dieser kurz skizzierten geistigen Evolution ist jeweils auch ein Wandel im Gottesbild verbunden. Ist Gott zunächst der Versorger von Urbedürfnissen, so stehen später Stammesgötter am Ahnenhimmel. In kriegerischen Gesellschaften, die sich durch Abgrenzung definieren, sind Macht- und Kriegsgötter gefragt, in Königreichen eher göttliche Vaterfiguren, Gesetzgeber und Richter. Erst mit der Hinwendung zum Diesseits durch die Naturwissenschaften wird das Gottesbild transzendent und mystisch; jetzt geht es um einen verborgenen Urgrund in der Tiefe des Seins. Nach der Erfahrung der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert wurde Gott häufig als Freund bezeichnet, er war jetzt barmherzig und lahm wie ein zahmer Tiger, »er« war jetzt eine »Sie«, nicht mehr nur Vater, sondern auch Mutter. Jede Zeit hat also ihr Gottesbild, das zugleich Inbegriff einer großen Sehnsucht und Legitimation des Bestehenden oder auch Kritik daran ist. Diese Entwicklung, die über mehr als 50.000 Jahre geht, ist ein Weg von der Magie zur Mystik, also von den allerersten religiösen Stufen bis heute. Und diese Entwicklung muss jeder Mensch durchlaufen, will er nicht im Kinderglauben, also in den ganz frühen Stufen, steckenbleiben.
Magie ist dabei die archaische Vorstellung, dass alles mit allem zusammenhängt und man nur die richtigen Mittel anwenden muss, um das Göttliche nach eigenem Gutdünken zu beeinflussen. Da diese Mittel jedoch auch anderen zur Verfügung stehen, geht mit der Magie immer auch die Angst einher, das Göttliche könne einem Schaden zufügen. Magische Vorstellungen sind demnach immer angstbesetzt und von großer existenzieller Unsicherheit geprägt – das Göttliche erscheint einerseits unheimlich groß, dann aber wieder nützlich und brauchbar und damit klitzeklein, es bleibt unberechenbar und ambivalent.
Mystik ist demgegenüber kein Feld für religiöse Hochleistungssportler oder besonders begabte Gläubige, sondern schlichtweg die konsequente Pflege einer persönlichen Gottesbeziehung. Der Mystiker, die Mystikerin erfährt Gott als ein liebendes, aber auch herausforderndes Du, dem er/sie sich in Freiheit anvertrauen kann. In der Mystik ist Gott der immer Größere, er spricht und hört, er zwingt zu nichts, lässt sich aber auch nicht für eigene Zwecke gebrauchen und damit kleinmachen. Gott ist geheimnisvoll, aber nicht unheimlich; er ist eindeutig, nicht ambivalent. Jeder Mensch, der betet, ist in diesem Sinn ein Mystiker, da er sich auf eine persönliche Beziehung zu Gott einlässt und aus dieser heraus lebt und handelt. Wie gesagt: Beziehungsfähigkeit und Spiritualität sind im Grunde genommen ein und dasselbe, Mystik ist Gottesbegegnung auf Augenhöhe und per Du.
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