Witichis verlor ihn nicht aus dem Auge und ließ nicht von ihm ab. Wie dicht er sich unter seinen Reitern barg, wie rasch er floh, – er entging nicht dem Blicke des Königs, der alles erschlug, was sich zwischen ihn und den Mörder seines Sohnes drängte.
Knäuel auf Knäuel, Gruppe auf Gruppe löste sich vor dem furchtbaren Schwert des rächenden Vaters: die ganze Masse der Hunnen war quer geteilt von dem Flüchtenden und seinem Verfolger. Sie vermochte nicht, sich wieder zu schließen. Denn ehe noch Totila ganz heran war, hatte der alte Bannerträger mit Reitern und Fußvolk ihre rechte Flanke durchbrochen, in zwei Teile gespalten.
Als Totila ansprengte, hatte er nur noch Flüchtlinge zu verfolgen. Der Teil zur Rechten wurde alsbald von Totila und Hildebrand in die Mitte genommen und vernichtet.
Der größere Teil zur Linken floh zurück auf Belisar.
Calpurnius jagte indessen, wie von Furien gehetzt, über das Schlachtfeld. Er hatte einen großen Vorsprung, da sich Witichis siebenmal erst hatte Bahn hauen müssen. Aber ein Dämon schien Boreas, des Goten Roß, zu treiben. Näher und näher kam er seinem Opfer. Schon vernahm der Flüchtling den Ruf, zu stehen und zu fechten. Noch hastiger spornte er sein Pferd. Da brach es unter ihm zusammen. Noch bevor er sich aufgerafft, stand Witichis vor ihm, der vom Sattel gesprungen war. Er stieß ihm, ohne ein Wort, mit dem Fuß das Schwert hin, das ihm entfallen. Da faßte sich Calpurnius mit dem Mut der Verzweiflung.
Er hob das Schwert auf und warf sich mit einem Tigersprung auf den Goten. Aber mitten im Sprung stürzte er rücklings nieder.
Witichis hatte ihm die Stirn mitten entzweigehauen. Der König setzte den Fuß auf die Brust der Leiche und sah in das verzerrte Gesicht. Dann seufzte er tief auf: «Jetzt hab’ ich die Rache. O hätt’ ich mein Kind.»
Mit Ingrimm hatte Belisar die so ungünstige Eröffnung des Kampfes mit angesehen. Aber seine Ruhe, seine Zuversicht verließ ihn nicht, als er Ambazuchs und Bessas’ Armenier weggefegt, als er des Calpurnius Reiter durchbrochen und geworfen sah.
Er erkannte jetzt die Übermacht und Überlegenheit des Feindes. Allein er beschloß, auf der ganzen Linie vorzurücken, eine Lücke lassend, um den Rest der fliehenden Reiter aufzunehmen.
Jedoch scharf bemerkten dies die Goten und drängten, Witichis voran, Totila und Hildebrand, welche die Umzingelten vernichtet hatten, folgend, den Flüchtlingen jetzt so ungestüm nach, daß sie mit ihnen zugleich die Linie Belisars zu erreichen und zu durchdringen drohten.
Das durfte nicht sein. Belisar füllte diese Lücke selbst durch seine Leibwache zu Fuß und schrie den fliehenden Reitern entgegen, zu halten und zu wenden.
Aber es war, als ob die Todesfurcht ihres gefallenen Führers sie alle ergriffen hätte. Sie scheuten das Schwert des Gotenkönigs hinter sich mehr als den drohenden Feldherrn vor sich: und ohne Halt und Fassung rasten sie, als wollten sie ihr eignes Fußvolk niederreiten, im vollen Galopp heran.
Einen Augenblick – ein furchtbarer Stoß: – ein tausendstimmiger Schrei der Angst und Wut, – ein wirrer Knäuel von Reitern und Fußvolk minutenlang, – darunter einhauende Goten: und plötzlich ein Auseinanderstieben nach allen Seiten unter gellendem Siegesruf der Feinde. –
Belisars Leibwache war niedergeritten, seine Hauptschlachtlinie durchbrochen. – Er befahl den Rückzug ins Lager.
Aber es war kein Rückzug mehr: es war eine Flucht. Hildebads, Guntharis’ und Tejas Fußvolk waren jetzt auf dem Schlachtfeld eingetroffen. Die Byzantiner sahen ihre Stellung im ganzen geworfen: sie verzweifelten am Widerstand, und mit großer Unordnung eilten sie nach dem Lager zurück. Gleichwohl hätten sie dasselbe noch in guter Zeit vor den Verfolgern erreicht, hätte nicht ein unerwartetes Hindernis alle Wege gesperrt.
So siegesgewiß war Belisar ausgezogen, daß er das ganze Fuhrwerk, die Wagen und das Gepäck des Heeres, ja selbst die Herden, die ihm nachgetrieben wurden nach der Sitte jener Zeit, den Truppen auf allen Straßen zu folgen befohlen hatte. Auf diesen langsamen, schwer beweglichen und schwer zu entfernenden Körper stießen nun überall die weichenden Truppen, und grenzenlose Hemmung und Verwirrung trat ein.
