auszuhalten.« Berger warf einen Blick auf seine Retter, die sich anschickten, ihn von der Steinlast zu befreien. »Zumindest im Moment. Ich schätze, jetzt wird’s erst richtig spannend.«
»Ja, das stimmt. Deshalb seien Sie bitte vernünftig und lassen sich von mir eine leichte Narkose geben. Sie wissen, dass Sie etliche Frakturen haben. Wahrscheinlich hat es ihr linkes Bein besonders schlimm erwischt. Wenn wir Sie bewegen, werden die Schmerzen Sie umbringen.«
Erik lachte kurz auf. »Das hat noch nicht mal diese blöde Explosion geschafft. Aber Sie haben recht, ich muss hier nicht den Helden spielen. Verpassen Sie mir eine Dröhnung und schicken Sie mich ruhig in das Land der Träume. Ist wohl besser, wenn ich von den nächsten Stunden nichts mitbekomme.«
Daniel war froh, dass sich Erik Berger so einsichtig zeigte. »Na dann, Erik, gute Nacht. Wir sehen uns in der Behnisch-Klinik.«
»Sie haben mir ein Einzelzimmer versprochen«, murmelte Erik noch, dann schlief er ein.
Sofort begann die Bergung. Währenddessen blieb Daniel an der Seite seines Patienten. Fee stand derweil am Rettungswagen und beobachtete alles aufmerksam. Nicht eine Sekunde ließ sie dabei Daniel aus den Augen. Die Sorge, dass ihm doch noch etwas geschehen könnte, blieb ihr ständiger Begleiter. Erst als der schwerverletzte Erik Berger auf einer Trage zum Rettungswagen gebracht wurde und sie losfahren konnten, entspannte sie sich ein wenig.
*
Erik kam erst am nächsten Tag auf der Intensivstation zu sich. Von dem Empfang in der Klinik und der anschließenden Operation hatte er nichts mitbekommen.
»Ausgeschlafen, Herr Berger?«, fragte Daniel lächelnd.
»Sieht so aus«, stöhnte er gequält auf. »Mir tut jeder einzelne Knochen höllisch weh. Also scheine ich wieder wach zu sein.«
Daniel schmunzelte. »Normalerweise biete ich meinen Patienten bei diesen Verletzungen etwas Morphium an, aber ich weiß ja, dass es Ihnen lieber ist, die Schmerzen tapfer zu ertragen.«
Erik protestierte: »Wie kommen Sie denn auf diesen Blödsinn? Ich hoffe, Sie verpassen mir eine Extra-Dosis von dem Zeug und sorgen dafür, dass ich erst wieder aufwache, wenn alles verheilt ist.«
Daniel lachte leise. »Sie wissen, dass das nicht möglich ist. Aber die übliche Dosierung werde ich Ihnen natürlich nicht vorenthalten.«
»Danke, Chef. Ich hatte schon befürchtet, Sie lassen mich hier absichtlich leiden, nach all dem Ärger, den wir in der Vergangenheit hatten.«
»Ich bin nicht nachtragend. Genauso wenig wie alle anderen, mit denen Sie immer wieder aneinandergeraten sind. Ich glaube, wie viel Sie ihnen und auch mir bedeuten, haben wir erst gemerkt, als wir dachten, dass wir Sie verlieren würden.« Daniel war ernst geworden. Die angstvollen Stunden, in denen niemand mehr an ein gutes Ende geglaubt hatte, waren plötzlich wieder sehr präsent.
»Sie werden noch zwei Tage hier auf der ITS bleiben müssen, Herr Berger. Danach bekommen Sie das wunderschöne Einzelzimmer, das ich Ihnen versprochen hatte.«
»Ach ja, das Einzelzimmer … Nett, dass Sie sich daran erinnern.«
»Ich glaube, ich werde nichts von dem, was da unten geschehen ist, vergessen können.«
»Nein, ich auch nicht«, stimmte ihm Erik leise zu. »Ich werde mich immer daran erinnern, was Sie für mich getan haben. Sie sind bei mir geblieben, obwohl Sie damit Ihr eigenes Leben in Gefahr gebracht haben. Das … das hätten Sie nicht tun sollen. Sie haben so viel zu verlieren … Freunde, eine Familie … Ich dagegen … ich habe niemanden, der mich vermissen würde.«
»Irrtum!«, erwiderte Daniel energisch. »Ich habe gestern sehr, sehr viele Menschen gesehen, die um Sie gebangt haben und denen Sie gefehlt hätten, wäre die Sache nicht gut ausgegangen. Viele von ihnen warten nur darauf, Sie zu besuchen, um Ihnen das zu sagen.«
»Um Himmels willen!« Erik wirkte ehrlich entsetzt. »Ich hoffe, dass Sie niemanden von denen zu mir lassen. Das hätte mir noch gefehlt. Diese ganze Gefühlsduselei würde mir wahrscheinlich den Rest geben. Dann hätten Sie mich auch gleich da unten lassen können.«
»Keine Angst, Herr Berger«, erwiderte Daniel lachend. »Ich werde persönlich dafür sorgen, dass man Sie in Ruhe lässt.«
»Vielen Dank – wieder einmal. Wahrscheinlich werde ich Ihnen für den Rest meines Lebens dankbar sein müssen. Aber erwarten sie bitte nicht, dass ich deswegen netter und umgänglicher werde. Das liegt mir einfach nicht.«
»Das hätte mich auch sehr gewundert. Bleiben sie einfach, wie Sie sind. Genau so lieben wir Sie nämlich.«
Bergers schockierter Gesichtsausdruck bei Daniels letzten Worten sprach Bände. Noch auf dem Weg in sein Büro musste Daniel schmunzeln, sobald er daran zurückdachte. Er konnte es gar nicht abwarten, seiner Fee davon zu erzählen. Das und noch so vieles mehr. Den restlichen Tag hatte sich Daniel freigenommen, um nur mit Fee zusammen zu sein. Er sehnte sich nach ihr. Es gab nichts, was er mehr wollte, als sie in seine Arme zu ziehen, zu küssen und ihr zu sagen, wie sehr er sie liebte. Wie schnell konnte alles vorbei sein. So vieles bliebe dann ungesagt.
