Roland Stroux

Paarungen


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die Lampe. Das Eheleben ihrer Eltern war zu Ende.

      Zitternd hockte Vera im Dunkeln, innerlich aufgewühlt und äußerlich naß zwischen den Beinen. Das war nun eheliche Liebe gewesen, die sie heimlich und zum ersten Mal miterlebt hatte, sie fühlte sich auf einmal unerträglich einsam.

      Einige Minuten wartete sie noch, dann kletterte sie leise zurück in ihr Zimmer. Doch als sie im Dunkeln durchs Fenster stieg, glitt sie aus und landete mit einigem Krach auf dem Fußboden.

      II.

      Vera kam um Viertel vor drei in den Club. Natürlich war sie schon von zu Hause weggegangen, bevor ihre Mutter aus der Kirche zurückkam. Der Vater hatte ihr Geld für einen Mittagsimbiß in der Stadt gegeben und gesagt, er werde inzwischen versuchen, die Mutter wegen des Clubs zu besänftigen.

      Sie hängte ihre helle Sommerjacke in die Garderobe und ging in den Waschraum, um sich die Haare zu kämmen. Der uralte Spiegel bestätigte ihr, daß sie in der blaßblauen Bluse und ihrer Muschel-Halskette gut aussah, aber trotzdem war sie unsicher und nervös, als sie in den Clubraum ging. Fast hoffte sie, Frank käme gar nicht. Der Raum war nur halb voll, und sie konnte Frank nicht entdecken. Inge winkte ihr vom Sofa aus zu. Sie kaute Gummi und spielte Rommé mit Ernilia, einer dunkelhäutigen Schwestern-Schülerin aus Afrika. Vera setzte sich auf die Armlehne des Sofas und tat so, als sähe sie dem Spiel zu. Minuten später spürte sie eine leichte Berührung an der Schulter und sah Franks erfreutes Gesicht hinter sich. „Grüß dich Vera!“ Sie gab ihm die Hand und fühlte, wie sie rot wurde. Also senkte sie den Kopf und heuchelte Interesse für Inges Spielkarten, damit ihre Haare wie ein Vorhang über die glühenden Wangen fielen und sie so dem wachsamen Blick Franks entzogen.

      Da sagte er: „Magst du mit mir ein bißchen rausfahren? Meine Ma hat mir das Auto geliehen.“ Veras Herz hüpfte. „Gern!“ antwortete sie, schleuderte ihre Haare zurück und strich den roten Schlitzrock glatt. Ihre Knie zitterten. „Tschüß, Inge, Emilia!“ Emilia antwortete mit einem zähneblitzenden Lächeln, Inge aber spottete mit düsterer Miene: „Bleibt brav, ihr zwei, damit mir keine Klagen kommen!“ Vera hätte ihr gern eine freche Antwort gegeben, aber es fiel ihr keine ein.

      Das Auto war vor dem Club geparkt, ein altes, blaues Kabriolett mit zurückgeklapptem Verdeck. „In ‘nem kurzen Jährchen“, bemerkte Frank, als er Veras Jakke auf den Rücksitz legte, „werd’ ich meinen eigenen Untersatz haben!“

      „Was für ‘ne Marke ist denn das?“ fragte Vera, die sich mit Autos schlecht auskannte. „Ein alter Franzose, vorsintflutliches Baujahr, aber geht ab wie ‘ne Rakete. Ma liebt ihn heiß, sie will ihn fahren, bis der Rost ihn gefressen hat!“ antwortete Frank.

      Als sie aus der Stadt waren und eine breite Landstraße entlangfuhren, meinte er: „Hab’ schon befürchtet, dich heute nicht zu treffen. Ist was passiert, nachdem wir neulich getrennt wurden?“ Er grinste.

      „Sie hat mich in mein Zimmer eingesperrt – ohne Essen bis heute vormittag. Ich war glatt am Verhungern, sag ich dir“, antwortete Vera. „Himmel noch mal, was glaubt sie denn, wie alt du bist, zwölf oder dreizehn?“ platzte Frank heraus. „Dann hat sie mir auch noch die Lampe rausgeschraubt, so daß ich nicht mal lesen konnte.“

      Frank sah mit Stirnrunzeln auf die Fahrbahn. „Das ist ja mittelalterlich! Auch was sie mir da alles an den Kopf geworfen hat, was hatte ich eigentlich verbrochen, außer daß ich keinen Bürstenschnitt hab’?“

      „Du? Gar nichts! Ich war’s, sie hat’s schon immer auf mich abgesehen! Tatsache ist, ich hab’ sie angelogen und gesagt, ich ginge mit meiner Freundin ins Kino. Das mußte ich, weil sie mir streng verboten hatte, mich mit Jungen zu treffen.“

      „Mach keine Witze!“

      „Ich wollt, es wär einer! Dann ist ihr noch mein Rock ein Dorn im Auge, sie meint, er wäre schamlos.“

      „Dein Rock ist Spitzenklasse“, sagte Frank ohne hinzusehen, berührte einen Augenblick Veras nackte Knie und pfiff leise.

