Auf See fuhren Motorboote und Jachten neben Barkassen, Touristenschiffen mit Glasboden und Fischkuttern. Dies war das perfekte Umfeld für ein unauffälliges Treffen. Das Nachbarboot mit den britischen Urlaubern schipperte davon, sodass sie außer Hörweite gerieten.
»Ich bin ganz Ohr«, sprach Chalid leise.
Der Tschetschene lächelte, obwohl das, was er sagen wollte, kein Scherz war. »Wir zwei befinden uns jeweils in einer Position, die uns gegenseitige Hilfe ermöglicht. In Ihrem Land leben zahlreiche Verfechter des wahren Glaubens, die Bedenken haben, das Königreich könne die Ungläubigen zu milde behandeln und werde von denjenigen regiert, die sich nur selbst die Taschen stopfen möchten.«
»Diese Ansicht vertreten immer mehr Bürger, das ist kein Geheimnis.«
»Sehr wohl ein Geheimnis ist allerdings der Umstand, dass es solche unter diesen Verfechtern des wahren Glaubens gibt, die bereit sind, unmittelbar dagegen anzugehen.«
Der Saudi machte eine Pause, um an seinem Glas zu nippen, da sein Mund auf einmal regelrecht ausgetrocknet war. »Ja, solche gibt es.«
»Ich würde Sie gern unterstützen.«
Dass sich der Tschetschene so freimütig äußerte, brachte den für gewöhnlich gelassenen Araber leicht aus der Fassung. Er war diesem Mann noch nie zuvor begegnet; sie hatten das Treffen über einen Kanal für KGB-Schläferzellen aus der Sowjetzeit festgelegt – eine Frequenz, von der Chalid nie gedacht hätte, sie je wieder gebrauchen zu müssen. »Sie stehen auch für den Glauben, den wahren Glauben ein?«
Die Antwort kam auf Arabisch: »Ich bin Tschetschene.« Das stimmte zwar nicht, doch er hatte diese Sprache in Tschetschenien gelernt. »Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn eine ungläubige Besatzungsmacht persönliche religiöse Ansichten unterdrückt. Die Gruppe, die ich vertrete, ist einflussreich und wird nicht mehr tatenlos zusehen, wie die Herrschenden unsere muslimischen Brüder im Königreich verspotten.«
»Und was haben Sie zu bieten, mein Bruder?« Der Saudi wechselte nicht von seinem Oxford-Englisch ins Arabische.
»Wenn man mir bestimmte Ziele nennt, kann ich dazu beitragen, Angriffe jeglicher Art sowohl monetär als auch rüstungstechnisch zu fördern.«
»Sie verstehen beruflich etwas davon?«
»Ich wurde in der Spezialeinheit der Armee ausgebildet, mein Bruder.«
Sie mussten ihr Gespräch unterbrechen, weil die Spritzwelle eines Jetski das Boot zum Wackeln brachte. Chalid schaute seinem Gesprächspartner in die Augen. »Ein bestechendes Angebot.«
»Und eines, das Sie annehmen sollten.«
»Wie kommt es, dass Sie über meinen Glauben Bescheid wissen?« Er hegte weiterhin Vorbehalte gegen den Tschetschenen. Dieser hätte sich als Kreuzritter der Christen im Kampf gegen die wahren Gläubigen Einsicht in die Akte seiner Anführer verschaffen können, um ihn zu ergreifen.
»Alexander Williamowitsch meinte, ich solle sagen: Meine Vaterlandsliebe ist so rein wie der Wodka, der mir wichtiger wurde als meine Ehefrau.«
Jetzt grunzte Chalid überzeugt. Der sonderbare Satz – ungelenk und klischeehaft, doch aus ebendiesem Grund zweckmäßig – war ein Code, der belegte, dass der Mann tatsächlich von seinen ehemaligen sowjetischen Auftraggebern kam beziehungsweise deren Segen hatte.
»Wie geht es der alten Schnapsdrossel?«
»Nicht gut. Er wurde ausgerechnet von dem Russen ermordet, dem er diente. Wussten Sie, dass sein Großvater auch aus Tschetschenien stammte?«
Chalid war betrübt. Genau dieser Mann hatte sich an der Universität Oxford als Kommilitone ausgegeben und ihn rekrutiert. »Mein Bruder, ich würde Ihr großzügiges Hilfsangebot gerne annehmen.«
Der Tschetschene nickte und verzog den Mund zu einem kurzen Lächeln. »Wir können sofort zu den Vorbereitungen schreiten, mein Bruder. Ich habe eine Liste von Zielen, die Sie – davon gehe ich jedenfalls aus – angreifen möchten.«
»Ich habe eine eigene«, stellte Chalid gereizt klar. Er ließ sich ungern Vorschriften machen und wollte kein Missverständnis aufkommen lassen. Er selbst würde unabhängig davon, inwieweit dieser Kerl und seine Erfüllungsgehilfen ihm unter die Arme greifen konnten, den Ton angeben.
