für seinen Teil wünschte sich harmonische Verhältnisse. Es war Utkin, zwanzig Jahre jünger und heiß auf den Spitzenposten, der seine Macht vermehren wollte. Ein Problem bestand auch darin, dass er zu den Männern des Präsidenten zählte.
Dudka musste feststellen, dass er mit, wie die Presse sie nannte, den »Banditen aus Donezk« arbeitete. Die Allgemeinheit war davon ausgegangen, diese Banditen müssten sich bei den Präsidentenwahlen im Januar verdrängen lassen. Die Allgemeinheit hatte sich getäuscht. Im Zuge der Wahl gewannen sie die stärkste Position überhaupt, eben jene des Staatsoberhauptes der Ukraine.
Als Dudka das Appartementgebäude erreichte, nahm er den Aufzug in den dritten Stock. Seine offizielle Mittagspause war vorbei, also brachte er seinen Hund unter und brach zum Büro auf. Er würde den Fußweg nehmen, statt sich in den Wagen zu setzen – ein Vorteil, wenn man mitten in der Stadt wohnte. Bis dorthin waren es siebzehn Minuten, wenn er die Massen auf dem großen Hauptplatz umging. Nachdem er seine Krawatte geknotet und das Jackett wieder angezogen hatte – beide stammten aus dem staatseigenen Zentralkaufhaus ZUM – verließ er das Gebäude und schloss die Eingangstür.
Seit ihrer Abspaltung von der Sowjetunion hatte sich die Ukraine erheblich und doch überhaupt nicht gewandelt, wie er dachte, während er entlang der Zankovezka-Straße zurückkehrte. Die Geschäfte in der Hauptstadt strotzten vor teuren Importwaren, und der Verkehr im Kern hatte um ein Zehnfaches zugenommen, doch hinter der Fassade zogen noch viele aus dem alten Kader die Fäden. Man mochte dem Kommunismus entsagt haben, war aber im Geiste nach wie vor sowjetisch. Die Gesichter hatten sich auch nicht verändert. Erst die nächste Generation konnte das Land im Wesentlichen umkrempeln, und Dudka befürchtete, dass er mit seinen zweiundsiebzig Jahren nicht mehr lange genug leben würde, um zu sehen, wie seine teure Heimat zu voller Blüte reifte.
Seine Zeit war vorbei, und jetzt blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als sicherzustellen, dass die Ukraine nicht von innen zersetzt wurde, bevor er sie weiterreichen konnte. Sein eigener Schützling Blaschewitsch gehörte zu den Personen, die die Zukunft des SBU gestalten würden. Er war noch keine fünfunddreißig, also jung und nicht von der sowjetischen Vergangenheit geprägt. Zwei Jahre zuvor hatte er sich zum ersten Mal als würdiger Angestellter bewiesen, als er gemeinsam mit Dudka gegen einen internationalen Ring von Waffenschiebern vorgegangen war. Müsste der Bereichsleiter einen guten Mann in der Schlangengrube nennen, die der Geheimdienst geworden war, dann Witalij Blaschewitsch.
Dudka nahm eine Unterführung auf die andere Seite der Kiewer Hauptader Chreschtschatyk und geriet ins Schnaufen, als er die Prorizna-Straße hinaufging. Die Steigungen hielten ihn fit. Er schätzte sich selbst als robust gebaut, aber ganz bestimmt nicht fett ein. Seine verstorbene Frau allerdings, die Ballerina, hatte ihm ständig eine Diät auferlegen wollen! Auf dem Weg bergab kamen ihm zwei amerikanische Geschäftsleute entgegen. Einer gestikulierte gegenüber dem anderen, der nickte und ein ernstes Gesicht machte. Dudka dachte sich nichts dabei. Vor fünfzehn Jahren hätte jeder Ausländer misstrauische Blicke auf sich gelenkt, doch heute kamen immer mehr Handelsreisende in die Ukraine, wenngleich der internationale Tourismus sie erst noch für sich entdecken musste.
Auch das kriminelle Element hatte »internationale Geschäftsdiversifikation« offenbar zu schätzen gelernt. In den Anfangsjahren hatten sich seine Fälle größtenteils auf versuchte oder tatsächliche Erpressung ausländischer Firmenvertreter belaufen, wohingegen es jetzt selten vorkam, da auch Verbrecher versuchten, über die Grenzen hinweg zu expandieren. Dies bereitete Dudka indes mehr Kopfzerbrechen, weil er sich ins Zeug legen musste, um Verbindungen mit den weltweiten Behörden und Interpol zu festigen. Im Augenblick hatte er jedoch überraschend wenige Fälle zu betreuen. Während der vergangenen zwei Monate war nicht viel passiert. Womöglich lagen die Banditen auf der Lauer und warteten darauf, dass sich die Wogen auf der Politbühne glätteten, bevor sie sich auf das lukrativste »Geschäftsmodell« festlegten … oder, so sann Dudka einmal mehr, sie machten vielleicht einfach nur Ferien.
