damit als erledigt gelten. Auch wie das Gerechte und Ungerechte in diesem Sinne zu bestimmen ist, leuchtet ein. Denn so ziemlich die ganze Masse der dem Gesetze entsprechenden Handlungen macht das aus der Sittlichkeit in ihrem Totalbegriffe entspringende Handeln aus. Gebietet doch das Gesetz ein Leben im Sinne jeder Art von sittlicher Willensrichtung und verbietet ein Leben im Sinne jeder Art von Unsittlichkeit. Die Sittlichkeit in diesem vollen Sinne hervorzubringen ist die Aufgabe derjenigen gesetzlichen Bestimmungen, die die Erziehung für den Dienst der öffentlichen Interessen ordnen. Was dagegen die Erziehung des einzelnen zu einer sittlich wertvollen Persönlichkeit ohne weiteren Zusatz anbetrifft, so soll später entschieden werden, ob säe eine Aufgabe der Staatstätigkeit oder einer anderen Instanz bildet. Denn ein sittlich wertvoller Mensch und ein guter Bürger in irgendeinem Staate zu sein, ist doch entschieden nicht dasselbe.
2. Das objektiv Gerechte
b) Das Gerechte im Wiederherstellen
a) Das Gerechte im Austeilen
Die eine Form der Gerechtigkeit im engeren Sinne und ebenso des Gerechten ist diejenige, die beim Zuerteilen von Ehre, von Geld oder sonstigen Gütern zur Erscheinung kommt, an denen die Staatsangehörigen teilzuhaben berechtigt sind; denn darin kann es geschehen, daß der eine das Gleiche wie der andere, oder daß er Ungleiches empfängt. Eine zweite ist die, die sich als wiederherstellende im geschäftlichen Verkehr unter den Menschen betätigt. Von dieser letzteren gibt es wieder zwei Arten. Die geschäftlichen Beziehungen zwischen den Menschen beruhen teils auf freiem Wollen, teils sind sie nicht frei gewollte. Frei gewollt sind Geschäfte wie Kauf und Verkauf, Zinsdarlehen und Pfand, Leihe, Hinterlegung und Miete; man nennt sie freigewollt, weil diese Geschäfte ihren Ursprung in freier Willensentscheidung haben. Zu den nicht frei gewollten gehören einerseits diejenigen, die aus heimlichen Vergehungen, wie Diebstahl, Ehebruch, Giftmischerei, Kuppelei, Verführung von Sklaven, Meuchelmord, falschem Zeugnis, andererseits diejenigen, die aus gewaltsamen Vergehungen, wie Mißhandlung, Freiheitsberaubung, Totschlag, Raub, Verstümmelung, Verleumdung und Beleidigung entspringen.
Der ungerechte Mensch verstößt wider das Prinzip der Gleichheit, und das Ungerechte besteht eben in diesem Verstoß. Also gibt es offenbar auch gegenüber dieser Abweichung eine rechte Mitte, und diese besteht in der Befolgung des Prinzips der Gleichheit, in jeder Handlungsweise, in welcher für ein Zuviel und ein Zuwenig Platz ist, kann auch das vorkommen, was ein Gleiches ist. Ist nun das Ungerechte die Abweichung vom Gleichen, so ist das Gerechte die Innehaltung des Gleichen. Das ist die allgemeine Empfindung schon vor aller Überlegung. Bezeichnet nun das Gleiche ein Mittleres, so wird das Gerechte ein solches Mittleres sein. Die mindeste Anzahl von Gliedern, in denen das Gleiche vorkommen kann, ist zwei. Das Gerechte muß demnach als ein Mittleres und ein Gleiches bezüglich einer Sache und für Personen sein, und sofern es ein Mittleres ist, muß es zwischen anderen, nämlich dem Zuviel und dem Zuwenig, liegen; sofern es aber ein Gleiches ist, muß es für zwei Glieder, und sofern es ein Gerechtes ist, für gewisse Personen gleich sein. Also ist die Mindestzahl, bei der vom Gerechten die Rede sein kann, die Vierzahl. Es müssen zwei Personen sein, denen das Gerechte zuteil wird, und zwei Sachen, an denen das Gerechte zur Erscheinung kommt. Das Prinzip der Gleichheit gilt aber als eines und dasselbe sowohl für die Personen als für die Sachen. Wie sich jene, die Sachen, zueinander verhalten, an denen die Gleichheit stattfindet, so verhalten sich auch die Personen. Sind diese nicht gleich, so erhalten sie auch nicht das Gleiche; sondern Streit und Anschuldigungen entspringen eben daraus, wenn entweder solche, die gleich sind, nicht Gleiches, oder solche, die nicht gleich sind, Gleiches erlangen und genießen. Dies wird ferner auch verständlich nach dem Prinzip der Angemessenheit an die Würdigkeit der Person. Denn darüber herrscht allgemeine Übereinstimmung, daß bei der Verteilung die Würdigkeit den Maßstab bilden müsse; nur daß unter der Würdigkeit nicht alle dasselbe verstehen, sondern die demokratisch Gesinnten die bloße persönliche Freiheit, die oligarchisch Gesinnten den Reichtum, manche auch die edle Geburt, die aristokratisch Gesinnten dagegen den Adel des Charakters zum Maßstab nehmen.
