verführerischen Umstände zu schieben. Und so ergibt sich denn, daß aus Zwang das geschieht, was seinen Grund und Anstoß in einem Äußeren hat, ohne daß der dem Zwange Unterliegende dabei mit tätig wird.
Wir kommen zu den Handlungen, die aus Irrtum geschehen. Sie sind sämtlich nicht frei gewollt; aber wirklich unfreiwillig ist nur die Handlung, die Bedauern und Selbstanklage zur Folge hat. Wer irgend etwas auf Grund eines Irrtums getan hat, aber über seine Handlung kein Bedauern empfindet, der hat allerdings, was er im Irrtum getan hat, ohne freien Willen, aber doch auch wieder nicht ohne seinen Willen getan; sonst würde es ihm leid tun. Also als unfreiwilliger Täter gilt, wer über das im Irrtum Getane Betrübnis empfindet; wer es nicht bedauert, der mag, da sein Verhalten doch ein anderes ist, statt unfreiwillig nicht-frei-wollend heißen. Denn da in der Sache ein Unterschied vorliegt, so ist es besser, dafür auch einen eigenen Ausdruck zu gebrauchen.
Es ist ferner etwas anderes, auf Grund eines Irrtums und im Irrtum handeln. Wer in der Trunkenheit oder im Zorne handelt, von dem nimmt man nicht an, daß er auf Grund eines Irrtums, sondern daß er auf Grund eines der bezeichneten Zustände, aber doch nicht mit Bewußtsein, sondern ohne Wissen handle. Daß er kein Wissen hat von dem was man zu tun und zu unterlassen verpflichtet ist, das gilt von jedem schlechten Menschen; eben infolge einer derartigen Mangelhaftigkeit wird einer zum ungerechten und überhaupt zum schlechten Menschen. Unfreiwillig handeln aber, der Ausdruck soll nicht den Fall bezeichnen, wo einer nicht weiß was Pflicht ist. Ein Irrtum in dem was man sich zu tun ausdrücklich vorsetzt, hat zur Wirkung nicht daß man unfreiwillig, sondern daß man schlecht handelt. Was vielmehr den Irrtum ausmacht, das ist nicht die Unkenntnis der allgemeinen Regeln des Verhaltens, / denn solche Unkenntnis begründet einen Vorwurf, / sondern die Unkenntnis der Umstände des einzelnen Falles, unter denen und um derentwillen die Handlung vorgenommen wird, und dafür wird einem denn auch Mitleid und Nachsicht gewährt. Denn wer über solche besonderen Umstände sich in Unkenntnis befindet, der handelt ohne frei zu wollen.
Es wird an diesem Punkte nicht übel angebracht sein, die Umstände die dabei in Frage kommen noch genauer zu bestimmen. Ein Irrtum also kann stattfinden betreffs der Sache, ihrer Art und Bedeutung, betreffs der Person und ihrer Handlung nach Gegenstand und Material, bisweilen auch betreffs des Mittels, z.B. eines Werkzeugs, oder betreffs des Zweckes, z.B. ob etwas der Selbsterhaltung wegen geschah, und betreffs der Art und Weise, also ob sanft oder heftig. Daß einer über alle diese Umstände zugleich sich im Irrtum befindet, das könnte doch nur im Zustande der Geisteskrankheit vorkommen; so nicht über das handelnde Subjekt; denn wie könnte jemand über seine eigene Person sich täuschen? Dagegen kann man sich wohl täuschen über das, was man tut; so wenn einer sagt, er sei im Reden entgleist, weil er nicht ganz bei sich gewesen, oder er habe nicht gewußt, daß etwas auszuplaudern verboten sei, wie es Äschylus mit den Mysterien erging; oder das Geschütz sei losgegangen, während man es bloß vorführen wollte, wie der Mann mit der Katapulte. Es kann jemand auch in den Irrtum geraten, daß sein Sohn ihm feindlich gesinnt sei, wie es bei Merope der Fall war, oder daß ein Wurfspieß, der in Wirklichkeit eine Spitze hat, vorn mit einem Knopfe versehen, oder daß der Stein Bimstein sei; man kann einen töten, dem man in guter Absicht einen Liebestrank reicht, und jemanden verletzen, den man nur, wie es Ringer im Spiel tun, leise berühren will. Ein Irrtum kann betreffs aller dieser Umstände stattfinden, unter denen das Handeln sich vollzieht; und von demjenigen, der über eines davon im Irrtum gewesen ist, nimmt man an, daß er unfreiwillig gehandelt habe. Besonders aber ist dies der Fall, wenn der Irrtum die wesentlichsten Umstände betraf, und für das Wesentlichste gilt das, was den eigentlichen Gegenstand und den Zweck der Handlung ausmacht. Es gehört dann aber auch dazu, daß demjenigen, dessen Handlung wegen eines derartigen Irrtums als unfreiwillig bezeichnet wird, seine Handlung leid tut und daß sie ihm Bedauern verursacht.
