Felix Dahn

Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane


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«sich nicht mit uns hier einsperren zu lassen. Wir haben nur so viel, als wir brauchen, sie zu schlachten. Sie können unmöglich erst Mühlen drehen und dann noch Fleisch genug haben, das gemahlene Brot selbst zu belegen.»

      «So rufe mir Martinus. Ich habe gestern an dem Tiber, die Gotenzelte zählend, zugleich einen Gedanken gehabt… –»

      «Den Martinus wieder aus dem Belisarischen in das Mögliche übersetzen muß. Armer Mann! Aber ich gehe, ihn zu holen.»

      Als aber am Abend des gleichen Tages Belisar und Martinus durch zusammengelegte Boote im Tiber die erste Schiffsmühle herstellten, welche die Welt kannte, da sprach bewundernd Prokopius: «Das Brot der Schiffsmühle wird länger die Menschen erfreun, als deine größten Taten. Dies so gemahlene Mehl schmeckt nach Unsterblichkeit.» Und wirklich ersetzten die von Belisar erdachten, von Martinus ausgeführten Schiffsmühlen den Belagerten während der ganzen Dauer der Einschließung die gelähmten Wassermühlen.

      Hinter der Brücke nämlich, die jetzt Ponte San Sisto heißt, auf der Senkung des Janiculus, befestigte Belisar zwei Schiffe mit Seilen und legte Mühlen über deren flaches Deck, so daß die Mühlenräder durch den Fluß, der aus dem Brückenbogen mit verstärkter Gewalt hervorströmte, von selbst getrieben wurden.

      Eifrig trachteten alsbald die Belagerer, diese Vorrichtungen, die ihnen Überläufer schilderten, zu zerstören. Balken, Holzflöße, Bäume warfen sie oberhalb der Brücke von dem von ihnen beherrschten Teil aus in den Fluß und zertrümmerten so in einer Nacht wirklich alle Mühlen. Aber Belisar ließ sie wieder herstellen und nun oberhalb der Brücke starke Ketten gerade über den Fluß ziehen und so auffangen, was die Mühlen bedrohend herabtrieb.

      Nicht nur seine Mühlen sollten diese eisernen Stromriegel decken: sie sollten auch verhindern, daß die Goten auf Kähnen und Flößen den Fluß herab und, ohne die Brücke, in die Stadt drängten.

      Denn Witichis traf nun alle Vorbereitungen zum Sturm.

      Er ließ hölzerne Türme bauen, höher als die Zinnen der Stadtmauer, die auf vier Rädern von Rindern gezogen werden sollten. Dann ließ er Sturmleitern in großer Zahl beschaffen und vier furchtbare Widder oder Mauerbrecher, die je eine halbe Hundertschaft schob und bediente. Mit unzähligen Bündeln von Reisig und Schilf sollten die tiefen Gräben ausgefüllt werden.

      Dagegen pflanzten Belisar und Cethegus, jener im Norden und Osten, dieser im Westen und Süden die Verteidigung der Stadt überwachend, Ballisten und Wurfbogen auf die Wälle, die auf große Entfernung balkenähnliche Speergeschosse schleuderten, mit solcher Kraft, daß sie einen gepanzerten Mann völlig durchbohrten. Die Tore schützten sie durch «Wölfe», d. h. Querbalken, mit eisernen Stacheln besetzt, die man auf die Angreifer niederschmettern ließ, wann sie dicht bis an das Tor gelangt waren. Und endlich streuten sie zahlreiche Fußangeln und Stachelkugeln auf den Vorraum zwischen den Gräben der Stadt und dem Lager der Barbaren.

      Neuntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Trotz alledem, sagten die Römer, hätten längst die Goten die Mauern erstiegen, wäre nicht des Präfekten Egeria gewesen.

      Denn es war merkwürdig: sooft die Barbaren einen Sturm vorbereiteten –: Cethegus ging zu Belisar und warnte und bezeichnete im voraus den Tag. Sooft Teja oder Hildebad in kühnem Handstreich ein Tor zu überrumpeln, eine Schanze wegzunehmen gedachten: – Cethegus sagte es vorher, und die Angreifer stießen auf das Zweifache der gewöhnlichen Besatzung der Punkte. Sooft in mächtigem Überfall die Kette des Tibers gesprengt werden sollte: Cethegus schien es geahnt zu haben und schickte den Schiffen der Feinde Brander und Feuerkähne entgegen.

      So ging es viele Monate hin. Die Goten konnten sich nicht verhehlen, daß sie, trotz unablässiger Angriffe, seit Anfang der Belagerung keinerlei Forstschritte gemacht.

