Felix Dahn

Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane


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      Es war um die sechste Stunde der Nacht. Der Mond stand glanzvoll über der ewigen Stadt und goß sein silbernes Licht über die Mauerzinnen und über die Ebene, zwischen den römischen Schanzen und der Basilika, deren schwarze Schatten nach dem Gotenlager hin fielen.

      Eben hatte die Wache am Sankt-Pauls-Tor gewechselt.

      Aber es waren sieben Mann hinausgeschritten, und nur sechs kamen herein. Der siebente wandte der Pforte den Rücken und schritt hinaus ins freie Feld.

      Vorsichtig wählte er seinen Weg: vorsichtig vermied er die zahlreichen Fußangeln, Wolfsgruben, Selbstschüsse vergifteter Pfeile, die hier überall umhergestreut waren und manchem Goten bei den Angriffen auf die Stadt Verderben gebracht hatten. Der Mann schien sie alle zu kennen und wich ihnen leicht aus. Aber er vermied auch das Mondlicht sorgfältig, den Schatten der Mauervorsprünge suchend und oft von Baum zu Baum springend.

      Als er aus dem äußersten Graben auftauchte, sah er sich um und blieb im Schatten einer Zypresse stehen, deren Zweige die Ballistengeschosse zerschmettert hatten. Er entdeckte nichts Lebendes weit und breit: und er eilte nun mit raschen Schritten der Kirche zu.

      Hätte er nochmal umgeblickt, er hätte es wohl nicht getan.

      Denn sowie er den Baum verließ, tauchte aus dem Graben eine zweite Gestalt hervor, die in drei Sprüngen ihrerseits den Schatten der Zypresse erreicht hatte. «Gewonnen, Johannes! Du stolzer Bruder, diesmal war das Glück dem jüngeren Bruder hold. Jetzt ist Cethegus mein und sein Geheimnis.» Und vorsichtig folgte er dem rasch Voranschreitenden.

      Aber plötzlich war dieser vor seinen Augen verschwunden, als habe ihn die Erde verschlungen. Es war hart an der äußeren Mauer der Kirche, die doch dem Armenier, als er sie erreichte, keine Tür oder Öffnung zeigte.

      «Kein Zweifel», sagte der Lauscher, «das Stelldichein ist drinnen im Tempel: ich muß nach.»

      Allein an dieser Stelle war die Mauer unübersteiglich.

      Tastend und suchend bog der Späher um die Ecke derselben. Umsonst, die Mauer war überall gleich hoch. – Im Suchen verstrich ihm fast eine Viertelstunde.

      Endlich fand er eine Lücke in dem Gestein: mühsam zwängte er sich hindurch. Und er stand nun im Vorhofe des alten Tempels, in dem die dicken dorischen Säulen breite Schatten warfen, in deren Schutz er von der rechten Seite her bis an das Hauptgebäude gelangte.

      Er spähte durch einen Riß des Gemäuers, den ihm die Zugluft verraten hatte. Drinnen war alles finster. Aber plötzlich wurde sein Auge von einem grellen Lichtstrahl geblendet. Als er es wieder aufschlug, sah er einen hellen Streifen in der Dunkelheit: er rührte von einer Blendlaterne her, deren Licht sich plötzlich gezeigt hatte.

      Deutlich erkannte er, was in dem Bereich der Laterne stand, den Träger derselben aber nicht, wohl dagegen Cethegus, den Präfekten, der hart vor der Statue des Apostels stand und sich an diese zu lehnen schien. Vor ihm stand eine zweite Gestalt: ein schlankes Weib, auf dessen dunkelrotes Haar schimmernd das Licht der Laterne fiel.

      «Die schöne Gotenkönigin, bei Eros und Anteros!» dachte der Lauscher: «kein schlechtes Stelldichein, sei’s nun Liebe, sei’s Politik! Horch, sie spricht. Leider kam ich zu spät, auch den Anfang der Unterredung zu hören.»

      «Also: merk’ es dir wohl! Übermorgen auf der Straße vor dem Tor von Tibur wird etwas Gefährliches geplant.» – «Gut: aber was?» fragte des Präfekten Stimme. – «Genaueres konnte ich nicht erkunden: und ich kann es dir auch nicht mehr mitteilen, wenn ich es noch erfahre. Ich wage nicht mehr, dich hier wiederzusehen: denn… –» Sie sprach nun leiser.

      Perseus drückte das Ohr hart an die Spalte: da klirrte seine Schwertscheide an das Gestein, und nun traf ihn ein Strahl des Lichts.

      «Horch!» rief eine dritte Stimme – es war eine Frauenstimme, die der Trägerin der Laterne, die sich jetzt in dem Strahl ihres eigenen Blendlichts gezeigt hatte, da sie sich rasch gegen die Richtung des Schalles gekehrt hatte. Perseus erkannte eine Sklavin in maurischer Tracht.

