Hugh Lofting

Doktor Dolittles schwimmende Insel


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wenn das Leben schön ist. Die Tage wurden zu Wochen und die Wochen zu Monaten‚ und schon verloren die Rosen in des Doktors Garten ihre Blüten‚ und gelbe Blätter lagen auf dem grünen Rasen‚ denn der Sommer war fast vorüber.

      Eines Tages unterhielt ich mich mit Polynesia in der Bibliothek. Das war ein schöner großer Raum mit einem herrlichen Kaminsims‚ und die Wände waren von der Decke bis zum Erdboden mit Bücherregalen bedeckt‚ die mit Geschichtsbüchern‚ Büchern über Gärtnerei‚ Medizin und Reisebeschreibungen vollgepfropft waren. Die Reisebeschreibungen liebte ich am meisten und besonders des Doktors großen Atlas mit seinen Karten von den verschiedenen Ländern der Welt.

      „Polynesia‚ ich möchte dich einmal etwas Wichtiges fragen.“

      „Was ist es denn‚ mein Junge?“ fragte sie und glättete die Federn ihres rechten Flügels. Polynesia sprach oft sehr gönnerhaft mit mir‚ aber ich nahm es ihr nicht übel; schließlich war sie beinahe zweihundert und ich erst zehn Jahre alt.

      »Meine Mutter findet es nicht richtig‚ daß ich immer zu euch komme und bei euch esse. Ich wollte dich nun fragen‚ ob ich nicht ganz hier wohnen könnte‚ wenn ich noch viel mehr für den Doktor arbeite. Weißt du‚ anstatt mich wie einen Gärtner oder Arbeiter zu bezahlen‚ würdet ihr mir Wohnung und Kost für meine Arbeit geben. Was hältst du davon?“

      „Du meinst‚ du willst ein richtiger Gehilfe des Doktors werden‚ nicht wahr?“

      „Ja‚ ich glaube‚ so nennt man das“‚ antwortete ich.

      „Nun“‚ — sie dachte einen Augenblick nach — „warum nicht? Aber willst du denn Naturforscher werden‚ wenn du erwachsen bist?“

      „ Ja“‚ sagte ich‚ „das will ich‚ lieber als irgendwas andres in der Welt.“

      „So‚ so“‚ sagte Polynesia‚ „dann wollen wir zum Doktor gehen und mit ihm darüber sprechen. Er ist in seinem Arbeitszimmer‚ öffne leise die Tür‚ vielleicht will er nicht gestört Werden.“

      Ich öffnete leise die Tür und blickte hinein. Das Erste‚ was ich sah‚ war ein riesiger schwarzer Hühnerhund‚ der mit gespitzten Ohren in der Mitte des Kaminvorlegers saß und dem Doktor zuhörte‚ der ihm einen Brief vorlas.

      „Was tut der Doktor?“ fragte ich flüsternd Polynesia.

      „Ach‚ der Hund hat einen Brief von seiner Herrin bekommen und hat ihn zum Doktor gebracht‚ damit er ihm den vorlese. Das ist alles. Er gehört einem komischen kleinen Mädchen‚ das Minnie heißt und auf der andern Seite der Stadt wohnt. Zwei Zöpfe hängen ihr den Rücken herab. Sie und ihr Bruder sind den Sommer über an die See gefahren‚ und der alte Hühnerhund hat große Sehnsucht‚ darum schreiben sie ihm Briefe‚ und da der alte Hund sie nicht versteht‚ bringt er sie hierher‚ und der Doktor übersetzt sie ihm in die Hundesprache. Der Hund ist so aufgeregt‚ sie werden wohl geschrieben haben‚ daß sie zurückkommen. Sieh nur‚ wie er sich aufführt. Die Ergebenheit‚ die er für die Kinder hat‚ geht mir über den Verstand. Du solltest einmal Minnie sehen: sie ist die eingebildetste kleine Göre‚ die ich kenne — und außerdem schielt sie.“

      12. Kapitel

      MEINE GROSSE IDEE

      Plötzlich blickte der Doktor auf und sah uns in der Tür stehen.

      „Ach, du bist es, Stubbins, komm herein, willst du etwas von mir? Komm herein und nimm dir einen Stuhl.“

      „Doktor“, sagte ich, „wenn ich erwachsen bin, möchte ich Naturforscher werden wie Sie.“

      „So, wirklich?“ murmelte der Doktor. „Nun ja, — aber, hast du schon mit deinen Eltern gesprochen?“

      „Nein, noch nicht“, sagte ich. „Ich habe gedacht, Sie könnten zu meinen Eltern gehen und ihnen sagen, ich dürfte bei Ihnen wohnen, aber ich müßte hart arbeiten, und Sie wären bereit, mir Lesen und Schreiben beizubringen. Meine Mutter möchte sehr gerne, daß ich lesen und schreiben lerne, und außerdem könnte ich sonst kein richtiger Naturforscher werden, nicht wahr?“

      „Oh, darüber weiß ich nicht so viel“, sagte der Doktor. „Natürlich ist es gut, wenn man lesen und schreiben kann, wie zum Beispiel dieser junge Bursche Charles Darwin. Aber der allergrößte Naturforscher kann weder seinen eigenen Namen noch das Abc lesen.“

      „Wer ist denn das?“ fragte ich.

