warf Deborah einen Blick zu und verdrehte dabei die Augen. Ihr Gesichtsausdruck schien zu besagen: Junge, Junge, beute hat er aber strahlende Laune! Deborah zuckte nur lächelnd die Schultern.
„Irgendwelche Anrufe heute vormittag?“ fragte Frank.
Seine Frage war an Julie gerichtet, die das Telefon bediente.
„Nein Boß, nichts.“
„Jim, was haben Sie inzwischen im Sheldon-Fall herausbekommen?“
Der junge Mann blätterte rasch in einigen Papieren auf seinem Schreibtisch.
„Sechs Vorstrafen hier“, sagte Jim schließlich. „Davor drei in L. A. Wird ‘ne verdammt harte Sache werden.“ „O’Horgan will sie auf freien Fuß haben, also werden wir sie auch herausholen. Schon irgendwelche Vorschläge?“
Jim kratzte sich am Kopf.
„Sie hat ein Baby in Cleveland oder irgendwo.“
„Das genügt. Mehr brauchen wir nicht.“ Der stämmige Italiener lehnte sich über den Schreibtisch und klopfte Jim mit seiner fleischigen Hand auf die Schulter. „Wir werden eine Verhandlung vor einem Geschworenengericht beantragen. Damit gewinnen wir sechs Monate Zeit. Schneller geht’s ja heutzutage nicht mehr. Normalerweise würde das vollkommen genügen, aber dies hier ist nun mal ein ganz spezieller Fall. Man wird die Anklage nicht fallenlassen, weil man weiß, daß es sich um eine von O’Horgans Favoritinnen handelt. Wir werden sie also gegen Kaution herausholen, und wenn man dann in sechs Monaten immer noch gegen uns antreten will, werden wir eine hübsche und rührende Geschichte über die Umstände zusammengebastelt haben, die dieses arme, unterprivilegierte Kind in die Arme der Unterwelt getrieben haben … über ihr bedauernswertes, hungerndes Kind und so weiter und so weiter. Wenn die Geschworenen diese Geschichte gehört haben, werden sie sogar bereit sein, für das beklagenswerte Geschöpf eine Sammlung zu veranstalten!“
Frank wandte sich plötzlich an Deborah.
„Und damit kommen Sie ins Spiel“, sagte er.
„Ich verstehe nicht …“
„Das weiß ich“, unterbrach er sie. „Und deshalb werde ich mit Ihnen zum Lunch gehen. Es gibt da ein paar Dinge, von denen ich Ihnen noch nichts erzählt habe, und ich esse gern, wenn ich lange reden muß.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „Oh, zum Teufel! Ist ja noch ‘n bißchen früh für den Lunch, aber ich habe noch nicht gefrühstückt. Holen Sie also Ihren Mantel.“
Deborah zögerte.
Julie räusperte sich vernehmlich.
Deborah sah auf und verstand sofort, was die andere ihr zu verstehen geben wollte: Tu’s! Widersprich Frank Molino nichst, wenn er dich zum Lunch einlädt! Sie legte das Bündel Papiere, an denen sie eben gearbeitet hatte, beiseite, stand auf und reckte die Arme über den Kopf.
„Ich könnte auch einen Happen zum Essen brauchen“, sagte sie.
„Wie lange sind Sie nun schon bei mir?“ fragte Frank und fummelte schon wieder nach einer dieser krummen, kleinen, italienischen Zigarren, die er fast ständig rauchte.
„Fast zwei Monate“, sagte Deborah.
„Hm … zwei Monate“, machte Frank nachdenklich. „Und? Haben Sie sich schon einigermaßen zurechtgefunden?“
Sie zögerte. Bisher hatte es für sie nicht viel zum Zurechtfinden gegeben. Sie hatte im Büro lediglich Routinearbeit verrichtet, die auch jede andere in zwei, drei Tagen beherrscht hätte. Um sie herum hatte ständig eine erregte Atmosphäre geherrscht. Frank und Jim waren laufend gekommen und gegangen. Sie hatten dabei alle möglichen Fälle besprochen. Aber Deborah hatte eigentlich weiter nichts getan, als sich um die Registratur gekümmert.
„Ja“, sagte sie. „Ich glaube schon.“
„Nun, das wird sich jetzt alles ändern“, sagte er und zog amüsiert die buschigen Brauen hoch, als er Deborahs erstaunten Gesichtsausdruck sah.
