Walter Mosley

Der weisse Schmetterling


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ich mich geirrt hatte, was Männer in seiner Position anbelangte. Wenn Captain Violette allein mit mir gewesen wäre, hätte ich etwa zu diesem Zeitpunkt Zähne geschluckt.

      »Wir haben schon eine Liste von Verdächtigen, Easy«, sagte Quinten.

      »Was geht mich das an?«, antwortete ich. »Dann schnappt se doch, steckt se in den Knast.«

      Er erwähnte zwei Namen, die ich kannte. Aber ich sagte ihm, wenn er wisse, wer es gewesen sei, brauche er sich keine Sorgen zu machen.

      »Außerdem überprüfen wir Raymond Alexander«, sagte er.

      Ich spürte, dass alle im Zimmer mich anstarrten.

      »Das soll wohl n Witz sein«, sagte ich. Raymond Alexander, seinen Freunden als Mouse bekannt, war verrückt und ein Killer, kein Zweifel. Er war außerdem für mich das, was einem besten Freund am nächsten kam.

      »Nein, Easy.« Naylor knirschte mit den Zähnen. Er war so wütend, wie ich es auf diese Männer war. »Alexander frequentiert alle Bars, in denen die schwarzen Frauen verkehrten, und er ist bekannt dafür, dass er hinter weißen Frauen her ist.«

      »Er und etwa dreißigtausend andere Schwarze unter achtzig.«

      »Meinen Sie, dass an der Polizeiarbeit etwas auszusetzen ist, Mr. Rawlins?«, fragte Horace Voss.

      »Sie saugen sich einfach Namen aus den Fingern, Mann. Mouse hat keine Frauen umgebracht.«

      »Und wer war’s dann?« Voss’ plumpes Lächeln wirkte nicht ganz menschlich; es ähnelte eher einer Kreuzung zwischen einem hungrigen Bären und einem glücklichen Mann.

      »Woher soll ich das denn wissen?«

      »Ich erwarte von Ihnen, dass Sie es wissen«, sagte Violette. »Falls nicht, werden Sie feststellen, wie schwer das Leben in all der Trübsal hier sein kann.«

      Ein Polizist mit einem Sinn für Poesie.

      »Is das ne Drohung?«

      Violette sah mich finster an.

      »Selbstverständlich nicht, Mr. Rawlins«, sagte Bergman. »Niemand will Ihnen drohen. Wir wollen alle dasselbe. Ein Mann bringt Frauen um und muss vor Gericht gebracht werden. Das wollen wir alle.«

      Quinten stand am Fenster und schaute auf die Straße hinaus. Er wusste, dass ich das Programm absolvieren musste, das mir hier aufgetragen worden war. Captain Violette würde mich in Grund und Boden stampfen, wenn ich es nicht tat. Und Quinten schäumte, weil ich die Hilfe verweigert hatte, als es nur schwarze Opfer gewesen waren. Jetzt, nachdem eine Weiße tot war, war ich bereit zu helfen. Die Luft, die wir atmeten, war angefüllt mit Rassismus.

      »Lassen Se die Pfoten von Raymond Alexander, bis ich mich umgehört hab. Der hat keine Frau umgebracht, und wenn Se ihn festnehmen, nützt das keinem was.«

      »Wenn er schuldig ist, Rawlins, schmort er auf dem Stuhl wie jeder andere«, knurrte Violette.

      »Ich versuch doch nich, wen zu schützen, Mann«, sagte ich. »Lassen Se mich erst mal suchen, wenn Se das wolln, und warten Se paar Tage mit den Festnahmen.«

      Bergman erhob sich, aufrecht und groß. »Dann ist meine Aufgabe hier erledigt. Ich bin mir sicher, Mr. Rawlins, dass die Polizei und der Bürgermeister Ihnen jede Hilfe geben können, die Sie brauchen.«

      Die anderen Männer standen auf.

      Violette wollte mich nicht einmal ansehen, er ging direkt zur Tür. Naylor sah mich an, sagte aber nichts. Bergman lächelte und schüttelte mir herzlich die Hand.

      »Warum sind Sie hier in der Gegend, Mr. Bergman?«, fragte ich.

      »Reine Routine.« Er schob die Unterlippe einen halben Zentimeter vor. »Reine Routine.«

      Horace Voss nahm meine Hand in beide Hände.

      »Rufen Sie mich auf dem siebenundsiebzigsten Revier an«, sagte er. »Ich bin dort, bis der Fall abgeschlossen ist.«

      Dann waren sie alle aus meinem Haus verschwunden.

      Ich hatte seit meiner Hochzeit nicht mehr auf den Straßen herumgeschnüffelt. Ich versuchte, diesen Teil meines Lebens zu begraben. In gewisser Hinsicht war die Suche nach diesem Killer für mich wie eine Auferstehung von den Toten.

