den Anteil am Bruttosozialprodukt, den wir in die Bildung investieren, sowie die Zahl der Bürger, die sich für einen höheren Bildungsweg entscheiden. Weißrussland übertrifft alle GUS-Staaten im verallgemeinerten Human Development Index, dem Maßstab für Wohlstand der Vereinten Nationen. Was soll also das Gerede von einem niedrigeren Lebensstandard. Irrt sich die UN etwa?«
White nickte nur. Der Geheimdienstler wusste eine Antwort auf alles, womit er zwar gepflegte Fernsehunterhaltung bot, aber keinen politischen Scharfsinn bewies. Der Interviewer wollte das Gespräch weiter vorantreiben. Als Nächstes wollte er auf Tourismus zu sprechen kommen und dann das von der Regierung erteilte Auftrittsverbot in Weißrussland für bestimmte »Rockgruppen« anschneiden.
Als sie mit allen Fragen durch waren, nahm der Tontechniker sein Mikrofon zurück und bedankte sich. Swerow starrte White an, der sich mit seinem Zweitregisseur austauschte. Man betraute mehr Personen mit der Produktion dieser Sendung, als der KGB-Mann gedacht hatte, doch andererseits handelte es sich um die BBC, die etwas von ihrem Handwerk verstand, wie er annahm.
Riad, Königreich Saudi-Arabien
Fouad Al Kabir hielt sein mit Diamanten besetztes Vertu-Handy in der rechten Hand und zählte seine Betperlen mit links. Der Anruf kam vom saudischen Botschafter in London persönlich, seinem Bruder. Jinan, seine Älteste, befand sich in Sicherheit! Der Prinz blickte aus dem Fenster seines Büros im Obergeschoss über die Stadt und dankte Allah für die Befreiung seiner Tochter.
»Aber was ist mit ihren Entführern?« Sie mussten zur Rechenschaft gezogen werden.
»Zwei sind geflohen, die anderen tot«, gab Umar Al Kabir an.
»Bist du sicher, dass sie außer Gefahr ist?« Der Jüngere wollte, dass ihm der Ältere Gewissheit verschaffte.
»Fouad, Jinan hat mich selbst angerufen.«
Die Sonne spiegelte sich grell in der Fensterscheibe, während sie über der Wüste unterging, ihr Licht eine Mischung aus Rot- und Goldtönen im Raum. Endlich entspannte sich Fouad, während ihm Umar unterbreitete, was Jinan über ihre Entführung aus der Schule und den Mann erzählt hatte, der wie aus dem Nichts aufgetaucht sei, um sie zu befreien.
»Bruder, das ist ein ehrenwerter Mensch. Er verdient eine Belohnung.«
»Du hast recht«, entgegnete der Botschafter.
»Wo ist meine Tochter gerade?«
»In Sicherheit. Ich werde sie selbst abholen. Als ihr Onkel möchte ich das niemand anderem überlassen. Eine Stunde, dann bin ich bei ihr.«
»Danke dir.«
»Keine Ursache, Bruder, wir sind eine Familie.«
Mit je einem stämmigen Leibwächter an seiner Seite stieg Umar Al Kabir in den Mercedes, seinen Dienstwagen als Diplomat, und wies den Fahrer an, ihn schnellstmöglich nach Brighton zu bringen. Er sollte sich weder um Geschwindigkeitsbegrenzungen noch Blitzer oder die Verkehrspolizei kümmern. Immerhin hatte jemand versucht, ein Mitglied der königlichen Familie Saudi-Arabiens zu kidnappen! Als er bequem auf dem Ledersitz saß, wählte der Botschafter eine Nummer in Whitehall, die nur sehr wenige kannten, und wurde gleich mit dem britischen Innenminister verbunden.
»Robert, Umar hier. Ich habe merkwürdige wie besorgniserregende Neuigkeiten für Sie. Jemand wollte meine Nichte entführen.«
Hochsicherheitspolizeistation Paddington Green, London
Nachdem sie ihn in der Zelle abgesetzt hatten, wurden seine Personalien überprüft, während Fox versuchte, sich über die Ereignisse des Tages klar zu werden. Er hatte drei Männer erschossen, einen vierten verletzt, einen Teenager gerettet und seine Ehe beendet – alles innerhalb weniger Minuten. Die Polizei war eingetroffen und die Straße abgesperrt worden. Fox hatte sich ihnen mit erhobenen Händen ergeben und die überlebenden Täter sowie ihren Mondeo beschrieben. Den Beamten war seine Festnahme jedoch anscheinend wichtiger gewesen, weil er die Leichen auf der Straße zu verantworten hatte. Drei Stunden später nun hockte er in der abgesicherten Polizeistelle und wurde wie ein Schwerverbrecher behandelt.
