bekomme ich einen Riesendurst. Du musst mich zu meinem Glück zwingen.«
Snow begriff, was er damit andeutete, und bestellte noch ein Pale Ale für ihn sowie eine Cola light für sich selbst.
»Bist du zum Weichei geworden, oder was? Wo ist deines?«
»Ich muss fahren.«
»Musst du nicht. Ich sagte, du musst mich zu meinem Glück zwingen, also lass dir auch ein Bier bringen. Kannst heute bei mir übernachten.«
Snow kehrte zum Tresen zurück; er hätte sich eigentlich nicht zweimal auffordern lassen müssen. Als er wieder zum Tisch kam, stellte er außer seinem Pint zwei doppelte Whiskeys ab. »Wenn wir schon trinken, dann richtig.«
Fox hob das Spirituosenglas hoch. »Runter damit, es werden keine Gefangenen gemacht!«
»Damit kennst du dich ja aus.«
Er kniff die Augen zusammen. Kaum jemand anderem hätte er das durchgehen lassen. Die beiden stürzten ihren Whiskey hinunter. Dave schaute von seiner Zeitung auf, sagte aber nichts. Fox trank einen Schluck Bier. »Und was hast du während der letzten zehn und mehr Jährchen so gemacht?«
Snow gab seine eigene Geschichte wieder: Wie er nach seiner Tätigkeit beim »Det« zunächst zum Regiment zurückgekehrt war, um dem ukrainischen SBU zu assistieren, dann eine Schussverletzung erlitten und sich schließlich MI6 angedient hatte.
Fox stieß einen Pfiff aus. »Und ich? Nach der Zeit beim Regiment arbeitete ich sechs Jahre lang für einen Haufen Napfsülzen, wurde vor die Tür gesetzt und musste dann – fast hätte ich's vergessen – drei böse Jungs umlegen, um eine Prinzessin zu retten.«
Weder das eine noch das andere taugte zum herkömmlichen Plausch der Marke »Wiedersehen macht Freude«, doch andererseits konnten sie einander auch nicht als herkömmliche Kollegen ansehen. Trotz des Altersunterschieds zwischen ihnen hatten sie beim SAS zusammengearbeitet und dem Tod gemeinsam ins Auge geblickt. Snow erinnerte sich an jene Nacht in Armagh, als Jimmy McKracken, das damals neuste und seinem Ruf zufolge härteste Mitglied der IRA, sie aus dem Graben gezogen hatte. Fox, dessen Spitzname »Paddy« auf seinen irischstämmigen Vater zurückging, war mit der Weisung, sich als Angehöriger einer anderen Terrorzelle auszugeben, vor Ort als Trumpf eingesetzt worden. Er hatte Snow ordentlich vermöbelt, um seinem Spiel Glaubwürdigkeit zu verleihen, und dabei mit seinem besten Ulster-Akzent gelästert.
Nachdem McKrackens Männer die Bombe am Straßenrand scharfgemacht hatten, waren Fox und Snow zu einem Bauernhaus gebracht worden, wo der Anführer der IRA-Gruppe Fox' Alibi bestätigen wollte – und das in einer Zeit vor dem Siegeszug der Mobiltelefone auf breiter Ebene. Man hatte Snow lädiert mit einem Getreidesack über dem Kopf in eine Scheune geworfen und Fox unterdessen in die Küche geführt. Keiner der beiden war über den Verbleib des jeweils anderen im Bilde gewesen, doch gehandelt hatten sie einvernehmlich.
Snow hatte so getan, als sei er schwerer verletzt als in Wahrheit, und in dem Moment, als ihm der Sack vom Kopf gezogen worden war, hatte er mit einem Bein ausgetreten und dem IRA-Wächter den Boden unter den Füßen weggerissen. Dem jungen Iren war die Luft weggeblieben und die Pistole aus der Hand gerutscht. Snow hatte sich auf ihn gewälzt, ihm mit einer Kopfnuss die Nase gebrochen und die noch gefesselten Hände um den Hals gelegt. Er wollte ihn eigentlich lediglich bewusstlos würgen, aber wegen des Adrenalinschubs in dieser Situation hatte er zu fest zugedrückt.
Das war Snows erste Tötung gewesen – eine schlimme Sache, doch für Reue hatte ihm die Zeit gefehlt. Die Fesseln konnte er mit dem Messer des Unabhängigkeitskämpfers durchtrennen, und nachdem er die Pistole aufgehoben hatte, war er so leise wie möglich zum Bauernhaus geschlichen.