      8

      Ich briet zum Mittagessen Blutwurst mit Zwiebeln und machte einen Topf rote Bohnen mit Reis warm. Nach dem Essen mähte ich den Rasen. Er hatte es eigentlich nicht nötig, aber ich wollte mich mit meinem neuen Auftrag anfreunden, und Gartenarbeit beruhigte meine Nerven.

      Offenbar konnte ich nicht an Bonita Edwards denken, ohne dass ich Regina weinen sah. Irgendwie war Reginas Zorn eine Resonanz auf die Tragödie der Toten.

      Ich beschloss, meine Probleme mit Regina beizulegen, wenn ich den Auftrag der Vertreter von L.A. erledigt hatte.

      Aber dann musste ich mich darüber wundern, wie seltsam es war, dass diese wichtigen weißen Männer glaubten, sie müssten zu mir ins Haus kommen, um mich zu rekrutieren.

      Ich hatte schon früher für das Rathaus gearbeitet, aber meistens war ich in die Innenstadt bestellt worden. Sie ließen mich auf einer kalten Marmorbank warten, während sie sich herausputzten und schniegelten. Manchmal wurde ich auf das Polizeirevier bestellt, und mir wurde gedroht, ehe ich um eine Gefälligkeit gebeten wurde. Aber ich hatte noch nie eine Delegation in meinem Haus gehabt.

      Ich hatte Quinten Naylor erwartet, vielleicht mit seinem weißen Assistenten, aber die Leute, die gekommen waren, waren wichtig. Sie waren wichtiger als eine tote Weiße. Frauen wurden ständig umgebracht, und wenn sie nicht gerade unschuldige, im Bett ihrer Ehemänner vergewaltigte Mütter waren, machte die Justiz nicht so ein Riesentheater.

      Ich hatte trotz des Essens ein leeres Gefühl in der Magengrube. Ich füllte das Loch mit drei Bourbons pur. Danach fühlte ich mich ruhiger. Genug Whiskey macht aus einem Tiger eine Miezekatze.

      Um halb zwei war ich bereit zum Aufbruch. Ich hatte graue Hosen und ein graues weit geschnittenes Hemd angezogen. Meine Jackettaufschläge waren knallrot, meine Schuhe aus gelbem Wildleder. Ich gab ein bisschen Gas, und mein neuer Chrysler glitt durch die Nebenstraßen wie eine Jacht durch Binnenlandkanäle.

      An der Kreuzung der Ninety-third und Hooper Street war eine kleine öffentliche Bücherei. Die Bibliothekarin war Mrs. Stella Keaton. Wir kannten uns seit Jahren. Sie war eine Weiße aus Wisconsin. Ihr Mann hatte 1934 einen tödlichen Herzinfarkt gehabt, und ihre beiden Kinder waren im Jahr danach bei einem Brand ums Leben gekommen. Ihr einziger lebender Verwandter war ein älterer Bruder gewesen, der zehn Jahre lang bei der Navy in San Diego stationiert gewesen war. Nach seiner Entlassung zog er nach L.A. Nach den Tragödien im Leben von Mrs. Keaton lud er sie ein, bei ihm zu leben. Ein Jahr danach wurde ihr Bruder, Horton, krank, und nach drei Monaten spuckte er Blut und starb in ihren Armen.

      Mrs. Keaton hatte nur die Zweigstelle der Bücherei in der Ninety-third Street. Sie behandelte die Leute, die dorthin kamen, wie Geschwister und die Kinder wie ihre eigenen. Wenn man Stammkunde in der Bibliothek war, buk sie einem zum Geburtstag einen Kuchen und reservierte die Bücher, die man mochte, unter dem Vordertresen.

      Stella und ich nannten uns beim Vornamen, aber es machte mich unglücklich, dass sie diese Stelle hatte. Ich war unglücklich, weil Stella bei aller Nettigkeit eine Weiße war. Eine Weiße aus einer Gegend, in der es nur weiße Christen gab. Für Stella war Shakespeare ein Gott. Das störte mich nicht, aber was wusste sie über die Volksmärchen, Rätsel und Geschichten, die sich die Schwarzen seit Jahrhunderten erzählten? Was wusste sie über die Sprache, die wir sprachen?

      Ich hörte immer, wie sie Kinder verbesserte. »Nicht ›ich sein‹«, sagte sie. »Das heißt ›ich bin‹.«

      Und natürlich hatte sie recht. Es war nur so, dass schwarze kleine Kinder, die dieser adretten Weißen zuhörten, in deren Worten nie den eigenen Tonfall hören würden. Sie würden mit der Zeit glauben, sie müssten die eigene Sprache und die eigenen Geschichten ablegen,