Damit hatte der Tschetschene gerechnet. Die Araber waren ein stolzes Volk – genauso wie die Russen, dachte er, und ebenso leicht zu beeinflussen, wenn auch schwer kontrollierbar. »Ich versichere Ihnen, mein Bruder, dass ich meine Ziele nur vorschlage, weil ich Informationen darüber besitze, und möglicherweise decken sie sich auch teilweise mit Ihren.«
»Dann sollten wir unsere Listen vielleicht vergleichen, oder?«
»Wie ich sehe, haben Sie bereits an die Familie Al Kabir gedacht.«
Eine von Chalids Augenbrauen zuckte, weil ihn dies überraschte. »Ein misslicher Fehler führte dazu, dass das Mädchen befreit wurde.«
»Ich bin hier, um weiteren misslichen Fehlern vorzubeugen. Unser nächstes Treffen wird in Dubai stattfinden, in einer angemesseneren Umgebung.«
»Inschallah.«
Shoreham Beach, Großbritannien
Ein metallic-grüner Mini Cooper voller Firmenaufkleber hielt vor Fox' Haus an. Der Fahrer stieg aus.
»Mr. McDonald?« Es war ein Immobilienmakler. Jung, mit Anzug und engagiert bei der Sache.
»Genau der bin ich.« Fox, der jetzt eine Baseballmütze trug, gab ihm die rechte Hand, während an seiner linken eine kleine Einkaufstüte baumelte.
»John – John Elgar.«
»Danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten, John.« Er sprach mit breiterem Akzent als üblich.
»War überhaupt kein Problem, Mr. McDonald.« Edgar schwang seinen Schlüsselbund nervös an einem Finger. »Also, wie Sie sehen, ist das eine recht nette, ruhige Straße. Was hat Sie in die Gegend verschlagen?«
»Ich suche eine Bleibe näher an meinem Arbeitsplatz.«
Edgar nickte verständnisvoll. »Gut. Nun, wie Sie ebenfalls sehen, handelt es sich um eine Neubausiedlung. Das älteste Haus wurde, glaube ich, vor drei Jahren gebaut. Sollen wir hineingehen?«
»Bitte, ja.«
»Der Angestellte von Andrews & Sohn öffnete die Tür und machte Platz, um seinem Interessenten den Vortritt zu überlassen. Fox zog den Schlüssel im Vorbeigehen aus dem Schloss.
»Danke, gekauft.«
Edgar war verdutzt, lächelte aber dennoch, bis die Tür zufiel und er ausgesperrt dastand. Fox zwinkerte sich im Spiegel auf dem Flur selbst zu, bevor er zur Küche ging, wobei er die Klingel ignorierte, die der verwirrte Vermittler jetzt drückte. Er griff unters Spülbecken und drehte die Wasserleitung wieder auf. Dann öffnete er den Wandschrank unter der Treppe und stellte den Strom ein. Das Läuten hatte aufgehört; Fox füllte den Wasserkocher am Hahn. Als Edgar an einem der Fenster hinterm Haus auftauchte, hielt Fox die Kanne und einen ausgestreckten Daumen hoch, bevor er den Rollladen hinunterließ.
Tracy wollte ihn nach Strich und Faden bescheißen. Das Haus war bis auf einzelne Gegenstände leer, die sie strategisch zurückgelassen hatte, um es »verkaufen« zu können: Den Herd in der Küche, teure Kochutensilien an ihren Haken und Zeitschriften, die sie nie gelesen hatten, auf dem Kaffeetisch im Eingangsflur. Zum Glück blieben außerdem sowohl der Fernseher als auch die Couchgarnitur zur Vorspieglung erhalten.
Plötzlich kam Fox eine Idee. Er ging schnell zu der Tür, die in die Garage führte, und öffnete sie. Da stand er, sein geliebter Porsche, als habe er sich partout nicht von der Stelle bewegen wollen, still bis zu dem Tag, da er ihn vollständig reparieren würde. Er sah noch genauso aus wie zuletzt, bloß dass er nun von Kisten umgeben war. Fox machte die erstbeste auf und sah, dass Kleider – seine eigenen – darin lagen. Er hob sie auf und nahm sie mit nach oben, wo er duschte, erneut ohne auf die Klingel oder jetzt auch sein brummendes