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Das Anthropozän lernen und lehren


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als Stiftung betrachten“ (Leinfelder 2017b). Weitere vom Verfasser verwendete Metaphern und Narrative umfassen „Vom Parasitismus zur Symbiose“ (Leinfelder 2016a) oder „Die ‚Hall of Fame‘ der Organismen, welche die Erde ebenfalls bereits komplett verändert haben“ (Leinfelder 2018), siehe Abb. 9.

      Die mögliche Fehldeutung solcher Metaphern muss allerdings berücksichtigt werden. So könnte ohne weitere Erläuterung der Begriff der „Unswelt“ fehlgedeutet werden als „die Erde gehört uns“; stattdessen soll mit der Wortneubildung die Verwischung der Unterschiede zwischen Natur und Kultur betont und so bewusst gemacht werden, dass wir mit dem Erdsystem in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen (siehe auch Leinfelder 2011). Die Metapher vom „Erdsystem als Stiftung“ könnte ohne weitere Erklärung die Notwendigkeit der Pflege und Stabilisierung dieser Stiftung außer Acht lassen und stattdessen auf größtmögliche Dividende fokussieren. Der Metapher „vom Parasitismus zur Symbiose“ könnte ohne korrekte Einbettung gleichmacherische Tendenz vorgeworfen werden, da die Eingriffe der Menschheit regional und gesellschaftsspezifisch sehr unterschiedlich sind.

Illustration

       Abbildung 9: Scribble-Narrative der „Hall of Fame“ von Organismen der Erdgeschichte, welche die Erde schon vor dem Menschen immer wieder umgestalteten, aber auch Ressourcen, von denen die Menschheit heute abhängig ist, generierten. Der Mensch verändert die Erde allerdings in bislang unbekannter Geschwindigkeit. Das Bild kann als Beispiel zur Entwicklung von Narrativen zur Einbindung des Menschen in die Erdgeschichte und in das Erdsystem dienen. Basierend auf verschiedenen Ressourcen, Näheres siehe Text (aus Leinfelder 2018).

      Die „Hall of Fame“-Metapher könnte zur Beschwichtigung herhalten, dass ja schon andere vor uns (etwa Methanbakterien, Cyanobakterien, kalkausscheidende Meeresorganismen, Plankton, Gräser etc.) die Erde ebenfalls sehr stark verändert haben, also unser heutiges diesbezügliches Tun doch eher in dieser Tradition steht. Diese möglichen latenten Brüche können aber ganz bewusst in konstruktiver Weise verwendet werden, indem eben auch diese Metaphern entsprechend diskutiert werden. Nicht die Metapher oder das Narrativ allein, sondern vor allem auch das Reflektieren darüber erscheint hilfreich.

      Narrative zu Zeitläufen können hierbei besondere Augenöffner sein. Beim Beispiel der „Hall of Fame“ sollte betont werden, dass die Geschwindigkeit der ökologischen und sogar erdsystemaren Veränderungen in keiner Zeit der Erdgeschichte dermaßen hoch war wie heute und daher die natürlichen Puffer- und Anpassungsmechanismen der Erde heute nicht mehr nachkommen. Das Narrativ, dass Maschinen nicht von alleine etwas für uns tun, sondern von uns „gefüttert“ werden müssen – derzeit leider überwiegend noch mit fossilen Energien – ist ein möglicher Einstieg zur Behandlung der erdgeschichtlichen Entstehung unserer nichtnachwachsenden Ressourcen wie Erzen, seltenen Erden oder fossilen Energieträgern, aber auch von Kalk, Ton oder Sand, die inzwischen von uns zur unglaublichen Menge von 30 Billionen Tonnen Technosphäre umgebaut wurde (siehe Box 1). Besonders interessant erscheint auch das Narrativ der verlässlichen Stabilität des Erdsystems im Holozän als Grundlage für die Neolithische und Industrielle Revolution und damit als wesentliche Grundlage der Entwickung all unserer gesellschaftlichen, meist extrem differenzierten Systeme.

      Das gesamte Anthropozän-Konzept kann in diesem Sinne auch als sinnstiftendes Großnarrativ angesehen werden, sofern dessen analytischen Ebenen auch mit der konsequentialen Metaebene verknüpft und Lösungsoptionen in offener Weise mit erzählt werden (vgl. Leinfelder 2017c).

