Aristoteles

Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst


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auch den Spott verbieten sollen. Der feingebildete Mann von vornehmer Haltung wird sein Verhalten in diesem Sinne regeln, gleichsam indem er sich selbst das Gesetz ist.

      Das nun ist die Art desjenigen, der die rechte Mitte einhält, wie man ihn auch nennen mag, taktvoll oder geistreich. Der Spaßmacher dagegen unterliegt der Versuchung, Lachen zu erregen um jeden Preis, und schont weder sich selbst noch die anderen, wenn er nur Lachen erregen kann, er sagt Dinge, wie sie ein feinfühlender Mann nicht in den Mund nehmen, zuweilen nicht einmal anhören möchte. Der Ungeschliffene andererseits ist für solche heitere Geselligkeit überhaupt nicht zu brauchen; denn er steuert nichts dazu bei und nimmt alles gleich unfreundlich auf. Und doch darf man die Erholung und den Scherz als ein notwendiges Moment des menschlichen Lebens bezeichnen.

      So hätten wir denn drei Verhaltungsweisen aufgezeigt, die als Innehalten der rechten Mitte gelten dürfen; sie beziehen sich sämtlich auf die Äußerungen in Wort und Rede und auf die Betätigung im gesellschaftlichen Zusammenleben mit anderen. Sie unterscheiden sich dadurch, daß die eine sich um die Wahrhaftigkeit, die beiden anderen sich um das das Gefühl anmutend Berührende drehen. Von denen, die das letztere betreffen, hat die eine in Scherz und Spiel, die andere in den sonstigen gesellschaftlichen Beziehungen das Gebiet ihrer Bewährung.

      e) Schamhaftigkeit

       Inhaltsverzeichnis

      Die Schamhaftigkeit kommt eigentlich da nicht in Betracht, wo von den Arten sittlicher Willensrichtung die Rede ist; denn sie trägt mehr den Charakter einer Empfindungsweise als den einer fest gewordenen Gesinnung. Man bezeichnet sie begrifflich als Furcht vor Minderung der persönlichen Ehre, und in der Tat, wo sie in voller Form auftritt, zeigt sie Erscheinungen, die der Furcht vor etwas Schmerzlichem nahe verwandt sind; man wird rot vor Scham, wie man blaß wird aus Todesfurcht. Beides stellt sich als leibliche Affektion dar, und das deutet doch mehr auf eine Gefühlsstimmung als auf eine Art von Gesinnung hin. Als Gefühlsstimmung nun ist sie nicht jedem Lebensalter gleich angemessen. Sie ziemt zumeist dem jugendlichen Alter; von den Jungen glauben wir Schamhaftigkeit fordern zu müssen, weil sie, indem sie noch ihrem Gefühle nachleben, vielfach auf Abwege geraten, durch die Scham aber zurückgehalten werden. So gewähren wir denn schamhaften jungen Leuten unser Lob; einen älteren Mann wird niemand wegen seines schämigen Wesens loben wollen; denn wir meinen, er dürfe überhaupt nichts tun, was Anlaß bietet sich zu schämen. Scham ist kein Gefühl des bewährten Mannes; sie hat ihren Grund in niedrigen Dingen, und solche soll man sich eben nicht zuschulden kommen lassen. Wenn es aber solches gibt was in Wirklichkeit, und solches was nur der Konvention nach verwerflich ist, so macht das hierfür keinen Unterschied. Man darf sich keines von beiden erlauben; dann erspart man es sich, daß man sich schämen muß. Es ist schon ein Beweis unziemlicher Gesinnung, wenn man überhaupt imstande ist etwas zu tun, dessen man sich zu schämen hat. Darum hat es auch keinen Sinn, wenn einer die Haltung annimmt, daß er sich schämen würde, falls er dergleichen beginge, und nun meint, er sei deshalb ein ehrenwerter Mann. Denn Grund zur Scham bieten frei gewollte Handlungen, ein ehrenwerter Mann wird aber mit seinem Willen niemals etwas tun was unziemlich ist. So ist denn das Schamgefühl nur bedingterweise etwas Sittliches. Denn falls man dergleichen begangen hat, so schämt man sich; solche Bedingtheit aber ist etwas, was sich von keiner Art sittlicher Willensrichtung sagen läßt. Wenn aber die Schamlosigkeit, das Fehlen der Scheu, um keinen Preis etwas Verwerfliches zu tun, von niedriger Beschaffenheit zeugt, so ist es doch deshalb noch nicht der Beweis einer sittlichen Gesinnung, wenn einer der dergleichen Handlungen begeht, darüber nachträglich Scham empfindet. Ist doch nicht einmal die Enthaltsamkeit ohne weiteres eine Eigenschaft von sittlichem Charakter, sondern von gemischter Art. Doch darüber soll später gesprochen werden; zunächst wollen wir jetzt von der Gerechtigkeit handeln.