      Lange trugen sie diese Unfälle, die Entdeckung und Vereitelung all ihrer Pläne, mit ungebeugtem Mut. Aber allmählich bemächtigte sich nicht bloß der großen Masse Verdrossenheit, insbesondere da Mangel an Lebensmitteln fühlbar zu werden begann, – auch des Königs klarer Sinn wurde von trüber Schwermut verdüstert, als er all seine Kraft, all seine Ausdauer, all seine Kriegskunst wie von einem bösen Dämon vereitelt sah. Und kam er von einem fehlgeschlagenen Unternehmen, von einem verunglückten Sturm, matt und gebeugt, in sein Königszelt, so ruhten die stolzen Augen seiner schweigsamen Königin mit einem ihm unverständlichen, aber grauenvoll unheimlichen Ausdruck auf ihm, daß er sich schaudernd abwandte.

      «Es ist nicht anders», sagte er finster zu Teja, «es ist gekommen, wie ich vorausgesagt. Mit Rauthgundis ist mein Glück von mir gewichen, wie die Freudigkeit meiner Seele. Es ist, als läge ein Fluch auf meiner Krone. Und diese Amalungentochter wandelt um mich her, schweigend und finster, wie mein lebendiges Unglück.»

      «Du könntest recht haben», sprach Teja. «Vielleicht lös’ ich diesen Zauberbann. Gib mir Urlaub für heut’ nacht.»

      Am selben Tage, fast in derselben Stunde, forderte drinnen in Rom Johannes, der Blutige, von Belisar Urlaub für diese Nacht. Belisar schlug es ab. «Jetzt ist nicht Zeit zu nächtlichen Vergnügen», sagte er.

      «Wird kein groß Vergnügen sein, in der Nacht zwischen alten feuchten Mauern und gotischen Lanzen einem Fuchs nachzuspüren, der zehnmal schlauer ist als wir beide.»

      «Was hast du vor?» fragte Belisar, aufmerksam werdend.

      «Was ich vorhabe? Ein Ende zu machen der verfluchten Stellung, in der wir alle, in der du, o Feldherr, nicht zum mindesten stehst. Es ist schon alles ganz recht. Seit Monaten liegen die Barbaren vor diesen Mauern und haben nichts dabei gewonnen. Wir erschießen sie wie Knaben die Dohlen vom Hinterhalt und können ihrer lachen. Aber wer ist er eigentlich, der all dies vollbringt? Nicht, wie es sein sollte, du, des Kaisers Feldherr, noch des Kaisers Heer: sondern dieser eisige Römer, der nur lachen kann, wenn er höhnt. Der sitzt da oben im Kapitol und verlacht den Kaiser und die Goten und uns und, mit Verlaub zu sagen, dich selber am meisten. Woher weiß dieser Odysseus und Ajax in einer Person alle Gotenpläne so scharf, als säße er mit im Rat des Königs Witichis? Durch sein Dämonium, sagen die einen. Durch seine Egeria, sagen die andern. Er hat einen Raben, der hören und sprechen kann wie Menschen, meinen wieder andere: den schickt er alle Nacht ins Gotenlager. Das mögen die alten Weiber glauben und die Römer, nicht meiner Mutter Sohn. Ich glaube den Raben zu kennen und das Dämonium. Gewiß ist, er kann die Kunde nur aus dem Gotenlager selbst holen, laß uns doch sehen, ob wir nicht selbst an seiner Statt aus dieser Quelle schöpfen könnten.»

      «Ich habe das längst bedacht, aber ich sah kein Mittel.»

      «Ich habe von meinen Hunnen alle seine Schritte belauern lassen. Es ist verdammt schwer: denn dieser braune Maurenteufel folgt ihm wie ein Schatten. Aber tagelang ist Syphax fern: – und dann gelingt es eher. Nun, ich habe erspäht, daß Cethegus so manche Nacht die Stadt verließ, bald aus der Porta portuensis, rechts vom Tiber, bald aus der Porta Sankt Pauls, links vom Tiber im Süden, die er beide besetzt hält. Weiter wagten ihm die Späher nicht zu folgen. Ich aber denke heute nacht – denn heute muß es wieder treffen, – ihm so nicht von den Fersen zu weichen. Doch muß ich ihn vor dem Tore erwarten: seine Isaurier ließen mich nicht durch; ich werde bei einer Runde vor den Mauern in einem der Gräben zurückbleiben.»

      «Gut. Es sind aber, wie du sagst, zwei Tore zu beobachten.» – «Deshalb hab’ ich mir Perseus, meinen Bruder, zum Genossen erkoren; er hütet das paulinische, ich das portuensische Tor; verlaß dich drauf – bis morgen vor Sonnenaufgang kennt einer von uns das Dämonium des Präfekten.» Und wirklich: einer von ihnen sollte es kennenlernen.

      Gerade gegenüber dem Sankt-Pauls-Tor, etwa drei Pfeilschüsse von den äußersten Gräben der Stadt, lag ein mächtiges altertümliches Gebäude, die Basilika Sancti Pauli extra muros, die Paulskapelle vor den Mauern, deren letzte Reste erst zur Zeit der Belagerung Roms durch den Connetable von Bourbon völlig verschwanden. Ursprünglich ein Tempel des Jupiter Stator, war der Bau seit zwei Jahrhunderten dem Apostel geweiht worden: