen. Das Gesicht des Jungen war mit getrocknetem Blut bedeckt, offenbar war seine Nase gebrochen. Der Künstler lächelte matt und rutschte näher an den Jungen heran, erlaubte ihm, noch einmal seine Brust zu berühren; der Junge ließ seinen Kopf darauf ruhen, seine Tränen strömten ohne Unterlass.

       Achtzehn! Neunzehn! Zwanzig! Einundzwanzig! Zweiundzwanzig!

      Er hoffte, dass Amal ihn am Flughafen erwarten würde, doch sie war nicht da. Nur Abdul-Salam, sein Freund aus der Oberschule, und Bassem, sein Bruder, holten ihn ab. Er sah ihnen in die Augen und fragte nicht nach, und sie lieferten auch keine Erklärung.

      Sie brachten ihn in sein Elternhaus, wo seine Mutter ihn mit Küssen empfing. Ihre Augen waren nass vor Tränen, und ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie ihn an sich drückte. Sie lächelte ihn an und löste sich von ihm, damit er seinen Vater im Rollstuhl begrüßen konnte. Wortlos trat er zu seinem Vater und küsste als Respektsbezeugung dessen Finger. Der Vater jedoch wandte den Blick ab, bevor er Bassem aufforderte, ihn in sein Schlafzimmer zu schieben, und als er die Tür hinter sich zuschlug, klang es wie ein Pistolenschuss.

       Dreiundzwanzig! Vierundzwanzig! Fünfundzwanzig!

      Als der Künstler in seinem ehemaligen Zimmer aufwachte, hatte er Angst, und er sah sich um, um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich in seinem Elternhaus war. Er sprang aus dem Bett, doch davon wurde ihm schwindlig. Er zog die Vorhänge zurück und ließ die Strahlen der wärmenden, sanften Sonne seines Heimatlandes ins Zimmer, und es fühlte sich an, als würde sich warmes Wasser über seinen Körper ergießen. Lächelnd kratzte er sich an der Brust. Er trat vom Fenster zurück und sah in den Spiegel, bevor er den Schlafanzug seines Bruders auszog und sich anschickte, in die Kleidung vom Vortag zu schlüpfen.

      Als seine Mutter ohne anzuklopfen hereinkam, war er noch in Unterwäsche. Sie schnappte überrascht nach Luft und befahl ihm, sich nicht weiter anzukleiden. Dann verließ sie das Zimmer und kam mit einer Garnitur frischer, sauberer Wäsche zurück. Sie half ihm beim Anziehen, wie früher, als er noch ein kleiner Junge war und sich das Hemd noch nicht selbst zuknöpfen konnte.

      Eine Heiterkeit erfasste ihn, wie er sie seit einer Ewigkeit nicht mehr empfunden hatte, und er zog den Kopf seiner Mutter an seine Brust und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er mit ihr hinausging.

      Im Wohnzimmer waren bereits alle Familienmitglieder versammelt: sein Vater, sein Bruder und die Töchter seiner verwitweten Schwester. Er spürte ihre musternden Blicke, deshalb wandte er sich ab und griff nach dem Telefon, um die Botschaft anzurufen und sich nach seinen Sachen zu erkundigen, deren Nachsendung man ihm zugesichert hatte. Als sich niemand meldete, fiel ihm ein, dass heute einer der glorreichen nationalen Feiertage war, an dem eine Revolution vergangener Zeiten gefeiert wurde.

      Sechsundzwanzig! Siebenundzwanzig! Achtundzwanzig! Neunundzwanzig! Dreißig! Daraufhin versuchte er Amal auf dem Handy zu erreichen, das er ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschickt hatte. Er hatte sie gebeten, für seine Nummer einen speziellen Klingelton einzurichten, »Kiss« von Prince. Den Text kannte er nicht genau, aber er hatte den Song einmal in einer Fernsehsendung gehört, deren Moderator den Text übersetzt hatte, sodass er um den Inhalt wusste. Er stellte sich ihr glänzend neues Telefon vor, das die Liebe seines Lebens um einen einfachen Kuss bat, immer und immer wieder.

      Als sie nicht ranging, ahnte er, dass er ihre Mutter anrufen musste.

      Die alte Dame hob ab, aber sie hatte keine guten Nachrichten für ihn. Amal war vor einer Weile mit ihrem Geliebten davongelaufen. Vor Schock hatte sich die alte Mutter, als es passierte, immer wieder selbst ins Gesicht geschlagen und unentwegt den Namen ihrer Tochter geschluchzt; inzwischen hatte sie sich allerdings damit abgefunden, nachdem sie die Sache siebentausend Mal mit siebentausend Nachbarinnen durchgekaut hatte. Amal habe das ganze Geld, das er ihr für die Hochzeit geschickt habe, mitgenommen und sei mit Saad weggelaufen, der gerade mal einundzwanzig Jahre alt war.

      Er wünschte der Mutter alles Gute und legte auf, dann brach er in lautes Lachen aus.

       Einunddreißig! Zweiunddreißig! Dreiunddreißig! Vierunddreißig!

      Er öffnete seinen alten Malkasten, zog weißes Papier aus der Schreibtischschublade und befreite die Farben aus ihren kleinen Gefängnissen. Wie früher versuchte er zu den Farben zu sprechen und sich dabei vorzustellen, wie sich jede davon anmutig auf das weiße Papier legte und sich so erneut ein nackter Körper ergab, der nach Freiheit lechzte.

      Nach einer Stunde gab er es auf; er hatte nur herumgekleckst und eine gesichtslose Figur produziert.

      Sein Rücken machte sich wieder bemerkbar, deshalb ging er zu dem Zimmer seiner Eltern, klopfte leise an und öffnete die Tür. Durch den schmalen Spalt konnte er seinen schlafenden Vater erkennen und seine Mutter, die mit dem Rücken zu ihm auf einem Stuhl saß und mit im Schoß zusammengelegten Händen durch das hölzerne Fenstergitter starrte. Er flüsterte ihren Namen, und sie erwachte aus ihrer tiefen Versunkenheit und folgte ihm in sein Zimmer, wo er sein Hemd auszog und sie die Salbe zur Hand nahm.

       Fünfunddreißig! Sechsunddreißig! Siebenunddreißig! Achtunddreißig! Neununddreißig!

      Während seine Mutter behutsam die Salbe auf die brennenden Wunden auftrug, schweiften seine Gedanken unwillkürlich zu dem Augenblick, als sie ihm mitten in der Wüste das Hemd ausgezogen hatten. Zwei Männer sahen zu, wie er auf Knien um Gnade flehte, während ein Richter abseitsstand. »Für deinen Verstoß gegen die guten Sitten wirst du zu vierzig Peitschenhieben verurteilt«, sagte der Richter. »Möge Allah dir gnädig sein.«

      Ein Mann mit schwarzer Maske holte mit der Peitsche aus, pries Allah den Barmherzigen und fing an zu zählen.

       Vierzig!

      »Hast du geschlafen?«, frage ich dich flüsternd.

      …

      »Bist du wach?«, hauche ich kaum hörbar.

      …

      »Ich liebe dich«, sage ich, ohne eine Antwort zu erwarten.

      »Ich liebe dich auch.« Deine Stimme kommt aus dem Land deiner Träume.

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