Als er noch einmal alles Revue passieren ließ, fiel ihm Sawyer wieder ein. Fox hatte das Gesicht des Mannes gesehen und ihn wiedererkannt – der Moment, da all sein Zorn, der ganze Frust durch seinen rechten Arm in den Zeigefinger am Abzug geströmt war. Es handelte sich nicht um einen Unfall, sondern um vorsätzlichen Mord. Das zu beweisen mochte allerdings nicht leicht sein. Sawyer war ihm in die Quere gekommen, während eines Schusswechsels in Paddys Sichtlinie gelaufen und darum das unglückselige Opfer eines »Kreuzfeuers«.
Wie stand es um die Handyvideos der Kids? Die Tatsache, dass Sawyer gemeint hatte, davonlaufen, also Tracy im Stich lassen zu müssen, bewies seinen Mangel an Schneid. Und Tracy selbst? Fox konnte nie mehr zu ihr zurückkehren, nun da sie ihn betrogen hatte, selbst wenn sie ihm verzieh, ihren Liebhaber abgeknallt zu haben. Es gab nichts, was er höher schätzte als Treue. Er war nicht bereit, darüber hinwegzusehen, wenn jemand sie brach. Das hatte er früher nicht getan und würde sich auch jetzt nicht dazu herablassen. Sawyer zu töten war herbe Gerechtigkeit gewesen, aber seiner Ansicht nach eben auch nichts weniger als das: gerecht. Tracy würde sich damit abfinden und einen Schlussstrich ziehen müssen.
Fox schüttelte den Kopf und kicherte böswillig vor sich hin. Mensch, so lebendig wie in jener Minute hatte er sich nicht mehr gefühlt, seit er aus dem Regiment ausgeschieden war – euphorisch wie ein Boxer nach einem gewonnenen Comeback-Kampf um den Weltmeistertitel. Er hatte getötet, aber auch – und das war der springende Punkt – einen Menschen gerettet, genauer gesagt eine unschuldige Schülerin. Im allgemeingültigen Buch der »guten und schlechten Taten« stand dies an höherer Stelle als die Unschädlichmachung eines Terroristen … und glich den Mord an einem Schürzenjäger aus: An Sawyer, einem armseligen Wicht, der nicht nur seine eigene Frau betrogen, sondern auch einem anderen Mann die seine ausgespannt hatte. Davon war er überzeugt.
Lediglich die Witwe seines Ex-Chefs tat ihm leid; Kinder hinterließ der Kerl ja nicht. Fox war kein religiöser Mensch, setzte sich aber in solchen Situationen, also wenn er getötet hatte, stets hin und machte sich Gedanken. Indes markierte dies das erste Mal, dass er einen Mann niedergeschossen hatte, der ihm nicht lebensbedrohlich geworden, sondern ein unbewaffneter Zivilist gewesen war. Sein erster mutwilliger Mord? Möglicherweise, doch das hatte man ihm noch nicht bestätigt.
Als die Zellentür aufging, wurde er in seinen Überlegungen gestört. Ein uniformierter Polizist mit grauem Haaransatz an den Schläfen zeigte auf Fox. »Stehen Sie auf und folgen Sie mir.«
Er erhob sich und verließ den Raum, woraufhin ein zweiter Beamter absperrte. Zu dritt gingen sie unter kaltem Licht durch den Flur zu einem Verhörzimmer. Die Tür wurde von innen geöffnet, dann führte man ihn hinein. An einem Metalltisch saßen zwei weitere Polizisten.
»Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Fox.« Hauptkommissar Mincer war fünfundfünfzig Jahre alt und hatte ein rundliches Gesicht, das für gewöhnlich einen beruhigenden Eindruck auf diejenigen machte, die er befragte. Für Mitglieder der Antiterroreinheit waren dies beneidenswerte Eigenschaften. Paddy setzte sich, und Mincer schaltete den Bandrekorder ein.
»Verhör von James Celtic Fox. Anwesende Kollegen sind Detective Constable Flynn und Detective Chief Inspector Mincer.«
Fox schmunzelte, als er den zweiten Namen hörte, denn so nannte man landläufig auch Schwuchteln. Der Hauptkommissar schaute ihn an, als wolle er sagen: »Sparen Sie sich das, hab ich schon tausendmal gehört.«
»Häftling hat angebotene Rechtsberatung ausgeschlagen.« Mincer begann mit der Vernehmung. »Mr. Fox, darf ich Sie James nennen?«
»Das tut nur meine Mutter. Ich heiße Paddy.«
»Dann eben Paddy, ja?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.«
»Paddy, wir haben die Informationen überprüft, die Sie unserem Sergeant gaben, und ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
»Schießen Sie los.«
Mincer fuhr mit dem