      „Sie sagt, ich sähe wie eine Dirne aus!“ seufzte Vera.

      „Wie eine Dirne? Wo du das entschieden netteste Mädchen vom ganzen Club bist!“

      „Meinst du?“

      „Meine ich!“ beteuerte Frank.

      Eine Weile schwiegen sie beide und ließen sich den Fahrwind durch die Haare streichen. Das sonnenwarme Band der Straße glitt fast lautlos unter dem Auto weg.

      Schließlich sagte Vera: „Es würde mir ja nichts ausmachen, wenn sie einfach altmodisch wäre, ‘gute alte Zeit’ und so. Aber das ist sie nicht. Sie ist bloß abscheulich zu mir!“

      „Das hat mir ganz danach ausgesehen,“ bestätigte Frank sachlich. „Wie ist denn dein Vater zu dir?

      „Das Gegenteil! Wie ein Engel! Aber sie ist zu ihm genauso gemein wie zu mir. Ein Rätsel ist mir, daß er sich nie dagegen wehrt.“

      Es war wunderbar erleichternd für Vera, mit Frank über ihre Probleme zu reden, wenn sie auch befürchtete, ihn damit zu langweilen.

      „Mach dir nichts draus“, sagte er. „Ab achtzehn kannst du weg von zu Hause!“ „Manchmal glaub’ ich, ich halt’s bis dahin nicht mehr aus!“ bemerkte sie kleinlaut. Eine Weile fuhren sie schweigend. Vera sah, daß die Haut an Franks Händen an manchen Stellen wie imprägniert mit Motoröl war, obwohl er sie offensichtlich sehr gründlich geschrubbt hatte.

      Schließlich sagte er: „Paß mal auf, könntest du nicht einfach zu uns kommen? Meine Mutter hat ein Wohnheim für Studenten, und sie kocht himmlisch.“

      „Aber ich bin kein Student.“

      „Das tut nichts. Du würdest meine Mutter mögen, sie ist ganz modern, mag Popmusik und schließt alle Leute gleich ins Herz. Die Studenten beten sie förmlich an. Die meisten sind vom Polytechnikum.“

      Vera warf einen Blick auf Franks ruhiges Profil, hinter dem die grünen Alleebäume vorbeihuschten, und der Gedanke, mit ihm im selben Haus wohnen zu können, überwältigte sie fast. Es war natürlich traurig, daß sie dann ihren Vater verlassen mußte, aber er würde im selben Stadtviertel ja gar nicht weit entfernt wohnen.

      „Das“, sagte Vera, „wäre eine Idee!“ und sie sah zu, wie die Tachonadel auf hundertzehn stieg. Da lehnte sie sich glücklich an Frank. Der Fahrwind im Gesicht war berauschend, und ihre Haare flogen wie eine Fahne.

      „Ist dir’s auch nicht zu schnell?“ fragte Frank besorgt.

      „Nein, es ist herrlich!“ Vera dachte, wie rücksichtsvoll es von Frank war, sie danach zu fragen, ein anderer hätte sich eher ein Vergnügen daraus gemacht, ihr durch Raserei Angst einzujagen.

      Impulsiv sagte sie: „Frank, ich finde dich wirklich wunderbar!“ Er antwortete nicht, aber sie sah, daß er lächelte. Der Tacho sank auf neunzig, sechzig, dreißig, zehn. Dann hielt der Wagen unter einer Birke an. Der Baum stand auf einem flachen Hügel. Von hier aus sah man auf einen im Dämmerlicht liegenden kleinen See hinunter. Frank zündete zwei Zigaretten an und reichte Vera eine. Sie tat einen tiefen Zug, lehnte den Kopf zurück und genoß das Gefühl von Franks Nähe an ihrer Seite.

      Die Straße und die ab und zu vorbeifahrenden Autos schienen einer anderen Welt anzugehören. Für Vera existierte nichts außer ihrem Sitz in Franks Auto, wo es ein bißchen nach altem Leder und Benzin roch, nach Franks frischgewaschenem Baumwollpullover und ihrem eigenen Parfüm. Sie fühlte sich geborgen und sicher wie nie zuvor.

      „Woran denkst du?“ wollte wissen. Vera seufzte:

      „Ach Frank, ich weiß nicht, ob ich noch lange so weitermachen kann!“ Er bezog das auf ihre Mutter und hatte großes Mitleid mit ihr. „Du mußt aber, Vera,“ redete er ihr zu, „solange du noch nicht volljährig bist.“

      „Innerlich bin ich schon ganz tot!“

      Er musterte sie. Ihr Profil war von klassischer Schönheit, ihr Mund klar geformt, und der dünne Stoff ihrer Bluse zeichnete ihre straffen