welcher das Lächeln der Gioconda den Künstler ergriff, um ihn nicht mehr freizulassen, hat sich bei mehr als einem seiner Biographen geregt. W. Pater, der in dem Bilde der Mona Lisa die »Verkörperung aller Liebeserfahrung der Kulturmenschheit« sieht und sehr fein »jenes unergründliche Lächeln, welches bei Leonardo stets wie mit etwas Unheilverkündendem verbunden scheint«, behandelt, führt uns auf eine andere Spur, wenn er äußert:
»Übrigens ist das Bild ein Porträt. Wir können verfolgen, wie es sich von Kindheit auf in das Gewebe seiner Träume mischt, so daß man, sprächen nicht ausdrückliche Zeugnisse dagegen, glauben möchte, es sei sein endlich gefundenes und verkörpertes Frauenideal …«
Etwas ganz Ähnliches hat wohl M. Herzfeld im Sinne, wenn sie ausspricht, in der Mona Lisa habe Leonardo sich selbst begegnet, darum sei es ihm möglich geworden, soviel von seinem eigenen Wesen in das Bild einzutragen, »dessen Züge von jeher in rätselhafter Sympathie in Leonardos Seele gelegen haben.«
Versuchen wir diese Andeutungen zur Klarheit zu entwickeln. Es mag also so gewesen sein, daß Leonardo vom Lächeln der Mona Lisa gefesselt wurde, weil dieses etwas in ihm aufweckte, was seit langer Zeit in seiner Seele geschlummert hatte, eine alte Erinnerung wahrscheinlich. Diese Erinnerung war bedeutsam genug, um ihn nicht mehr loszulassen, nachdem sie einmal erweckt worden war; er mußte ihr immer wieder neuen Ausdruck geben. Die Versicherung Paters, daß wir verfolgen können, wie sich ein Gesicht wie das der Mona Lisa von Kindheit auf in das Gewebe seiner Träume mischt, scheint glaubwürdig und verdient wörtlich verstanden zu werden.
Vasari erwähnt als seine ersten künstlerischen Versuche »teste di femmine, che ridono«. Die Stelle, die ganz unverdächtig ist, weil sie nichts erweisen will, lautet vollständiger in deutscher Übersetzung: »indem er in seiner Jugend einige lachende weibliche Köpfe aus Erde formte, die in Gips vervielfältigt wurden, und einige Kinderköpfe, so schön, als ob sie von Meisterhand gebildet wären …«
Wir erfahren also, daß seine Kunstübung mit der Darstellung von zweierlei Objekten begann, die uns an die zweierlei Sexualobjekte mahnen müssen, welche wir aus der Analyse seiner Geierphantasie erschlossen haben. Waren die schönen Kinderköpfe Vervielfältigungen seiner eigenen kindlichen Person, so sind die lächelnden Frauen nichts anderes als Wiederholungen der Caterina, seiner Mutter, und wir beginnen die Möglichkeit zu ahnen, daß seine Mutter das geheimnisvolle Lächeln besessen, das er verloren hatte und das ihn so fesselte, als er es bei der Florentiner Dame wiederfand.
Das Gemälde Leonardos, welches der Mona Lisa zeitlich am nächsten steht, ist die sogenannte »heilige Anna selbdritt«, die heilige Anna mit Maria und dem Christusknaben. Es zeigt das leonardeske Lächeln in schönster Ausprägung an beiden Frauenköpfen. Es ist nicht zu ermitteln, um wieviel früher oder später als am Porträt der Mona Lisa Leonardo daran zu malen begann. Da beide Arbeiten sich über Jahre erstreckten, darf man wohl annehmen, daß sie den Meister gleichzeitig beschäftigt haben. Zu unserer Erwartung würde es am besten stimmen, wenn gerade die Vertiefung in die Züge der Mona Lisa Leonardo angeregt hätte, die Komposition der heiligen Anna aus seiner Phantasie zu gestalten. Denn wenn das Lächeln der Gioconda die Erinnerung an die Mutter in ihm heraufbeschwor, so verstehen wir, daß es ihn zunächst dazu trieb, eine Verherrlichung der Mütterlichkeit zu schaffen und das Lächeln, das er bei der vornehmen Dame gefunden hatte, der Mutter wiederzugeben. So dürfen wir denn unser Interesse vom Porträt der Mona Lisa auf dies andere, kaum minder schöne Bild, das sich jetzt auch im Louvre befindet, hinübergleiten lassen.
Die heilige Anna mit Tochter und Enkelkind ist ein in der italienischen Malerei selten behandelter Gegenstand; die Darstellung Leonardos weicht jedenfalls weit von allen sonst bekannten ab. Muther sagt:
»Einige Meister, wie Hans Fries, der ältere Holbein und Girolamo dai Libri, ließen Anna neben Maria sitzen und stellten zwischen beide das Kind. Andere, wie Jakob Cornelisz in seinem Berliner Bilde, zeigten im eigentlichen Wortsinn die ›heilige Anna selbdritt‹, das heißt, sie stellten sie dar, wie sie im Arme das kleine Figürchen Marias hält, auf dem das noch kleinere des Christkindes sitzt.« Bei Leonardo sitzt Maria auf dem Schoße ihrer Mutter vorgeneigt und greift mit beiden Armen nach dem Knaben, der mit einem Lämmchen spielt, es wohl ein wenig mißhandelt. Die Großmutter hat den einen unverdeckten Arm in die Hüfte gestemmt und blickt mit seligem Lächeln auf die beiden herab. Die Gruppierung ist gewiß nicht ganz ungezwungen. Aber das Lächeln, welches auf den Lippen beider Frauen spielt, hat, obwohl unverkennbar dasselbe wie im Bilde der Mona Lisa, seinen unheimlichen und rätselhaften Charakter verloren; es drückt Innigkeit und stille Seligkeit aus.
