Aristoteles

Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst


Скачать книгу

von Natur oder sonst auf irgendeine Weise fest und ist ihm gegeben, und man handelt so oder anders, indem man das übrige danach einrichtet. Ganz gleich also, ob sich einem das Ziel nicht von Natur in irgendwelcher bestimmten Beschaffenheit darstellt, sondern zum Teil in des Menschen Wollen liegt, oder ob es wirklich von Natur gegeben und sittliches Handeln nur insofern Sache des freien Willens ist, als der sittlich Gebildete das übrige frei wollend tut: in beiden Fällen wird ein schlechter Charakter genau ebenso aus dem freien Wollen stammen wie ein sittlicher Charakter. Denn der Schlechte hat genau ebenso die Gewalt, in seinen Handlungen sich selbst zu entscheiden, auch wenn er solche Gewalt in bezug auf das Ziel nicht besitzt. Ist nun, wie man doch annimmt, die Sittlichkeit Sache des freien Wollens, / denn von der befestigten Beschaffenheit, die wir besitzen, sind wir selber in gewissem Sinne die Miturheber, und weil wir diese bestimmte Beschaffenheit haben, darum setzen wir uns dieses so beschaffene Ziel, / so würde also auch die Unsittlichkeit Sache des freien Wollens sein; denn das Verhältnis ist beide Male ganz das gleiche.

      Indessen, ganz dieselbe ist bei unseren Handlungen die Macht der freien Willensentscheidung doch nicht wie bei unseren Willensrichtungen. Denn über unsere Handlungen sind wir Herren vom Anfang bis zum Ende, sofern wir nur die Einzelheiten der Situation kennen; über unsere Willensrichtungen aber sind wir es nur im Anfang, während die weitere Fortbildung sich durch unsere einzelnen Handlungen ganz unmerklich vollzieht, ganz ähnlich wie es bei Erkrankungen der Fall ist. Nur sofern es an unserer Macht stand so oder nicht so zu verfahren, sind aus diesem Grunde auch sie Sache des freien Wollens.

      III. Die einzelnen Arten der sittlichen Betätigung

       Inhaltsverzeichnis

      Wir haben von den sittlichen Willensbeschaffenheiten ganz im allgemeinen gehandelt und ihren Gattungscharakter in aller Kürze dahin bezeichnet, daß sie die Mitte zwischen Extremen innehalten und fest gewordene Willensrichtungen sind. Wir haben ferner dargelegt, woraus sie entstehen, sowie daß sie ihrem Wesen nach in eben dem Kreise von Handlungen sich tätig bewähren, durch die sie sich bilden, ferner daß sie in unserer Macht stehen und Sache unseres freien Wollens sind, und daß sie dem entsprechen, was ein richtig urteilendes Denken gebietet.

      Wir nehmen jetzt den Gegenstand wieder von vorne an auf und wollen nunmehr über jede einzelne der Willensbeschaffenheiten handeln, über ihr Wesen, über die Art ihrer Gegenstände und über die Weise ihrer Betätigung. Dabei wird zugleich auch ihre Anzahl klar hervortreten.

      Wir haben von den sittlichen Willensbeschaffenheiten ganz im allgemeinen gehandelt und ihren Gattungscharakter in aller Kürze dahin bezeichnet, daß sie die Mitte zwischen Extremen innehalten und fest gewordene Willensrichtungen sind. Wir haben ferner dargelegt, woraus sie entstehen, sowie daß sie ihrem Wesen nach in eben dem Kreise von Handlungen sich tätig bewähren, durch die sie sich bilden, ferner daß sie in unserer Macht stehen und Sache unseres freien Wollens sind, und daß sie dem entsprechen, was ein richtig urteilendes Denken gebietet.

      Wir nehmen jetzt den Gegenstand wieder von vorne an auf und wollen nunmehr über jede einzelne der Willensbeschaffenheiten handeln, über ihr Wesen, über die Art ihrer Gegenstände und über die Weise ihrer Betätigung. Dabei wird zugleich auch ihre Anzahl klar hervortreten.

