Walter Mosley

Der weisse Schmetterling


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die Fotografen fertig waren – Polizeifotografen, keine Reporter. 1956 war eine Schwarze, die umgebracht worden war, kein Fotomaterial für die Zeitungen.

      Danach stiegen Quinten Naylor, Roland Hobbes und ich in Naylors Chevrolet. Er fuhr immer noch ein Modell Baujahr 1948. Ich stellte ihn mir an seinen freien Tagen vor, in kurzen Ärmeln, wie er sich unter der Haube damit abplagte und abkämpfte, diese Schrottmühle am Laufen zu halten.

      »Kriegt ihr bei der Polizei denn kein Auto?«, fragte ich.

      »Sie haben mich zu Hause angerufen. Ich bin direkt hergekommen.«

      »Und warum kaufen Se sich kein neues Auto?«

      Ich saß auf dem Vordersitz. Roland Hobbes war hinten eingestiegen. Er war ein respektvoller Mensch, immer höflich und korrekt; ich traute ihm nicht die Bohne.

      »Ich brauch kein neues Auto. Das hier ist ganz in Ordnung«, sagte Naylor.

      Ich sah auf den rissigen Vinylsitz zwischen meinen Schenkeln hinunter. Der goldfarbene Schaumstoff quoll unter meinem Gewicht heraus.

      Wir fuhren ein ganzes Stück die Central Avenue entlang. Das war, bevor die ganze Gegend herunterkam. Die Straßen waren sauber, es gab nur wenige Säufer. Zwischen der 110th Street und dem Florence Boulevard zählte ich fünfzehn Kirchen. An dieser Kreuzung lag die Gummifabrik Goodyear. Ein riesiges Gelände mit zwei gigantischen Gebäuden an der Nordseite. Dort stand auch der Hangar für das Goodyear-Firmenflugzeug. Auf der anderen Straßenseite war eine World-Tankstelle. World war ein beliebter Treff für mexikanische Autobastler und Motorradliebhaber, die ihre deutschen Maschinen mit bis zu drei Zentnern Chrom und Klimbim verzierten.

      Naylor fuhr zum Tor der Goodyear-Fabrik und zückte vor dem Wächter seine Marke. Wir fuhren auf einen großen Asphaltparkplatz, auf dem Hunderte von Autos säuberlich in Reihen parkten, als stünden sie zum Verkauf. Dort parkten immer Autos, weil in der Goodyear-Fabrik vierundzwanzig Stunden am Tag gearbeitet wurde, an sieben Tagen in der Woche.

      »Machen wir einen kleinen Spaziergang«, sagte Naylor.

      Ich stieg mit ihm aus. Hobbes blieb auf dem Rücksitz. Er griff nach dem Jet-Magazin, das Naylor dort hinten liegen hatte, und schlug sofort das Klappbild in der Mitte auf, das Foto mit der Schönen im Badeanzug.

      Wir gingen bis zur Mitte des grasigen Geländes. Der Himmel wurde schon ganz dämmrig. Jedes vierte bis fünfte Auto auf dem Boulevard hatte die Scheinwerfer eingeschaltet.

      Ich fragte Quinten nicht, was wir machten. Ich wusste, es musste etwas für ihn Wichtiges sein, wenn er mich damit beeindrucken wollte, dass er Zugang zu diesem noblen Rasen hatte.

      »Haben Sie das mit Juliette LeRoi gehört?«, fragte Quinten.

      Ich hatte von ihr gehört, von ihrem Tod, aber ich fragte: »Wer?«

      »Sie war aus Französisch-Guayana. Hat als Cocktailkellnerin in der Champagne Lounge gearbeitet.«

      »Ja?«, ermunterte ich ihn.

      »Vor etwa einem Monat ist sie ermordet worden. Durchgeschnittene Kehle. Außerdem vergewaltigt. Sie ist in einer Mülltonne in der Slauson Avenue gefunden worden.«

      Es war eine kleine Zeitungsmeldung gewesen. Das Fernsehen und der Rundfunk hatten darüber überhaupt nicht berichtet. Aber die meisten Schwarzen wussten Bescheid.

      »Und dann Willa Scott. Sie war an die Rohre unter einer Spüle gefesselt, als wir sie fanden, in einem leer stehenden Haus in der Hoover Street. Ihr Mund war zugeklebt und ihr Schädel eingeschlagen.«

      »Vergewaltigt?«

      »Sie hatte Sperma im Gesicht. Wir wissen nicht, ob das vor oder nach ihrem Tod passiert ist. Zum letzten Mal ist sie im Black Irish gesehen worden.«

      Ich spürte einen Krampf im Magen.

      »Und jetzt haben wir Bonita Edwards.«

      Ich musterte das Gelände und die Reihen von Fabrikgebäuden am Florence Boulevard dahinter. Während Naylor sprach, wurde es immer dunkler. In der Ferne blinkten Lichter.