      4. Verhalten im Verkehr der Güter, Gerechtigkeit

       Inhaltsverzeichnis

       1. Subjektive Gerechtigkeit

       2. Das objektiv Gerechte

       3. Das Rechtsgesetz

      1. Subjektive Gerechtigkeit

       Inhaltsverzeichnis

       a) Gerechte und ungerechte Gesinnung

       b) Gerechtigkeit in weiterem und engerem Sinne

      a) Gerechte und ungerechte Gesinnung

       Inhaltsverzeichnis

      Bei der Frage nach dem Begriff der Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit gilt es zu untersuchen, auf welchem Gebiete diese Handlungsweisen sich bewegen, in welchem Sinne die Gerechtigkeit eine Mitte bezeichnet, und welches die Abweichungen sind, zwischen denen das Gerechte in der Mitte liegt. Der Gang unserer Untersuchung wird derselbe sein wie in den vorhergehenden Ausführungen. Wir sehen tatsächlich, daß jedermann als Gerechtigkeit diejenige Charaktereigenschaft zu bezeichnen gesonnen ist, infolge deren man sich zur Ausübung dessen was gerecht ist eignet, im Handeln Gerechtigkeit übt und einen auf das Gerechte gerichteten Willen hat. Das Gleich gilt von der Ungerechtigkeit; durch sie geschieht es, daß man ungerecht handelt und daß der Wille auf das Ungerechte gerichtet ist. Das soll denn auch für unsere Untersuchung, zunächst als ungefähre Andeutung, die Grundlage bilden.

      Es hat mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und geistigen Vermögen nicht dieselbe Bewandtnis wie mit fest gewordenen Gesinnungen. Von dem Vermögen wie von der Wissenschaft gilt der Satz, daß sie beide Glieder des Gegensatzes zugleich betreffen; das tut die befestigte Beschaffenheit nicht. Indem sie das eine Glied des Gegensatzes festhält, ist ihr das Gegenteil fremd. So bewirkt die Gesundheit nicht was ihr entgegengesetzt, sondern nur das was gesund ist. Man nennt ein Gehen gesund, wenn einer geht wie ein Gesunder. Die eine von zwei entgegengesetzten Beschaffenheiten kann wohl bisweilen vermittels ihres Gegensatzes erkannt werden; bisweilen werden die Beschaffenheiten aber auch aus dem erkannt, was ihrem Begriffe untergeordnet ist. Ist es klar, was eine gute Körperkonstitution ist, so wird daraus auch klar, was eine schlechte Körperkonstitution ist, und ebenso erkennt man die gute Körperkonstitution auch aus dem was zu ihr gehört, und umgekehrt das letztere aus jener. Wenn eine gute Konstitution Straffheit der Muskulatur bedeutet, so wird notwendig Schlaffheit der Muskulatur eine schlechte Konstitution bedeuten, und das was eine gute Konstitution bewirken soll, muß die Eigenschaft haben, die Straffheit der Muskeln zu fördern. In der Regel folgt dann auch, daß jedesmal wenn das eine Glied des Gegensatzes in mehreren Bedeutungen ausgesagt wird, ebenso auch das andere Glied mehrere Bedeutungen hat; hat z.B. »gerecht« mehrere Bedeutungen, so gilt dasselbe auch von »ungerecht« und »Ungerechtigkeit«.

      Nun steht es wirklich so, daß Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit mehrere Bedeutungen hat; nur, weil die verschiedenen Bedeutungen desselben Wortes einander nahe verwandt sind, verbirgt sich die Vieldeutigkeit und liegt nicht so offen auf der Hand, wie da wo die Bedeutungen weiter voneinander entfernt sind. Ein starker Unterschied ist einer, der schon in der äußeren Gestalt hervortritt; so ist es wenn das Wort »Schlüssel« gleichmäßig gebraucht wird vom Schlüsselbein am Halsansatz der Tiere wie von dem Mittel, mit dem man eine Tür verschließt.

      Nun sei es ausgemacht, in wie vielen Bedeutungen das Wort »ungerecht« gebraucht wird: als ungerecht gilt 1. wer das Gesetz verletzt, ferner 2. wer für sich begehrt was zu viel ist, und somit ein Feind