Bei einer gewissen Vertiefung in dieses Bild kommt es wie ein plötzliches Verständnis über den Beschauer: Nur Leonardo konnte dieses Bild malen, wie nur er die Geierphantasie dichten konnte. In dieses Bild ist die Synthese seiner Kindheitsgeschichte eingetragen; die Einzelheiten desselben sind aus den allerpersönlichsten Lebenseindrücken Leonardos erklärlich. Im Hause seines Vaters fand er nicht nur die gute Stiefmutter Donna Albiera, sondern auch die Großmutter, Mutter seines Vaters, Monna Lucia, die, wir wollen es annehmen, nicht unzärtlicher gegen ihn war, als Großmütter zu sein pflegen. Dieser Umstand mochte ihm die Darstellung der von Mutter und Großmutter behüteten Kindheit nahebringen. Ein anderer auffälliger Zug des Bildes gewinnt eine noch größere Bedeutung. Die heilige Anna, die Mutter der Maria und Großmutter des Knaben, die eine Matrone sein müßte, ist hier vielleicht etwas reifer und ernster als die heilige Maria, aber noch als junge Frau von unverwelkter Schönheit gebildet. Leonardo hat in Wirklichkeit dem Knaben zwei Mütter gegeben, eine, die die Arme nach ihm ausstreckt, und eine andere im Hintergrunde, und beide mit dem seligen Lächeln des Mutterglückes ausgestattet. Diese Eigentümlichkeit des Bildes hat nicht verfehlt, die Verwunderung der Autoren zu erregen; Muther meint zum Beispiel, daß Leonardo sich nicht entschließen konnte, Alter, Falten und Runzeln zu malen, und darum auch Anna zu einer Frau von strahlender Schönheit machte. Ob man sich mit dieser Erklärung zufrieden geben kann? Andere haben zur Auskunft gegriffen, die »Gleichaltrigkeit von Mutter und Tochter« überhaupt in Abrede zu stellen. Aber der Muthersche Erklärungsversuch genügt wohl für den Beweis, daß der Eindruck von der Verjüngung der heiligen Anna dem Bilde entnommen und nicht durch eine Tendenz vorgetäuscht ist.
Leonardos Kindheit war gerade so merkwürdig gewesen wie dieses Bild. Er hatte zwei Mütter gehabt, die erste seine wahre Mutter, die Catarina, der er im Alter zwischen drei und fünf Jahren entrissen wurde, und eine junge und zärtliche Stiefmutter, die Frau seines Vaters, Donna Albiera. Indem er diese Tatsache seiner Kindheit mit der ersterwähnten, der Anwesenheit von Mutter und Großmutter, zusammenzog, sie zu einer Mischeinheit verdichtete, gestaltete sich ihm die Komposition der heiligen Anna selbdritt. Die mütterliche Gestalt weiter weg vom Knaben, die Großmutter heißt, entspricht nach ihrer Erscheinung und ihrem räumlichen Verhältnis zum Knaben der echten früheren Mutter Caterina. Mit dem seligen Lächeln der heiligen Anna hat der Künstler wohl den Neid verleugnet und überdeckt, den die Unglückliche verspürte, als sie der vornehmeren Rivalin wie früher den Mann, so auch den Sohn abtreten mußte.
So wären wir von einem anderen Werke Leonardos her zur Bestätigung der Ahnung gekommen, daß das Lächeln der Mona Lisa del Giocondo in dem Manne die Erinnerung an die Mutter seiner ersten Kinderjahre erweckt hatte. Madonnen und vornehme Damen zeigten von da an bei den Malern Italiens die demütige Kopfneigung und das seltsam-selige Lächeln des armen Bauernmädchens Catarina, das der Welt den herrlichen, zum Malen, Forschen und Dulden bestimmten Sohn geboren hatte.
Wenn es Leonardo gelang, im Angesicht der Mona Lisa den doppelten Sinn wiederzugeben, den dies Lächeln hatte, das Versprechen schrankenloser Zärtlichkeit wie die unheilverkündende Drohung (nach Paters Worten), so war er auch darin dem Inhalte seiner frühesten Erinnerung treugeblieben. Denn die Zärtlichkeit der Mutter wurde ihm zum Verhängnis, bestimmte sein Schicksal und die Entbehrungen, die seiner warteten. Die Heftigkeit der Liebkosungen, auf die seine Geierphantasie deutet, war nur allzu natürlich; die arme verlassene Mutter mußte all ihre Erinnerungen an genossene Zärtlichkeiten wie ihre Sehnsucht nach neuen in die Mutterliebe einfließen lassen; sie war dazu gedrängt, nicht nur sich dafür zu entschädigen, daß sie keinen Mann, sondern auch das Kind, daß es keinen Vater hatte, der es liebkosen wollte. So nahm sie nach der Art aller unbefriedigten Mütter den kleinen Sohn anstelle ihres Mannes an und raubte ihm durch