Wenn nun was durch Zwang oder aus Irrtum geschieht unfreiwillig ist, so darf dem gegenüber für frei gewollt dasjenige gelten, was seinen Ursprung in einem Täter hat, der mit der eigentümlichen Beschaffenheit der Lage bekannt ist, in der die Handlung vor sich geht. Es würde also nicht zutreffend sein, wenn man als unfreiwillig das bezeichnen wollte, was im Affekt und infolge einer Begierde geschieht. Denn zunächst: bei irgendeinem der anderen lebenden Wesen könnte dann von frei gewolltem Handeln gar nicht die Rede sein, auch nicht bei den Kindern. Sodann ist die Frage: tun wir überhaupt nichts mit freiem Willen, was wir auf Antrieb einer Begierde oder im Affekt tun? oder sind nur die guten Taten frei gewollt, die schlechten Taten nicht? Wäre es nicht töricht, so zu fragen, da doch die Versuchung beide Male die gleiche ist? Und urteilslos wäre es doch auch, als nicht frei gewollt Handlungen zu bezeichnen, die aus einem pflichtmäßigen Streben entspringen; es ist aber Pflicht, über gewisse Dinge sich zu erregen, und Pflicht, gewisse Dinge zu begehren, wie Gesundheit und Geistesbildung. Und ferner: es ist Tatsache, daß was nicht frei gewollt ist Verdruß macht; was die Begierde befriedigt aber gewährt Genuß. Sodann, wo liegt der Unterschied zwischen dem Fehltritt der mit Überlegung, und dem der im Affekt begangen ist, was die Unfreiwilligkeit anbetrifft? Denn zu meiden ist doch alles beides, und als menschlich gelten ebensosehr die nicht vom Gedanken geleiteten Affekte und somit auch die aus Affekt und aus Begierde entspringenden Handlungen. Mithin hat es auch keinen Sinn, diese als nicht frei gewollt zu bezeichnen.
2. Vorsatz und Überlegung
Als nächste Aufgabe, nachdem wir frei gewollte und nicht frei gewollte Handlungen gegeneinander abgegrenzt haben, stellt sich die dar, den Begriff des Vorsätzlichen zu erörtern. Denn dieses gilt für das eigentümlichste Merkmal des sittlichen Willens und für ein noch bedeutsameres Kennzeichen des Charakters als es die Handlungen selber sind. Was vorsätzlich ist, das ist nun offenbar auch frei gewollt; aber die beiden Begriffe fallen doch nicht zusammen, sondern das frei Gewollte ist der umfassendere Begriff. Das frei Gewollte kommt auch bei den Kindern und den Tieren vor, die Vorsätzlichkeit nicht, und die raschen Handlungen des Augenblicks nennen wir zwar frei gewollt, aber den Charakter der Vorsätzlichkeit schreiben wir ihnen nicht zu.
Man ist schwerlich auf dem rechten Wege, wenn man die Vorsätzlichkeit als ein Begehren, einen Gemütszustand, einen Wunsch oder eine Ansicht bezeichnet. Denn bei Wesen, die nicht mit Vernunft begabt sind, kommt vorsätzliches Handeln nicht vor, wohl aber kommen Begierden und Gemütsstimmungen vor. Wer sich nicht zu beherrschen vermag, handelt aus einem Begehren heraus, aber nicht auf Grund eines Vorsatzes, und umgekehrt, wer seiner Herr ist, handelt vorsätzlich, aber nicht aus einem Begehren heraus. Vorsatz und Begierde stehen zueinander im Gegensatz, aber nicht Begierde und Begierde. Die Begierde ist auf das Angenehme und das Schmerzliche, der Vorsatz weder auf das Schmerzliche noch auf das Angenehme gerichtet.
Noch weniger hat der Vorsatz mit der Gemütsstimmung zu tun: was aus einer Stimmung entspringt, erscheint am wenigsten einem Vorsatz gemäß. Aber das gilt auch vom Wunsch, so nahe er sich auch mit dem Vorsatz verbunden zeigt. Ein Vorsatz richtet sich nicht auf das was unmöglich ist, und wenn einer sagen sollte, er habe sich dergleichen vorgesetzt, so würde man ihn einfach für geistesschwach halten. Ein Wunsch dagegen kann sich ganz wohl auch auf Unmögliches richten, z.B. darauf, vom Sterben befreit zu bleiben. Der Wunsch ferner hat zum Inhalt auch solches, was man selber niemals herbeizuführen vermag, wie etwa, daß ein Schauspieler oder ein Athlet den Preis gewinne. Zum Vorsatz dagegen macht sich dergleichen kein Mensch, sondern immer nur solches, wovon er glaubt, daß es durch ihn verwirklicht werden kann. Endlich geht der Wunsch mehr auf das Endziel, der Vorsatz mehr auf die Mittel zum Ziel. Man wünscht z.B. gesund zu werden; aber man nimmt sich vor, das zu tun, wodurch man gesund werden kann. Wir wünschen uns glücklich zu sein und sprechen den Wunsch auch aus; aber wollten wir sagen, wir setzen es uns vor, so würde das nicht stimmen. Überhaupt, Inhalt eines Vorsatzes darf man sagen ist das, was in unserer Macht steht.
Also kann ein Vorsatz auch keine bloße Ansicht sein. Denn eine Ansicht kann man sich augenscheinlich über alles bilden, ebensowohl über die ewigen und über die unmöglichen Dinge wie über das was in unserer Macht steht. Eine Ansicht wird danach beurteilt ob sie wahr oder falsch und nicht danach, ob sie gut oder böse ist; ein Vorsatz aber wird gerade an dem letzteren Unterschied gemessen.