Paul Keller

Von Hause


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ausstaffierten Mit-Schwiegervater in Hemdsärmeln! Wenzel bemerkte es schon beizeiten und sagte leise zu mir:

      „Nu sagen’s, wie konnte die Franziska an solchen Kerl nehmen, der nicht im geringsten an Schneid hat?“

      Das Fest selbst aber wurde sehr, sehr schön. Junge Liebe und junges Glück zu sehen, ist freilich für den, der übers Leben schaut, eine wehmütige Freude, aber doch eine Freude voll schweren Erinnerungsduftes aus fernen Frühlingstagen.

      Liebich war sehr schweigsam. Die Verlobung wurde vollzogen, und der Wein, den wir tranken, war alles österreichische Marke und wahrscheinlich geschmuggelt; aber Wenzel liess ihn sich schmecken, denn was ging es ihn an, wenn sich preussische Grenzer über den Löffel balbieren liessen? Ja, er trank viel und wir andern auch, und die Stimmung wurde sehr lustig. Da erhob sich der Müller zu einer Rede.

      „Hier sitzen wir nu, und das is sehr schön. Dass die Franziska nich dabei is, is freilich sehr schade. Aber ich weiss, wo die is; das weiss ich schon durch meine lahme Achsel. Na, das is nu aber ja längst alles vollkommen vergessen, und die Kinder, die sich heiraten werden, haben das alles nich mit erlebt. Wozu reden wir also erst darüber? Und damit du siehst, Wenzel, wie gut ich’s mit dir meine, schenk’ ich dir hier eine echt silberne Tabaksdose, damit du immer an mich denkst, wenn du draus schnupfst. Das Brautpaar lebe, hurra — hoch!“

      Aus blauem Florpapier wurde eine ganz prächtige silberne Dose enthüllt, die Liebich erst kurz zuvor in Breslau erstanden hatte. Wenzel war tiefgerührt. Es ärgerte ihn aber jetzt sehr, dass er kein Gegengeschenk hatte und nun in seinem Smoking gegen den Hemdärmelmann unvorteilhaft abstach. Als das reiche Abendbrot vorüber war und die Böhmen an die Heimkehr dachten, befahl der Müller seinem Sohne, nun auch ihr eigenes Wäglein zurechtzumachen; sie würden die lieben Gäste heimbegleiten, denn so ein Tag wie heut sei nicht oft.

      Fröhlich ging es die Berge hinauf, der Grenze zu. Wir kamen ans österreichische Zollhaus. Ein Beamter trat heraus und fragte der Reihe nach jeden nach Steuerbarem. Wir verneinten alle, auch Wenzel, der Grenzer in Zivil, natürlich. Da sagte der Beamte, der (wie ich später erfuhr) auf seinen Kollegen nicht gut zu sprechen war:

      „Es tut mir leid, Herr Wenzel Hollmann, aber es ist eine Anzeige eingelaufen, Sie brächten eine neue silberne Dose über die Grenze.“

      Ein Schrei aus Wenzels Mund. Und schon flog ein Bündel blaues Florpapier auf die Strasse, und aus dem Papier heraus flog eine neue silberne Dose.

      Wir glaubten alle, nun müsse die Welt untergehen. Wenzel, der gefürchtete Grenzer, das Muster von Gewissenhaftigkeit und unnachsichtlicher Strenge, war beim Schmuggeln ertappt worden.

      Er stieg aus dem Wagen und klappte ganz zusammen. Gebrochen lehnte er sich mit seinem schönen Anzug an das sandige Rad, der Zylinder fiel ihm vom Kopfe.

      „Ich — ich — hab’ — nicht dran gedacht,“ brachte er heiser heraus.

      Der Beamte zuckte die Achsel.

      „Es war meine Pflicht. Die Anzeige ist schriftlich gekommen.“

      Er hob die Dose auf.

      „Die muss ich natürlich konfiszieren. Bitt’ schön!“

      Er wies mit der Hand auf die Tür des Zollhauses. Wie einen armen Schächer, der zum Schaffot getragen werden muss, schleppten der Hahnenwirt und ich den unglücklichen Wenzel ins Amtslokal.

      Da mischte sich Liebich ein.

      „Herr Kontrolleur,“ sagte er, „Sie wissen doch ganz genau, dass Herr Wenzel Hollmann nicht im Traume daran gedacht hat, absichtlich zu schmuggeln. Ein Beamter wie er — ich bitt’ Sie! Ich habe ihn mit dieser Dose überrascht, hab’ sie ihm geschenkt, und nu hat er eben nicht dran gedacht. Denken Sie etwa den ganzen Tag an Ihre Schnupftabakdose?“

      „Es tut mir leid — die Anzeige ist schriftlich gekommen; vor dem Gesetz sind alle gleich.“

      Die für Wenzel Hollmann masslos qualvollen Formalitäten wurden vollzogen. Er brachte kaum ein Ja oder Nein heraus. Totenblass sass er da. Der Müller erbot sich, alles zu zahlen, sowohl den Rückkaufspreis für die konfiszierte Dose, wie auch die ziemlich hohe Strafsumme.

