Steffen Kirchner

Die mentale Revolution


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erfahren. Wir sind physisch und mental überfordert.

       Exponentieller Wandel vs. lineares Denken

      Schau mal: Unser Gehirn denkt linear – niemals exponentiell. Unsere Welt entwickelt sich aber zurzeit in vielen Bereichen exponentiell. Klar, dass das Gehirn da nicht hinterherkommt und öfter mal »tilt«, wie ein Flipper, den man im Eifer des Gefechts zu sehr geschüttelt hat.

      Stell dir vor, zwei Menschen stehen auf einer Linie und gehen gemeinsam vorwärts. Der eine läuft linear los, der andere exponentiell. Der Erste geht 30 lineare Schritte und kommt so ungefähr 30 Meter weit. Das ist noch ganz einfach und logisch, oder? Was ist nun mit dem Zweiten, der exponentiell unterwegs ist? Den ersten Schritt gehen die beiden noch gemeinsam, beide einen Meter weit. Der Mensch mit dem exponentiellen Gang legt beim nächsten Schritt bereits zwei Meter zurück, beim dritten sind es vier Meter, beim vierten acht, beim fünften 16 und so weiter. Was glaubst du, wo du ihn nach 30 derartigen »Schritten« wiedertriffst? Auf jeden Fall dürfte der ganz schön außer Atem sein. Er hat nämlich gerade die Erde 13-mal umrundet! Hast du damit gerechnet? Rechne das gerne nach, wenn du möchtest.

      Jetzt hast du eine ungefähre Vorstellung davon, was täglich auf uns einprasselt. Wahnsinn, oder?

Ein spannendes Interview, das ich mit dem Gehirnforscher Gerald Hüther zu diesem Thema geführt habe, findest du hier: https://die-mentale-revolution.de/bonusmaterial

      Für Erfolg, und darüber wollen wir ja in diesem Buch sprechen, bedeutet das konkret: Erfolgsfaktoren, die bisher gegolten haben, spielen heute und besonders morgen eine immer geringere oder sogar überhaupt keine Rolle mehr. Wir haben alle gelernt: Wissen, Erfahrung, Durchhaltevermögen und die Viel-hilft-viel-Mentalität bringen uns wirklich weiter. Ich sage dir: Das wird heute und besonders morgen weder für dich persönlich noch für Unternehmen weiterhin gelten.

       Die Erfolgsfaktoren von früher bringen dich nicht weiter.

      Die über 50-Jährigen werden mich wahrscheinlich jetzt abwatschen, besonders beim Thema »Erfahrung«. Schließlich sind sie es in der Regel, die Unternehmen führen und lenken, und das zu einem nicht unerheblichen Teil aufgrund ihrer Erfahrung. Ja, Erfahrung ist auch heute noch eine Zutat, die wir in der Wirtschaft nutzen können und müssen. Aber sie spielt noch nicht einmal mehr im Ansatz die Rolle, die sie einmal hatte, und für die Zukunft ist sie erst recht kein Erfolgsfaktor mehr. Anstatt uns also an ihr und anderen Erfolgsfaktoren der Vergangenheit festzukrallen, müssen wir umdenken und umlernen. Ich zeige dir, warum.

       Erfolgsfaktor der Vergangenheit – Erfahrung

      Bisher verlief Entwicklung stets linear, also Schritt für Schritt. Somit konnten wir Dinge leicht von gestern auf morgen übertragen. Unsere Zukunft verändert sich heute aber in Sprüngen, also exponentiell. Da hilft uns die Erfahrung von gestern nicht mehr, um das Morgen zu berechnen. Die Erfahrung von heute verliert also Tag für Tag an Wert.

      Wir verfügen über keine Erfahrungswerte mit dem, was in der Welt der Zukunft Bestand haben wird. Die Zukunft funktioniert anders, und die meisten von uns wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, weil sie keine Ad-hoc-Lösung parat haben. Früher war klar, wenn du etwas nicht weißt, dann fragst du deine Eltern, deine älteren Geschwister oder deine Lehrer – Menschen, die über die nötige Erfahrung verfügen. Aber genau diese Menschen haben keinerlei Erfahrung mit dem, was zum Beispiel die Jugend heute beschäftigt. Fühlst du dich nicht auch öfter völlig hilflos, wenn deine Kinder oder viel jüngere Kollegen dir Fragen über Dinge stellen, die du nicht kennst oder über die du nicht viel weißt? Sei dir sicher: Du bist nicht der Einzige, dem es so geht. Die Welt steckt in einem Transformationsprozess und erfindet sich in vielen Bereichen ganz neu. Und für transformative Systeme gibt es keine Erfahrungswerte.