      »So heißt die Frau?«, fragte ich ihn. Ich bereute, dass ich mitgekommen war. Ich wollte nicht an diese Frauen denken. Die Gerüchte in der Nachbarschaft waren schlimm genug, aber Gerüchte konnte ich ignorieren.

      »Ja.« Quinten nickte. »Eine Tänzerin, wieder eine Barfrau. Drei Partygirls. Bis jetzt.«

      In der Dämmerung verfärbte sich das Gras von Grün zu Grau.

      Ich fragte: »Und warum reden Se dann mit mir?«

      »Juliette LeRoi hat zwei Tage in der Tonne gesteckt, bis jemand den Gestank gemeldet hat. Die Totenstarre hatte schon eingesetzt. Sie haben die Narben erst gefunden, als die Zeitungsmeldung schon erschienen war.«

      Mein Magen stieß einen leisen Ächzlaut aus.

      »Willa Scott und Bonita Edwards hatten dieselben Narben.«

      »Was für Narben meinen Sie?«

      Quintens Gesicht wurde finster wie die Nacht. »Brandmale«, sagte er. »Von Zigarren, auf … auf den Brüsten.«

      »Also immer derselbe Mann?«, fragte ich. Ich dachte an Regina und Edna. Ich wollte nach Hause, mich vergewissern, dass die Türen abgeschlossen waren.

      Der Polizeibeamte nickte. »Wir glauben, ja. Er möchte, dass wir wissen, was er da tut.«

      Quinten sah mir in die Augen. Hinter ihm wurde L.A. mit einem Zischen zu einem Netz aus elektrischem Licht.

      »Wo schaun Se denn hin?«, forderte ich ihn heraus.

      »Wir brauchen Sie bei diesem Fall, Easy. Er ist übel.«

      »Wen genau meinen Se denn, wenn Se sagen, ›wir‹? Wer is das? Sie und ich? Oder wolln wir noch wen anheuern?«

      »Sie wissen, was ich meine, Rawlins.«

      Früher hatte ich für das illegale Glücksspiel gearbeitet, für Kirchgänger, Geschäftsleute und sogar für die Polizei. Irgendwann im Lauf der Zeit war ich in die Rolle eines V-Mannes hineingeschlittert, der Menschen vertrat, wenn das Gesetz versagte. Und das Gesetz versagte so oft, dass ich genug zu tun hatte. Manchmal versagte es sogar für die Cops.

      Als ich das letzte Mal mit Naylor zusammengearbeitet hatte, brauchte er mich, um einen Killer namens Lark Reeves aus Tijuana wegzulocken. Lark hatte sich in Compton an einem illegalen Würfelspiel beteiligt und an einen weißen Jungen namens Chi-Chi MacDonald, der sich im Milieu herumtrieb, fünfundzwanzig Dollar verloren. Als Chi-Chi sein Geld verlangte, wurde er ein bisschen zu frech, und Lark schoss ihm ins Gesicht. Die Schießerei war nichts Ungewöhnliches, aber die Farbgrenze war überschritten worden, und Quinten wusste, dass ihm der Fall eine Beförderung eintragen konnte, wenn er Lark fasste.

      In der Regel liefere ich der Polizei keinen Schwarzen ans Messer. Aber als Quinten zu mir kam, war ich auf einen besonderen Gefallen angewiesen. Es war eine Woche bevor Regina und ich heiraten wollten, und ihr Cousin Robert Henry saß wegen eines Raubüberfalls im Gefängnis. Robert hatte sich mit einem Ladenbesitzer gestritten. Er sagte, ein Liter Milch, den er bei ihm gekauft habe, sei sauer gewesen. Als ihn der Ladenbesitzer einen Lügner nannte, griff Robert einfach nach einer Dreiliterkanne und ging zur Tür. Der Händler packte Bob am Arm und rief den Kassierer zu Hilfe.

      Bob sagte: »Du hast nen Freund, was? Das geht in Ordnung, denn ich hab ein Messer.«

      Das Messer brachte Bob ins Gefängnis. Sie nannten es einen bewaffneten Raubüberfall.

      Regina liebte ihren Cousin, also machte ich Quinten ein Angebot, als er wegen Lark zu mir kam. Ich sagte ihm, ich würde in Watts ein besonderes Pokerspiel organisieren und dafür sorgen, dass Lark davon Wind bekam. Ich wusste, dass Lark einem guten Spiel nicht widerstehen konnte.

      Poker mit hohem Einsatz brachte Lark nach San Quentin. Er brachte mich nie mit den Cops in Verbindung, die das Spiel auffliegen ließen und ihn zur Identifizierung aufs Revier schleppten.

      Quinten bekam die