      „Eine geheimnisvolle Persönlichkeit. Er heißt der Große Pfeil und ist der Sohn des Goldenen Pfeils — ein Indianer.“

      „Haben Sie ihn je gesehen?“ fragte ich.

      „Nein“, sagte der Doktor, „ich habe ihn noch nie gesehen, kein Weißer hat ihn je gesehen. Ich glaube, Herr Darwin weiß nicht einmal, daß er existiert. Er lebt fast nur mit Tieren und verschiedenen Indianerstämmen zusammen. Gewöhnlich hält er sich in den Bergen von Peru auf. Er zieht meistens von Stamm zu Stamm — als eine Art Indianer-Landstreicher.“

      „Woher wissen Sie so viel über ihn, wenn Sie ihn nie gesehen haben?“

      „Der purpurne Paradiesvogel hat mir von ihm erzählt: er sagt, er sei ein geradezu wunderbarer Naturforscher. Als der Vogel das letztemal hier war, gab ich ihm für den Großen Pfeil eine Botschaft mit. Ich erwarte ihn jeden Tag zurück, und kann kaum abwarten, was er mir für eine Antwort bringt. Wir haben schon fast die letzte Woche im August — ich hoffe, es ist ihm nichts auf der Reise geschehen. Das Hauptgebiet des Großen Pfeils ist Botanik — Pflanzen und ähnliches. Allerdings weiß er auch eine Menge über Vögel und Tiere, besonders über Bienen und Käfer. Aber nun sage mir noch, Stubbins: bist du dir auch ganz klar, daß du Naturforscher werden willst?“

      „Ja“, sagte ich, „ich bin fest dazu entschlossen.“

      „Du mußt wissen: zum Geldverdienen ist es kein guter Beruf. Die meisten großen Naturforscher verdienen überhaupt kein Geld — sie geben nur Geld dafür aus, Schmetterlingsnetze und Behälter für Vogeleier und so weiter zu kaufen. Erst jetzt, nachdem ich so viele Jahre Naturforscher bin, beginne ich, durch die Bücher, die ich schreibe, etwas Geld zu verdienen.“

      „Ich mache mir nichts aus Geld“, sagte ich, „ich will Naturforscher werden. Wollen Sie nicht so gut sein und am nächsten Donnerstag bei meinen Eltern Abendbrot essen? Ich habe es ihnen schon gesagt — dann können Sie mit ihnen darüber sprechen. Es handelt sich nämlich noch um etwas andres: wenn ich bei Ihnen wohne und gewissermaßen zu Ihrem Haus und Beruf gehöre, — darf ich Sie dann das nächste Mal auf einer Reise begleiten?“

      „Ach so“, sagte er lächelnd, „du willst auf meine Reisen mitkommen? Aha!“

      „Ich möchte auf alle Reisen mit. Es wäre viel leichter für Sie, wenn Sie jemand hätten, der Ihnen behilflich wäre, die Notizbücher und Schmetterlingsnetze zu tragen, nicht wahr?“

      Eine lange Zeit blieb der Doktor nachdenklich sitzen und trommelte mit den Fingern auf das Pult, während ich ungeduldig darauf wartete, was er wohl sagen würde. Endlich zuckte er mit den Schultern und stand auf.

      „Gut, Stubbins“, sagte er, „ich werde am nächsten Donnerstag mit deinen Eltern sprechen, und dann wollen wir weiter sehen. Empfiehl mich, bitte, deinen Eltern, und ich lasse ihnen für ihre Einladung danken.“

      Ich flog schnell wie der Wind nach Hause und erzählte meiner Mutter, daß der Doktor versprochen hätte, Donnerstag zu kommen.

      13. Kapitel

      EIN REISENDER TRIFFT EIN

      Am nächsten Nachmittag saß ich nach dem Tee auf des Doktors Gartenmauer und unterhielt mich mit Dab-Dab. Ich hatte jetzt so viel von Polynesia gelernt, daß ich mich mit den meisten Vögeln und Tieren ohne Schwierigkeiten unterhalten konnte. Ich fand, Dab-Dab war ein netter mütterlicher Vogel, obgleich nicht halb so klug und interessant wie Polynesia. Sie war schon viele Jahre Haushälterin beim Doktor. Plötzlich hörte ich von der Stadt her ein seltsames