Hauptquartier des SIS, Vauxhall Cross, London, Großbritannien
Snow ging die Treppe hinauf, um seine verspannten Muskeln zu lockern. Da er zu lange im Stau gestanden hatte, war sein linkes Bein steif geworden. Als er die Etage von Patchems Abteilung erreichte und seine Schenkel leicht aufgewärmt waren, durchquerte er das Großraumbüro und öffnete die Tür zum Empfang des »Sowjetressorts«, wie es die älteren Semester unter den Angestellten immer noch liebevoll nannten. Patchems staubtrockene Sekretärin erlaubte ihm mit einem Nicken, das Büro zu betreten. Drinnen bedeutete ihm sein Vorgesetzter, Platz zu nehmen. Durchs breite Fenster aus dickem Glas fiel das Licht der Vormittagssonne, das die Themse von unten spiegelte.
»Paddy Fox.« Patchem redete nicht lange um den heißen Brei.
Snow nickte. Die dramatischen Aufnahmen der Rettungsaktion, die von manchem überdrehten Journalisten als größte Sensationsvideos seit jenen von der Belagerung der iranischen Botschaft angesehen wurden, hatten Fox zu so etwas wie einem Medienphänomen gemacht – umso mehr durch die hoheitliche Gunst von Umar Al Kabir. Durchgesickert war auch, dass Fox SAS-Veteran sei und in beiden Golfkriegen gedient habe. Die Meinungsmacher, die nichts so sehr liebten wie »Actionhelden« zum Anfassen, bellten lauthals wie ein Rudel Wildhunde nach weiteren Informationen und Fotos. Selbst Großbritanniens bekanntester Ex-Soldat des Secret Air Service, der zum Schreiber geworden war, hatte sich in seiner Zeitungskolumne zu Fox' Taten geäußert.
»Ich weiß, Sie gehörten unterschiedlichen Staffeln an und liegen vom Alter her weit auseinander, doch sind sie sich nicht irgendwann im Lauf der Jahre über den Weg gelaufen?«
»Sind wir tatsächlich, ja.«
Snow ging nicht weiter auf die klirrend kalte Nacht in einem Gebüsch im »Räuberland« von South Armagh ein, als sie beide »The Det« angehört hatten, dem geheimdienstlichen Zweig der Royal Ulster Constabulary. Sie waren dort postiert worden, um Informationen zu einer mutmaßlichen neuen IRA-Zelle einzuholen.
»Was halten Sie von ihm?« Patchem schaute Snow eindringlich mit seinen leuchtend blauen Augen an.
»Ich schätze, die meisten mochten ihn, und jeder brachte ihm Respekt …« Der Ressortleiter fuhr mit einem leicht sarkastischen »Ja, ja« dazwischen. Worauf wollte er hinaus?
»Andererseits brannten ihm schnell die Sicherungen durch. Heute würde er den psychologischen Test bei der Musterung zum Regiment nicht bestehen. Der SIS wollte ihn auch nicht haben, obwohl er Arabisch sprach. Hier, sehen Sie sich das an.« Patchem zog eine gelbbraune Aktenmappe aus seinem Koffer, der auf dem Tisch vor ihm lag.
Snow nahm sie und klappte den Deckel auf. Es handelte sich um eine zensierte Fassung der Militärkartei von James Celtic Fox. Als junger Soldat bei den Gordon Highlanders gelangte er mit einundzwanzig in die B-Staffel des 22nd Regiment Special Air Service. Mobile Landwehr, Sprengtrupp. Ebenfalls gelistet waren einige Kampagnen, an denen er teilgenommen hatte, weithin unbekannt außerhalb der Mauern des Regierungspalastes und des SAS. Man hatte längere Abschnitte vorm Fotokopieren der Seiten mit schwarzem Filzstift durchgestrichen.
»Fox schaffte es bei den Highlanders bis zum Corporal, wurde aber wieder zum Private degradiert.«
Snow schaute vom Text hoch. »Ach ja?«
Patchem sprach sachlich weiter. »Er hat seinen Sergeant Major aus einem Fenster geworfen.«
Darüber wunderte sich Snow nicht; bei Paddy rechnete er mit allem.
»Wie es scheint, ertappte er den Typen mit seiner Frau in der Kiste. Beide hatten Glück, denn das Zimmer befand sich im ersten Stock. Aber zur Sache jetzt.« Patchem streckte eine Hand aus, damit ihm Snow die Mappe zurückgab. »Wie die Medien der Welt bereits unbedingt mitteilen mussten, versuchte eine unbekannte Terrororganisation, die Tochter eines Mitglieds der saudischen Königsfamilie zu entführen. Fox vereitelte dies, erschoss drei der Kidnapper und rettete das Mädchen. Bedauerlicherweise wurde dabei auch ein Unbeteiligter schwer verwundet – aber Sie kennen das ja alles aus dem Fernsehen.«
Snow nickte wieder nur.
»Nun ja, dieser Mann – der arglose Unbeteiligte hatte rein zufällig eine Affäre mit Fox' zweiter Ehefrau.«
»Rein