In der Küche hatte man Fox nicht an einem Stuhl festgebunden, sondern von zwei Männern bewachen lassen, als McKracken mit dem Telefon hinausgegangen war. Dank eines Sommers bei seinen Großeltern in der benachbarten Gegend war Fox in der Lage gewesen, seine Aufpasser mit Anekdoten zu unterhalten, bis einer draußen Bewegungen bemerkt hatte. Da war der Gefangene aufgesprungen und hatte dem nächsten Mann zwischen die Beine getreten. Während der eine Terrorist zusammengesackt war, hatte sich Fox sein Sturmgewehr geschnappt. Gleichzeitig hatte Snow durchs Fenster geschossen, zwei 9mm-Patronen in den Schädel des anderen Mannes. Fox war weiter ins Haus gegangen und Snow durch die Tür hereingekommen, um den Liegenden in Schach zu halten, der sich noch seine Hoden gehalten hatte.
Fox hatte Schüsse gehört, doch McKracken war nicht geblieben, um zu kämpfen, sondern mit seinem Chevrolet Cavalier geflohen. Der nächtliche Einsatz war ein Erfolg gewesen. Sie hatten die Bombe entschärft und die übrigen Mitglieder der IRA-Zelle dazu gebracht, wertvolle Informationen herauszugeben. Fox und Snow hatten sich als starkes Team bewährt.
Der Schotte stand nun auf. »Komm, holen wir uns was zu essen.«
»Warum nicht hier?« Snow mochte das hausgemachte Steak- und Nierenfleisch im Fettmantel.
Fox schaute ihn an, als halte er ihn für verrückt. »Du willst noch länger leben, oder?«
Dave, der die Gläser einsammelte, warf ihm einen bösen Blick zu. »Denkt mal an mich. Ihr könnt euch aus der Affäre ziehen, aber meine bessere Hälfte besteht darauf, jeden gottverdammten Tag für mich zu kochen!«
Sie verließen das Lokal und gingen die Hauptstraße hinunter. »Willst du das Auto nehmen?«
Snow verneinte. »Ist ein Gemeinschaftswagen. Würde er abgeschleppt, bekäme ich einen anderen.«
»MI6-Karre mit Radkralle, wäre 'ne prima Schlagzeile für die Abendausgabe des ›Argus‹.« Fox fand seine Scherze selbst am witzigsten. »Also, ich hab Lust auf Indisch.«
Fox ging voraus um die Ecke zum Indian Cottage, tatsächlich einem umgebauten Landhaus aus dem 16. Jahrhundert und nun das Restaurant des besten »Inders« in Shoreham. Dass es wie die meisten mit Speisen aus diesem Kulturkreis Bangladeschern gehörte und auch von diesen betrieben wurde, entging den beiden Veteranen.
***
Snow fuhr aus dem Schlaf hoch, als eine Möwe vorm Zimmerfenster lachte. Mit brummendem Schädel zog er den Reißverschluss des Armeeschlafsacks auf, den er von Fox bekommen hatte – »Maggot«, also Made nannte man sie beim Militär –, und rollte von der Matratze. Er trug nur seine Boxer-Shorts und ein T-Shirt. Als er vorm Fenster stand und hinausschaute, fiel sein Blick auf die andere Straßenseite, und wenn er sich den Hals ein wenig verrenkte, konnte er links Shoreham Beach und den Ärmelkanal sehen. Die ersten Sonnenstrahlen glitzerten auf der Meeresoberfläche. Snow zog seine Jeans an und ging nach unten, um Ibuprofen, Aspirin oder Paracetamol einzuwerfen – irgendetwas, um den Kater zu vermeiden, der sich bald vollends bemerkbar machen würde.
Auf der Treppe hörte er den Wasserkocher blubbern und roch gebratenen Schinkenspeck. Im Erdgeschoss kam ihm Fox mit strahlendem Lächeln entgegen. »Gut gepennt? Du scheinst mit dem Alter nachgelassen zu haben.«
Snow schaute auf die Anzeige der Mikrowelle. 7:15 Uhr. Fox schaltete den Kocher aus und füllte zwei Tassen mit kochendem Wasser. »Hier, um wieder fit zu werden. Milch steht im Kühlschrank.«
»Prost.« Snow gab einen Schuss hinein und reichte die Packung weiter. »Du hast nicht zufällig …«
Fox wusste, was er wollte. »Zweite Schranktür. Da liegt auch noch etwas von dem Pferdebetäubungsmittel, das Tracy für ihr Kreuz bekommen hat.
Snow nahm zwei Schmerztabletten ein und schluckte sie mit heißem Tee hinunter. »Wie fühlst du dich?«
Sein Freund schlug ein Ei an. »Ich? Bestens, aber ich bin ja auch keine englische Tunte. Einmal wenden oder nicht?«
»Nicht.« Eigentlich war Snow noch satt von dem Curry, das sie in der Nacht verputzt hatten.
»Wann rechnen sie denn wieder mit dir in der Spionagezentrale?«
»Bin da flexibel.« Snow trank noch einen Schluck Tee. »Wieso?«
Fox breitete die Arme aus. »Glaubst du, ich würde das alles für eine Handvoll Sand aufgeben?« Der Agent blieb still, während sich ein