Das Gerechte besteht also in einer Proportion. Denn die Proportion ist nicht bloß der unbenannten Zahl eigen, sondern der Zahl überhaupt. Proportion bedeutet Gleichheit der Verhältnisse, und so gehören dazu wenigstens vier Glieder. Daß die unstetige Proportion vier Glieder erfordert, liegt auf der Hand; es gilt aber auch von der stetigen; nur daß hier ein Glied zwei vertritt und zweimal vorkommt: z.B. es verhält sich a : b wie b : c, wo b zweimal steht und infolge dessen die Zahl der Glieder doch wieder vier ist. So sind es denn auch mindestens vier Glieder, die für das Gerechte in Betracht kommen. Der Exponent ist derselbe für beide Verhältnisse; die Personen und die Sachen werden durch denselben Exponenten gemessen. Wie das Glied a zu b, so verhält sich c zu d, und vertauscht man die Stellen, so verhält sich b : d wie a : c und daher auch die Summe der Glieder des einen Verhältnisses zu der Summe der Glieder des anderen Verhältnisses wie ein Glied des einen zum entsprechenden Gliede des anderen. Wenn die Austeilung die Glieder so paart und so zusammensetzt, dann ist das Verfahren ein gerechtes.
Das Gerechte in der Zuerteilung besteht also in der Verbindung des Gliedes a mit c und des Gliedes b mit d, und dieses Gerechte bedeutet ein Mittleres, das Ungerechte dagegen etwas, was gegen die Proportion verstößt. Denn das Proportionale ist ein Mittleres, das Gerechte aber ist ein Proportionales. Die Mathematiker nennen es eine geometrische Proportion; denn in der geometrischen Proportion verhält sich die eine Summe zur anderen Summe wie das eine Glied zum anderen Gliede. Diese Proportion hier ist nicht stetig; denn aus der Person, der etwas zuerteilt wird, und aus der Sache, die ihr zuerteilt wird, kann nie ein einziges und identisches Glied werden. Das also ist das Gerechte, das Proportionale, und das Ungerechte ist das, was gegen das Proportionale verstößt; dies aber ergibt das eine Mal ein Zuviel, das andere Mal ein Zuwenig. So tritt es uns denn auch in der Wirklichkeit entgegen. Wer ungerecht handelt, nimmt vom Gute zu viel, wer ungerecht behandelt wird, bekommt zu wenig; und umgekehrt ist es mit den Lasten. Denn das geringere Übel wird im Verhältnis zum größeren Übel unter den Begriff des Guten einbezogen. Das geringere Übel ist dem größeren vorzuziehen; was aber vorzuziehen ist, ist ein Gut, und ein größeres Gut ist das, was in höherem Maße vorzuziehen ist.
b) Das Gerechte im Wiederherstellen
Dies also ist die eine Art des Gerechten; die andere, die noch bleibt, ist die wiederherstellende, wie sie in den geschäftlichen Beziehungen, den frei gewollten und den nicht frei gewollten, zur Erscheinung kommt. Das Gerechte in diesem Sinne trägt einen ganz anderen Charakter als das vorher Behandelte. Denn das Gerechte in der Austeilung dessen was vielen zukommt besteht immer in einem Verfahren, das die vorher charakterisierte Proportion innehält. Wenn eine Geldsumme, an die mehrere einen Anspruch haben, verteilt werden soll, so wird es nach demselben Verhältnis geschehen, in welchem die Beiträge zueinander stehen die jeder geliefert hat; und das Ungerechte, das den Gegensatz zum Gerechten in dieser Bedeutung bildet, ist das was gegen die Proportion verstößt. Das Gerechte dagegen, wie es in den geschäftlichen Beziehungen vorkommt, bedeutet wohl eine Gleichheit, und das Ungerechte eine Verletzung der Gleichheit, aber nicht im Sinne jener Art von Proportion, sondern im Sinne der arithmetischen Proportion. Denn hier macht es keinen Unterschied, ob es ein ehrenwerter Mann ist der einen schlechten, oder umgekehrt ob es ein schlechter Mann ist der einen rechtschaffenen um das seinige gebracht, noch ob ein rechtschaffener oder ein schlechter Mensch den Ehebruch begangen hat; sondern