      Endlich konnten wir weiterfahren. Der Müllersohn setzte sich zu seinem gänzlich gebrochenen zukünftigen Schwiegervater, und ich bestieg das Wäglein Liebichs, der die Zügel führte. Als wir ein Stück gefahren waren, sagte der Müller kleinlaut:

      „So is es! Erst macht’s einem einen Heidenspass, einen dummen Streich zu machen, und nachher kommen die Gewissensbisse.“

      „Was haben Sie denn?“

      „Was ich hab’? Ich hab’ — ich hab’ nämlich die Anzeige selber ins Zollamt geschickt.“

      „Sie sind wohl nicht gescheit?“

      „Nee, wahrscheinlich nich! Es kommt mir jetzt so vor, als ob ich ’ne richtige Tracht Prügel verdiente.“

      „Aber um des Himmels willen, warum haben Sie denn das getan?“

      „’s hat mir eben keine Ruh gelassen, ich musst’ ihm noch ’n Streich spielen, ich musst’ ihm noch was versetzen. Ich dachte, wenn wir erst verwandt sind, dann is es nu doch amal auf immer vorbei mit so was, und da hatt’ ich mir das eben so schön ausgetüftelt und dachte, ’s würde a Heidenspass sein. Ich dachte, ich schenk’ ihm die Dose, und wenn a nach Hause fährt, denkt a nich an die Dose und fällt rein, weil a doch eben am Zollamt schon geklemmt is. Ein famoser Witz, dacht’ ich. Aber jetzt — ob a etwa noch Unannehmlichkeiten bei seinen Vorgesetzten haben wird?“

      „Wahrscheinlich. Sicher sogar. Eine Strafversetzung wird wohl das mindeste sein.“

      „Verdammt noch mal, ich bin ein Lausekerl!“

      Liebich kam in arge Gewissensnot.

      „Vor allen Dingen sagen Sie sonst niemand, dass Sie die Anzeige geschickt haben, sonst wird noch das junge Glück zuschanden, und was können die Kinder dafür?“

      „Nee, die können nischt dafür, dass sie solch mordsdämliche Väter haben. Sie halten mich wohl jetzt für einen grossen Esel?“

      Ich schwieg, und er nickte trübe vor sich hin. Schliesslich versprach ich ihm, eine ganz ausführliche Eingabe an die österreichische zuständige Behörde aufzusetzen und darin nachzuweisen, dass es sich bei der ganzen Angelegenheit um einen derben Schabernack gehandelt hätte, an dessen Ausgang der seit Jahrzehnten als goldtreu erprobte Beamte ganz unschuldig gewesen sei. Auch wolle ich versuchen, selbst bei den massgebenden Persönlichkeiten vorstellig zu werden und den Sachverhalt aufzuklären. Liebich meinte, wenn ich das täte, würde er es mir sein Leben lang nicht vergessen, denn die Reue über die elende Geschichte nehme ihm reinweg den Atem.

      Und so ist es gekommen. Die Eingabe und der Besuch taten ihre Wirkung. Wenzel erhielt eine Vorladung und kam mit einer sanften Nase davon. Als Liebich den guten Ausgang erfuhr, kicherte er in tiefstem Vergnügen und sagte zu mir:

      „Ich freu’ mich jetzt doch riesig, dass ich mir den schönen Spass gemacht habe.“

      Einer aber aus der edlen Grenzhäuser-Kumpanei erfuhr noch einen grossen Schmerz, und das war mein Freund, der Hahnenwirt.

      Wieder einmal war der Wenzel bei ihm eingekehrt und hatte seine Dienstkappe auf den Tisch gelegt. Da beschloss der Hahnenwirt seine übliche Bestellung beim „Blauen“ drüben zu machen und steckte wie spielend ein Lindenblatt an die Mütze. Wenzel sah das, nahm das Blatt und zerpflückte es langsam.

      „Warum zerpflückst du denn das hübsche Blättel?“ fragte der Wirt verwundert.

      Da sah ihn der Wenzel an und sagte langsam:

      „’s hat kan Zweck — der „Blaue“ drüben hat jetzt selber kane Regalia media.“

      Wie entgeistert sass der Hahnenwirt vor ihm.

      „Was — was meinst du denn damit?“ stotterte er.

      „Ich meine,“ sagte der Grenzer gemütlich,