Soldaten und Troßknechte wurden handgemein: die Reihen lösten sich zwischen den Karren, Kisten und Wagen. Bei vielen erwachte die Beutelust, und sie fingen an, das Gepäck zu plündern, ehe es in die Hände der Barbaren falle. Überall ein Streiten, Fluchen, Klagen, Drohen: dazwischen das Krachen der Lastwagen, die zerbrochen wurden, und das Blöken und Brüllen der erschrockenen Herden.
«Gebt den Troß preis! Feuer in die Wagen! Schickt die Reiter durch die Herden!» befahl Belisar, der mit dem Rest seiner Leibwachen in guter Ordnung mit dem Schwert sich Bahn brach. Aber vergebens. Immer unentwirrbarer, immer dichter wurde der Knäuel: – nichts schien ihn mehr lösen zu können.
Da zerriß ihn die Verzweiflung.
Der Schrei, «die Barbaren über uns!» erscholl aus den hintersten Reihen. Und es war kein leerer Schreck. Hildebad mit dem Fußvolk war jetzt in die Ebene hinabgestiegen, und seine ersten Reihen trafen auf den wehrlosen Knäuel.
Da gab es eine furchtbare wogende Bewegung nach vorn: ein tausendstimmiger Schrei der Angst – der Wut – des Schmerzes der Angegriffenen, der Leibwachen, die, alter Tapferkeit gedenk, fechten wollten und nicht konnten: – der Zertretenen und Zerdrückten – und plötzlich stürzte der größte Teil der Wagen, mit ihrer Bespannung und mit den Tausenden, die darauf und dazwischen zusammengedrängt waren, mit donnerndem Krachen links und rechts neben der Hochstraße.
So ward der Weg frei. Und unaufhaltsam, ordnungslos ergoß sich der Strom der Flüchtigen nach dem Lager. –
Mit lautem Siegesgeschrei folgte das gotische Fußvolk, ohne Mühe mit den Fernwaffen, mit Pfeilen, Schleudern und Wurfspeeren, in dem dichten Gewühl seine Ziele treffend, während Belisar mit Mühe die unaufhörlichen Angriffe der Reiter Totilas und des Königs abwehrte. «Hilf, Belisar», rief Aigan, der Führer der massagetischen Söldner, aus dem eben gesprengten Knäuel heranreitend, das Blut aus dem Gesicht wischend: «meine Landsleute haben heut’ den schwarzen Teufel unter den Feinden gesehen. Sie stehn mir nicht. Hilf: dich fürchten sie sonst mehr als den Teufel!»
Mit Knirschen sah Belisar hinüber nach seinem rechten Flügel, der aufgelöst über das Blachfeld jagte, von den Goten gehetzt.
«O Justinianus, kaiserlicher Herr, wie erfüll’ ich schlecht mein Wort!»
Und die weitere Deckung des Rückzugs ins Lager dem erprobten Demetrius überlassend – denn das hügelige Terrain, das jetzt erreicht war, schwächte die Kraft der verfolgenden Reiter –, sprengte er mit Aigan und seiner berittenen Garde querfeldein mitten unter die Flüchtenden.
«Halt!» donnerte er ihnen zu, «halt, ihr feigen Hunde. Wer flieht, wo Belisar streitet?
Ich bin mitten unter euch, kehrt und siegt!»
Und aufschlug er das Visier des Helmes und zeigte ihnen das majestätische, das löwengewaltige Antlitz.
Und so mächtig war die Macht dieser Heldenpersönlichkeit, so groß das Vertrauen auf sein sieghaftes Glück, daß in der Tat alle, welche die hohe Gestalt des Feldherrn auf seinem Rotscheck erkannten, stutzten, hielten und mit einem Ruf der Ermutigung sich den nachdringenden Goten wieder entgegenwandten. An dieser Stelle wenigstens war die Flucht zu Ende.
Da schritt ein gewaltiger Gote heran, leicht sich Bahn brechend. «Heia, das ist fein, daß ihr einmal des Laufens müde seid, ihr flinken Griechlein. Ich konnt’ euch nicht mehr nach vor Schnaufen. In den Beinen seid ihr uns überlegen. Laßt sehn, ob auch in den Armen. Ha, was weicht ihr, Burschen!
Vor dem, auf dem Braunscheck? Was ist’s mit dem?»
«Herr, das muß ein König sein unter den Welschen, kaum kann man sein zornig Auge tragen.»
«Das wäre! Ah – das muß Belisarius sein! Freut mich», schrie er ihm hinüber, «daß wir uns treffen, du kühner Held. Nun spring vom Roß und laß uns die Kraft der Arme messen. Wisse, ich bin Hildebad, des Tota Sohn. Sieh, auch ich bin ja zu Fuß. Du willst nicht?» rief er zornig. «Muß man dich vom Gaule holen?»