„Wie meinen Sie das, Boß?“
„Frank“, sagte er. „Nennen Sie mich Frank.“
„Okay, Frank, Ich verstehe nicht …“
„Ich arbeite Leute gern hübsch langsam ein, lasse sie eine Weile in Ruhe und beobachte sie. Deshalb habe ich Ihnen einen Haufen Arbeit übertragen, die vollkommen unwichtig und bedeutungslos ist, während ich Sie die ganze Zeit über aufmerksam im Auge behalten habe. Ich mag Sie.“
Er senkte einen Moment den Blick.
Deborah errötete flüchtig unter der Anspielung.
„Sie sind in Ordnung“, fuhr Frank fort. „Anfangs war ich ja mißtrauisch. Für Leute wie mich haben Sie … wie sagt man so? … ein wenig zuviel Klasse. Deshalb dachte ich, daß Sie auch für diesen Job nicht in Frage kommen würden. Aber das glaube ich jetzt nicht mehr.“ Er schnippte die Asche von seiner Zigarre. „Hören Sie“, sagte er. „Ich weiß, daß Sie ein kluges Mädchen sind. Deshalb habe ich Sie eingestellt. Sie haben ein College besucht. Auch das respektiere ich. Wirklich, das tue ich. Ich wollte immer selbst hingehen. Ich brauche keine weitere Buchhalterin oder Sekretärin. Das erledigt alles Julie. Was ich brauche, ist Fantasie … und ich glaube, darüber verfügen Sie.“
„Ich verstehe immer noch nicht, Frank …“
„Macht nichts“, sagte er. „Werden Sie schon noch. Im Moment möchte ich von Ihnen nur, daß Sie diese Stadt gut kennenlernen … die Kneipen, die Spelunken, die Slums, die Leute. Tun Sie so, als wären Sie eine Schriftstellerin, die Material sammelt. Ich werde von nun an auch öfters mit Ihnen ausgehen. Aber Ihre Zeit im Büro verbringen Sie mit Lesen. Ich habe einen Haufen alter Zeitungen für Sie bringen lassen. Lesen Sie alles, was Sie über diese Stadt in die Finger bekommen. Machen Sie sich bestens damit vertraut, wie diese Stadt lebt und funktioniert.“
„Aber warum denn?“
Er lächelte.
„Haben Sie gehört, was ich Jim über diese Sheldon-Nutte gesagt habe?“
Sie nickte.
„Da haben Sie ein Beispiel, wofür ich Sie brauche. Sie werden über diese Frau eine Story schreiben, die jede normale Person allein bei dem Gedanken daran, das arme Frauenzimmer ins Gefängnis zu schicken, zusammenschaudern läßt. Sie haben einige Tatsachen, auf die Sie aufbauen können. Suchen Sie sich die geeignetsten Tatsachen heraus, den Rest füllen Sie aus. Für diesen Fall haben Sie etwa sechs Monate Zeit. Machen Sie sich gar nicht erst die Mühe, alles in juristischen Begriffen auszudrücken. Das übernehmen dann schon Jim oder ich.“ Er machte eine Pause und sah sie eindringlich an. Deborah brachte es nicht fertig, seinem Blick standzuhalten.
„Haben Sie mich verstanden?“ fragte er.
„Ja“, anwortete sie leise.
Der Kellner brachte eine große Platte mit Käse, Fleisch und Brot.
„Das freut mich“, sagte Frank. „So, und nun lassen Sie uns essen.“
Nach einigen Minuten sagte Deborah zaghaft: „Da ist nur noch eine Frage …“
„Schießen Sie los“, sagte Frank und stopfte sich eine dicke Scheibe Salami in den Mund.
„Ist sie … schuldig?“
„Schuldig wie die Hölle“, antwortete er, ohne von seinem Teller aufzusehen. „Stört Sie das?“
„Nein“, erwiderte sie.
„Gut“, sagte er. „Dann wäre das also auch erledigt. Aber da ist noch etwas anderes. Ihre Kleidung. Sie sehen viel zu sehr aus wie eine Lehrerin. Das ist gut für Mädchen, die in einer Bank oder bei einem Zahnarzt arbeiten. Aber ich mag ein bißchen Flair, ein wenig Farbe. Sehen Sie also zu, was Sie in dieser Hinsicht tun können.“
Jetzt schoß Deborah das Blut heftig ins Gesicht. Es fiel ihr sehr schwer, ihm jetzt nicht