      Einen Augenblick schwieg alles in dem Tempel. Perseus hielt den Atem an. Er fühlte, es galt das Leben. Denn Cethegus griff ans Schwert.

      «Alles still», sagte die Sklavin. «Es fiel wohl nur ein Stein auf den Erzbeschlag draußen.»

      «Auch in das Grab vor dem portuensischen Tor geh’ ich nicht mehr. Ich fürchte, man ist uns gefolgt.» – «Wer?» – «Einer, der niemals schläft, wie es scheint: Graf Teja.» Des Präfekten Lippe zuckte.

      «Und er ist auch bei einem rätselhaften Eidbund gegen Belisars Leben: der bloße Scheinangriff gilt dem Sankt-Pauls-Tor.» – «Gut!» sagte Cethegus nachdenklich. «Belisar würde nicht entrinnen, wenn nicht gewarnt. Sie liegen irgendwo, – aber ich weiß nicht wo – fürcht’ ich, im Hinterhalt, mit Übermacht, Graf Totila führt sie.»

      «Ich will ihn schon warnen!» sagte Cethegus langsam.

      «Wenn es gelänge… !» – «Sorge nicht, Königin! Mir liegt an Rom nicht weniger denn dir. Und wenn der nächste Sturm fehlschlägt, – so müssen sie die Belagerung aufgeben, so zähe sie sind. Und das, Königin, ist dein Verdienst. Laß mich in dieser Nacht – vielleicht der letzten, da wir uns treffen, – dir mein ganzes staunendes Herz enthüllen. Cethegus staunt nicht leicht, und nicht leicht gesteht er’s, wenn er staunen muß. Aber dich – bewundere ich, Königin. Mit welch todverachtender Kühnheit, mit welch dämonischer List hast du alle Pläne der Barbaren vereitelt! Wahrlich: viel tat Belisar, mehr tat Cethegus, – das meiste: Mataswintha.»

      «Sprächst du wahr!» sagte Mataswintha mit funkelnden Augen. «Und wenn die Krone diesem Frevler vom Haupte fällt…»

      «War es deine Hand, deren sich das Schicksal Roms bedient hat. Aber, Königin, nicht damit kannst du enden! Wie ich dich erkannte, in diesen Monaten – darfst du nicht als gefangene Gotenkönigin nach Byzanz. Diese Schönheit, dieser Geist, diese Kraft muß herrschen – nicht dienen, in Byzanz. Darum bedenke, wenn er nun gestürzt ist – dein Tyrann, – willst du nicht dann den Weg gehn, den ich dir gezeigt?»

      «Ich habe noch nie über seinen Fall hinaus gedacht», sagte sie düster.

      «Aber ich – für dich! Wahrlich, Mataswintha», – und sein Auge ruhte mit Bewunderung auf ihr, – «du bist – wunderschön. Ich rechn’ es mir zum größten Stolz, daß selbst du mich nicht in Liebe entzündet und von meinen Plänen abgebracht hast. Aber du bist zu schön, zu köstlich, nur der Rache und dem Haß zu leben. Wenn unser Ziel erreicht dann nach Byzanz!

      Als mehr denn Kaiserin: – als Überwinderin der Kaiserin!»

      «Wenn mein Ziel erreicht, ist mein Leben vollendet. Glaubst du, ich ertrüge den Gedanken, aus eitel Herrschsucht mein Volk zu verderben, um kluger Zwecke willen? Nein: ich konnt’ es nur, weil ich mußte. Die Rache ist jetzt meine Liebe und mein Lebe und…–»

      Da scholl von der Fronte des Gebäudes her, aber noch innerhalb der Mauer, laut und schrillend der Ruf des Käuzchens, einmal – zweimal rasch nacheinander.

      Wie staunte Perseus, als er den Präfekten eilig an die Kehle der Bildsäule drücken sah, an der er lehnte, und wie sich diese geräuschlos in zwei Hälften auseinander schlug. Cethegus schlüpfte in die Öffnung: die Statue klappte wieder zusammen. Mataswintha aber und Aspa sanken wie betend auf die Stufen des Altars.

      «Also war’s ein Zeichen! Es droht Gefahr!» dachte der Späher; «aber wo ist die Gefahr? und wo der Warner?» Und er wandte sich, trat vor und sah nach links, nach der Seite der Goten.

      Allein damit trat er in den Bereich des Mondlichts, und in den Blick des Mauren Syphax, der vor der Eingangstür des Hauptgebäudes in einer leeren Nische Schildwache stand und bisher scharf nach der linken, der gotischen Seite hin, gespäht hatte.

      Von dort, von links her, schritt langsam ein Mann heran. Seine Streitaxt blitzte im Mondlicht.

      Aber auch Perseus sah jetzt eine Waffe aufblitzen: es war der Maure, der leise sein Schwert aus der Scheide zog.

      «Ha»,