      Insgesamt können oben aufgeführte Narrative zwar im Schulunterricht aufgegriffen werden; besonders spannend wäre aber vor allem, diese weiterzuführen oder auch gänzlich neue zu entwickeln. Neue Narrative können sich aber auch aus anderen, entsprechend designten Projekten zur Nachhaltigkeit ergeben, insbesondere wenn aus den Projekten neue Einsichten in komplexe Zusammenhänge erwachsen (Leinfelder 2018).

      Sehr gewinnbringend können dann längere Narrationen (nicht unbedingt Narrative, jedoch auf Narrativität basierend) auch graphisch gestaltet werden (mehr dazu siehe nachfolgend).

       3.2.2 Visualisierungen

      Ausstellungen sind weithin beliebt und bekannt. Sie stellen begehbare, visuell gestaltete Räume dar, in denen sich Besucher/innen mit Objekten, Installationen und untereinander treffen – damit repräsentieren sie kommunikative „Third Places“ auch für komplexe Themen und stellen auch eine eigene Formatsparte innerhalb der Künste dar.

      Comics werden von vielen ebenfalls zu den Künsten gezählt. Ähnlich wie es auch bei anderen Künsten, etwa Literatur, Film, Bühne, Bildhauerei, Malerei, Ausstellungen etc., ebenfalls annähernd beliebig viele unterschiedliche Themen und Inhalte gibt, gilt dies auch für Comics. In dieser Arbeit soll nur das Potenzial für Sachcomics zur Kommunikation und Reflexion komplexer Themen kurz hervorgehoben werden. Es führt in diesem Beitrag zu weit, das gesamte Potenzial von Comics für Lehren und Lernen darzustellen. Box 2 bietet dazu einen kleinen Überblick, auch im Hinblick auf Vergleichbarkeiten mit Ausstellungsgestaltung.

      Comics gehören wie Ausstellungen zu den Slow Media (siehe David et al. 2010) und sind damit als im wesentlichen nichtlineare Kommunikationsformate zu verstehen, welche zu ihrer Wissenserschließung einer umfassenden persönlichen Beschäftigung der Leser/innen bzw. Besucher/innen bedürfen. Das Medium muss in Raum und Zeit verortet werden und gleichzeitig verschiedene Sinne direkt bzw. über synästhetische Ansätze ansprechen (McCloud 1993, 2014; Sousanis 2015). Insbesondere können Abbildungen und Sammlungsobjekte, aber auch komplette, möglichst nicht linear strukturierte Ausstellungen als Slow Media betrachtet werden (Robin et al. 2014; Leinfelder 2015). Im Sinne von Slow Media lassen sich auch Sachcomics zu komplexen Themen grundsätzlich mit wissenschaftsbasierten Ausstellungen vergleichen, da sie dominant visuell gestaltet sind, Informationen zu Mehrebenen-Narrativen verbinden, individuelle Geschwindigkeit beim Erfassen erlauben und damit gleichzeitig erhöhte „partizipative“ Aktivität beim Zusammensetzen der Informationen und Themen im Kopf erfordern (vgl. Jacobs 2007; Leinfelder 2015; Leinfelder & Hamann 2019, Groensteen 2014; Sousanis 2015). Comics sind hierbei insbesondere durch ihre Bildsprache motivierend, visualisierend, permanent, intermediär und populär (Versaci 2001; Morrison et al. 2002; Yang 2008). Die szenographische Gestaltung erlaubt die Kombination realitätsnaher (wahrnehmbarer), abstrahierter (zu erfassender) und symbolisierter (erlernter) Bilder in teils vielschichtig angelegten Panels, welche zeitlich, räumlich und perspektivisch insbesondere durch Weglassen (in den „Gutters“, also den Lücken zwischen den graphischen Panels) inszeniert werden können (McCloud 1993, 2014). Je nach Komplexität der Themen können sich Text und Bildsequenzen komplementär oder auch einander stützend verhalten (Jüngst 2010). Personalisierung, Darstellung wissenschaftlicher Arbeitsweisen, Visualisierung von Szenarien und andere Authentifizierungsmöglichkeiten wissenschaftlichen Vorgehens sind genauso wie mögliche gesellschaftliche Relevanzen und Handlungsoptionen teilweise augenzwinkernd gestaltbar, womit sich die zu vermittelnden Themen von ihrer gewissen „Schwere“ befreien lassen. Dies kann zum Beispiel durch Zuhilfenahme von „Sidekicks“ oder durchlaufenden Nebengeschichten erreicht werden.