Walter Mosley

Der weisse Schmetterling


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      Der weiße Schmetterling

      Kriminalroman

      Aus dem amerikanischen Englisch von Dietlind Kaiser

      Kampa

      Wegen der Geschichten,

      die er immer erzählt,

      widme ich dieses Buch

      Leroy Mosley.

      1

      »Easy Rawlins!«, rief jemand.

      Ich drehte mich um und sah, wie Quinten Naylor den Griff meiner Gartentür drehte.

      »Issy«, krähte meine Kleine, Edna, während sie in ihrem Bettchen neben mir auf der Vorderveranda friedlich mit ihren Füßen spielte.

      Quinten war von normaler Größe, aber breit, und sah kräftig aus. Seine Hände waren so groß wie Topflappen, und seine Schultern waren selbst unter dem Jackett runde Melonen. Quinten war braun, aber unter der Haut war eine Menge Rot. Es war fast, als wäre er vor Zorn rot angelaufen.

      Als Quinten über den Rasen ging, zertrampelte er einen Streifen Schnittlauch, den ich dort seit sieben Jahren anbaute.

      Der Mann mit der heftigen Röte im Gesicht lächelte mich an. Er streckte die fleischige Pranke aus und sagte: »Bin froh, dass ich Sie zu Hause antreffe.«

      »Mhm.« Ich ging die Stufen hinunter, ihm entgegen. Ich schüttelte ihm die Hand und sah ihm in die Augen.

      Als ich nichts sagte, war es dem Sergeant der Polizei von Los Angeles für einen Moment unbehaglich. Er schaute zu mir auf, wollte, dass ich fragte, warum er hier sei. Aber ich wollte nur, dass er verschwand, damit ich wieder zu meiner Frau und meinen Kindern zurückkonnte.

      »Ist das Ihre Kleine?«, fragte er. Quinten kam aus dem Osten, er sprach wie ein gebildeter Weißer aus dem Norden.

      »Ja.«

      »Schönes Kind.«

      »Ja. Und ob.«

      »Und ob«, wiederholte Quinten. »Schlägt bestimmt nach seiner Mutter.«

      »Was wolln Se denn von mir, Officer?«, fragte ich.

      »Ich will, dass Sie mitkommen.«

      »Bin ich festgenommen?«

      »Nein, nein, keineswegs, Mr. Rawlins.«

      Als er mich Mister nannte, wusste ich, dass das Los Angeles Police Department wieder mal meine Dienste brauchte. Von Zeit zu Zeit schickte die Polizei einen ihrer wenigen schwarzen Beamten zu mir, um mich darum zu bitten, Orte aufzusuchen, an die sie sich nicht hin trauten. Wenn die Cops etwas im Getto rauskriegen wollten, war ich so viel wert wie ein ganzes Revier voller Kriminalpolizisten.

      »Und warum soll ich dann sonst wohin mit Ihnen? Verbring den Tag hier mit meiner Familie. Brauch keinen Sonntagsausflug mit den Cops.«

      »Wir brauchen Ihre Hilfe, Mr. Rawlins.« Quintens Farbe unter der braunen Schale wechselte zu blutrot.

      Ich wollte zu Hause bleiben, bei meiner Frau, wollte später mit ihr schlafen. Aber etwas an Naylors Bitte hielt mich davon ab, ihn abzuwimmeln. In der Bitte des Polizisten schwang eine Art Niederlage mit. Schwarze stecken eine Niederlage schwer weg; diesen Feind haben wir fast alle gemeinsam.

      »Wo soll’s denn hingehen?«

      »Es ist nicht weit. Zwölf Blocks. In der Hundertzehnten.« Noch während er sprach, drehte er sich um und ging in Richtung Straße.

      Ich rief in Richtung Haus: »Ich fahr eben mal mit Officer Naylor weg. Bin bald zurück.«

      »Was?«, rief Regina vom Bügelbrett hinter dem Haus.

      »Ich geh für ne Weile weg!«, rief ich. Dann winkte ich meinem zwölf Meter hohen Avocadobaum zu.

      Der kleine Jesus schaute von seinem Sitz dort oben herunter und lächelte.

      »Komm da runter«, sagte ich.

      Der kleine Mexikanerjunge kletterte den Baum herunter und lief mit einem Lächeln auf seinem Gesicht auf mich zu. Er hatte das Gesicht eines uralten Amerikaners, dunkel und weise.