Das kurze Gespräch mit seinem Chef hatte Erik so angestrengt, dass er schnell wieder einschlief. Doch die schrecklichen Erlebnisse nach der Explosion verfolgten ihn bis in seine Träume. Erneut durchlebte er die Panik, die ihn erfasst hatte, als er völlig allein und auf sich gestellt unter den Trümmern gelegen hatte. Die Schmerzen, die sichere Gewissheit, ersticken zu müssen, und die Ängste kehrten dann mit einer Wucht zurück, dass er meinte, sie nicht ertragen zu können. Erst als Maika in seinen Träumen erschien, ihm sanft über die Stirn strich und ihm beruhigend zuflüsterte, dass nun alles wieder gut sei, ließ sein Herzrasen nach, und sein Schlaf wurde friedvoller.
Gegen Mittag wurde er wach. Christina Rohde saß an seinem Bett und las in einem Buch. Er runzelte die Stirn, als ihm einfiel, dass Maikas Stimme, die er im Schlaf gehört hatte, ganz anders geklungen hatte als in seiner Erinnerung. Sollte Frau Rohde etwa …?
»Was machen Sie denn hier?«, versuchte er, sie anzublaffen. Was ihm leider nicht gelang. Mehr als ein heiseres Krächzen kam nicht aus seinem Mund.
Christina lächelte. »Ich mache einen Krankenbesuch.«
»Pah! Gibt es in der Notaufnahme nichts zu tun? Drücken Sie sich hier vor der Arbeit?«
»Ich bin in der Mittagspause, Herr Berger. Und keine Sorge, die Aufnahme wird meine Abwesenheit sicher überstehen. Unsere jungen Assistenzärzte haben alles im Griff. Wenn nicht, wissen sie, wie sie mich erreichen können.« Christina klappte ihr Buch zu. »Wie es aussieht, geht es Ihnen besser, und ich werde hier nicht mehr gebraucht.«
»Nicht mehr? Was meinen Sie damit?«, fragte Erik lauernd und dachte wieder an seine verwirrenden Träume. »Wann habe ich Sie denn je gebraucht?«
»Schon gut, Herr Berger. Ich weiß ja, dass Sie gut allein zurechtkommen. Ich bin vor allem hier, um mich bei Ihnen zu entschuldigen.«
»Sie wollen sich bei mir entschuldigen?«, fragte er ungläubig. »Normalerweise bin ich derjenige, der Abbitte leisten muss. Wenn auch völlig grundlos.«
»Natürlich«, erwiderte Christina mit einem feinen Lächeln. Dann wurde sie ernst. »Ich möchte Ihnen sagen, wie sehr ich es bedauere, dass ich damals zum Chef gegangen bin, um mich über Sie zu beschweren. Wenn ich nicht gewesen wäre … Vielleicht wären Sie nie in diesen Nachtclub gegangen und Sie wären nicht …« Sie schluckte und versuchte, die Tränen fortzublinzeln, die sich ihren Weg suchten.
Berger musterte die Chirurgin. Dann verstand er. Christina Rohde hatte seinetwegen Schuldgefühle! Sie sah ihn so traurig an, dass er fast den Wunsch verspürte, sie in seine Arme zu ziehen und zu trösten. Doch das würde nie passieren.
Stattdessen polterte er los: »Jetzt reicht’s! Ich liege schwerkrank auf einer ITS und muss mir diesen Unsinn anhören. Ich warne Sie, Frau Rohde, ich lass Sie rauswerfen, wenn Sie hier losheulen!«
»Mach ich gar nicht!«, behauptete Christina schniefend.