       1. Willensstärke gegenüber dem Trieb

       2. Das Verhalten zu den äußeren Gütern

       3. Verhalten zu den anderen Menschen im Umgang

       4. Verhalten im Verkehr der Güter, Gerechtigkeit

      1. Willensstärke gegenüber dem Trieb

       Inhaltsverzeichnis

       A. Mannhaftigkeit und tapferer Mut

       B. Besonnenheit

      A. Mannhaftigkeit und tapferer Mut

       Inhaltsverzeichnis

       a) Das Wesen

       b) Abarten

       c) Rechter Mut von vollkommener Art

      a) Das Wesen

       Inhaltsverzeichnis

      Zunächst also handeln wir von der Mannhaftigkeit, der Eigenschaft des mutigen Mannes. Daß sie das Innehalten der rechten Mitte zwischen Furchtsamkeit und Verwegenheit bedeutet, das ist von uns bereits ausgemacht worden. Wir fürchten uns offenbar vor dem, was bedrohlich ist, und das ist kurz gesagt was uns Leid und Schaden bringt. Darum definiert man denn auch die Furcht als die Erwartung einer bevorstehenden Schädigung. Wir fürchten uns demnach vor allem was ein Übel ist: so vor Schande, Armut, Krankheit, Verlassenheit, Tod indessen mannhafter Sinn zeigt sich doch wohl nicht dem allen gegenüber. Es gibt Dinge, wovor sich zu fürchten pflichtmäßig und löblich, sich nicht zu fürchten verwerflich ist, wie z.B. die Schande. Da ist der, der sich fürchtet ein ehrenwerter und ehrenhafter, und wer sich nicht fürchtet, ein ehrloser Mensch. In übertragenem Sinne sprechen manche wohl auch dabei von Mannhaftigkeit, und in der Tat ist eine gewisse Verwandtschaft mit der Mannhaftigkeit vorhanden; denn auch der Mannhafte ist frei von Furcht. Auch vor Armut oder Krankheit sich zu fürchten ist nicht geboten, überhaupt vor nichts von alledem, was nicht aus einer schlechten Gesinnung stammt und was nicht verschuldet ist. Indessen, wer diesen Dingen gegenüber frei von Furcht ist, ist darum noch nicht mannhaft: nur der Analogie nach erteilt man ihm dies Prädikat. Es gibt Leute, die sich der Gefahr gegenüber, wie sie der Krieg mit sich bringt, mutlos verhalten und doch eine vornehme Gesinnung haben und bei Vermögensverlusten sich gefaßt zeigen. Auch wer sich vor Gewalttaten, die seinem Kinde oder seinem Weibe widerfahren könnten, oder vor Neid und dergleichen fürchtet, ist deshalb noch kein Feigling. Andererseits wieder ist der nicht mannhaft, der unerschrocken bleibt, wenn ihm Geißelung bevorsteht. / Welches sind denn nun die Schrecknisse, denen gegenüber sich einer mannhaft zeigt? Sind es die Übel, die durch Größe hervorragen? Ist doch niemand fähiger als der Mannhafte das Schreckliche zu erdulden; das größte Schrecknis aber ist der Tod. Er ist das Ende, und für den Verstorbenen nimmt man an gibt es weder Gutes noch Übles mehr. Aber auch dem Tode gegenüber zeigt sich doch eigentlich nicht in jeder seiner Formen ein Mensch mannhaft, z.B. nicht bei Todesgefahr zur See oder in Krankheit. In welchen Fällen also? Nicht in denen, die die ruhmvollsten sind? Das sind aber diejenigen, die im Gefolge des Krieges auftreten. Hier ist die Gefahr zugleich die bedrohlichste, aber auch die ruhmvollste. Dem entsprechen denn auch die Ehrenerweisungen, wie sie Republiken und Monarchien gleichmäßig zuerkennen. Im eigentlichen Sinne wird also derjenige mannhaft heißen dürfen, der sich vor dem Tode auf dem Felde der Ehre nicht fürchtet und nicht vor dem, was in unmittelbarer Nähe den Tod droht, wie derartiges am ehesten im Kriege vorkommt. Indessen, der Mannhafte ist allerdings furchtlos auch zur See und in der Krankheit, wenn auch nicht in demselben Sinne wie die Seeleute. Denn jener hat die Hoffnung auf Rettung schon zu einer Zeit aufgegeben und wird durch die Gefahr eines solchen Todes tief erschüttert, wo diese auf Grund ihrer Gewöhnung noch voll guter Hoffnung sind. Andererseits, dazu daß man sich mannhaft benimmt,