      »Ich will nicht, dass du heute Streifzüge machst, Jesus«, sagte ich. »Bleib hier und pass auf deine Mutter und Edna auf.«

      Jesus schaute auf seine Füße und nickte.

      »Sieh mir ins Gesicht.« Wenn ich mit Jesus sprach, übernahm ich das Reden allein, denn in den acht Jahren, seit denen ich ihn kannte, hatte er noch nie ein Wort gesprochen. Jesus sah mit zusammengekniffenen Augen zu mir auf.

      »Ich will, dass du beim Haus bleibst. Verstanden?«

      Quinten saß in seinem Wagen und schaute auf die Uhr.

      Jesus nickte, sah mir diesmal in die Augen.

      »Gut.« Ich fuhr ihm über seinen flaumweichen Bürstenschnitt und ging zu dem Cop.

      Officer Naylor fuhr mich zu einem leeren Grundstück mitten im 1200er-Block der 110th Street. Davor parkte ein Notarztwagen, flankiert von Streifenwagen. Mir fiel ein leuchtender weißer Lacklederpumps im Rinnstein auf, als wir die Straße überquerten.

      Auf dem Gehweg hatte sich eine Menge versammelt. Sieben weiße Polizisten standen Schulter an Schulter vor dem Grundstück, hielten die Leute fern. Die Stimmung war heiter. Die Polizisten waren ganz locker, rauchten Zigaretten und witzelten mit den Gaffern.

      Das Grundstück zierten zwei verrostete Buicks, die auf kaputten Achsen im Unkraut kauerten. Am hinteren Ende des Grundstücks war eine abgestorbene knorrige Eiche. Quinten und ich gingen durch die Menge. Männer, Frauen und Kinder verrenkten sich die Hälse und schaukelten hin und her. Ein Junge sagte: »Lloyd hat se gesehn. Die is tot.«

      Als wir an der Reihe Polizisten vorbeigingen, packte mich einer am Arm und sagte: »He, Bursche.«

      Quinten bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, und der andere Officer sagte: »Oh, okay. Sie dürfen durch.«

      Auch bloß einer von den vielen Weißen, die ich achselzuckend links liegen gelassen hatte. Seine instinktive Respektlosigkeit und Arroganz spielten so gut wie keine Rolle. Ich wandte mich ab, und er war aus meinem Leben verschwunden.

      »Hier entlang, Mr. Rawlins«, sagte Quinten.

      Vier Polizisten in Zivil standen hinter dem Baum und sahen zu Boden. Ich konnte nicht ausmachen, was es war, das sie so genau betrachteten.

      Ich erkannte einen der Cops. Er war ein stämmiger Weißer, der Typ des Dicken, der überall dick ist, selbst im Gesicht und an den Händen.

      »Mr. Rawlins«, sagte der Stämmige. Er streckte eine gepolsterte Hand aus.

      »Sie erinnern sich bestimmt an meinen Partner«, sagte Quinten. »Roland Hobbes.«

      Inzwischen waren wir um den Baum herum. Da saß eine Frau in einem rosa Partykleid, an der Brust ein Stück weit offen, mit dem Rücken gegen den Stamm gelehnt. Sie hatte die Beine gerade vor sich ausgestreckt, leicht auseinander. Ihr Kopf neigte sich zur Seite, weg von mir, und die Hände lagen mit den Handflächen nach oben neben ihren Oberschenkeln. Am linken Fuß trug sie einen weißen Pumps, der rechte Fuß war nackt.

      Ich erinnere mich an die weiche und kraftstrotzende Hand von Roland Hobbes und an das Insekt, das ich auf der Schläfe der Frau sitzen sah. Ich fragte mich, warum sie es nicht wegwedelte.

      »Freut mich, Sie zu sehen«, sagte ich zu Hobbes, als ich begriff, dass das Insekt ein getrocknetes Blutgerinnsel war.

      Als Roland meine Hand losließ, wandte er sich Quinten zu und sagte: »Selbe Sache.«

      »Wie beide?«, fragte Quinten.

      Roland nickte.

      Die Frau war jung und hübsch. Der Gedanke, sie sei tot, fiel mir schwer. Es sah aus, als könnte sie jeden Augenblick aufstehen, lächeln und mir ihren Namen sagen.

      Jemand flüsterte: »Die Dritte.«