      Ein Beispiel: Die sozialen Medien von Facebook über Twitter, Snapchat, Pinterest bis hin zu Instagram gibt es erst seit ein paar Jahren, Facebook zum Beispiel seit 2004. Sie haben unsere zwischenmenschliche Kommunikation in dieser kurzen Zeit aber völlig transformiert. Informationen können plötzlich in Echtzeit vermittelt werden – auch Falschmeldungen. Große Distanzen können überbrückt werden, die sozialen Medien dienen als Werbeplattformen, einigen auch nur als Gelegenheit zum Frustablassen oder als Hilfsmittel zur Selbstdarstellung. Unsere Kinder wachsen mit diesen Medien auf. Aber wir können ihnen nicht beibringen, wie sie damit umgehen sollen. Wir haben keine Erfahrungswerte, ebenso wenig wie Lehrer und Universitätsprofessoren. Wir sprechen die Sprache dieser Medien nicht. Und was passiert, wenn wir versuchen, die Welt von morgen oder auch teilweise schon die Welt von heute mit Erfahrungswerten von gestern zu erklären? Wir kriegen selbstverständlich die falschen Antworten.

       Für transformative Systeme gibt es keine Erfahrungswerte.

      Was meinst du, was das für unser Bildungssystem bedeutet? Richtig! Unsere Bildungsinstitutionen können das, was wir für die Welt von morgen brauchen – teilweise sogar schon das, was wir heute nötig haben – nicht vermitteln. Denn dort unterrichten heute Menschen, die Erfahrungswerte aus der Welt von gestern haben. Sie können also nur Antworten aus der Welt von gestern geben. Und gestern waren die auch richtig. Aber zu den Fragestellungen von heute und morgen passen diese Antworten nicht mehr.

      Das heißt, auch die Rolle der Wissensvermittler muss eine neue sein. Denn ein Lehrer beispielsweise hat heute gar nicht mehr die Möglichkeit, Antworten auf Themen von morgen zu geben, weil sich alles viel zu schnell verändert. Das beeinträchtigt die schulische Kommunikation massiv. Wissen ist heute totes Kapital, weil wir sowieso alles im Internet finden können. Ein Lehrplan kann nie dauerhaft aktuell sein. Dazu müsste man mindestens alle zwölf Monate einen neuen entwerfen. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass das nicht möglich ist. Also müssen wir im Bildungssystem mehr auf Persönlichkeits- und Charakterbildung der jungen Menschen setzen und ihnen Hilfe zur Selbsthilfe geben. Lehrer sind damit weniger Antwortgeber, sondern vielmehr Menschen, die bei den Schülern Interessen wecken und Lust darauf machen, Antworten zu finden.

      Die große Herausforderung ist es heute also, einen Weg zu finden, den Menschen Umgang mit Neuem beizubringen, ohne dabei auf bisherige Erfahrungswerte zurückzugreifen. Deswegen brauchen wir neue Erfolgsfaktoren wie Mut, Veränderungsbereitschaft und die Fähigkeit, uns von alten Vorstellungen zu verabschieden. Und das geht nur, wenn wir eine Fehlerkultur etablieren, die sagt: Du musst Dinge nicht aus Erfahrung richtig machen. Stattdessen muss ein Mindsetwechsel her, der uns zugesteht, immer wieder Fehler zu machen – nur nicht immer die gleichen.

      Wenn du in einem neuen System Fehler machst, dann ist das gar nicht so dramatisch. Du probierst eben einen anderen Weg aus, bis du den richtigen findest. Morgen ist ja ohnehin wieder alles anders. Zweifelst du? Dann schau dir doch mal die Marketingwelt genauer an. Du weißt sicherlich noch, wie das früher war, wenn Firmen und Marken Werbung machen wollten. Es gab eine Werbeagentur, die ihnen gesagt hat, was im Markt funktioniert und was nicht. Heute, in der Onlinewelt, funktioniert dieses System nicht mehr so gut. Der beste Experte der Welt kann nicht mehr vorhersagen, was wo funktionieren wird. Dafür ändern sich das Konsum- und Marktverhalten und auch die Vorlieben der Menschen einfach zu schnell.

      Facebook-Ads sind ein gutes Beispiel dafür, wie man damit umgehen kann. Sie setzen auf »Trial and Error«. Das heißt, man geht mit sogenannten Split-Tests vor. Es wird nicht nur eine Werbung geschaltet, sondern gleich ganz viele mit einem kleinen Budget. Dann testet man, worauf man Resonanz bekommt. So kristallisiert sich die richtige Werbung heraus. Der Markt entscheidet also, was funktioniert. Selbst wenn du bereits seit 15 Jahren im Onlinemarketing bist, kannst du nicht vorhersehen, was läuft und in den Loop geht.

      ÜBRIGENS: Auch meine berufliche Kommunikation hat sich durch die Socials in kürzester Zeit radikal verändert. Es ist erst zwei, drei Jahre her, da konnten wir zusehen, wie die Tickets für meine offenen Seminare verkauft wurden, wenn ein neuer Artikel von mir in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde. Der Medienkonsum der Menschen verändert sich aber so rasant,