Aristoteles

Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst


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ob der eine Unrecht tut, der andere Unrecht leidet, der eine schädigt, der andere geschädigt worden ist, und darum versucht der Richter aus dem Ungerechten in dieser Bedeutung, welches wider die Gleichheit verstößt, die Gleichheit wiederherzustellen. Hat der eine Wunden empfangen, der andere Wunden ausgeteilt, hat der eine getötet, der andere den Tod erlitten, so ist zwischen dem der die Tat erlitten und dem der sie verübt hat, ein Verhältnis ungleicher Teilung eingetreten, und der Richter versucht vermittels der Strafe die Gleichheit herzustellen, indem er auf der Seite wo der Überschuß an Gewinn ist einen Abzug macht. Denn man spricht aus solchem Anlaß unbedenklich von einem Gewinn, auch wenn das Wort in manchen Fällen eigentlich nicht paßt; z.B. man spricht von Gewinn bei dem, der Wunden ausgeteilt, und von Verlust bei dem, der sie erlitten hat. Aber wenn was einem widerfahren ist dem Maß unterworfen wird, so faßt man das eine als Verlust auf, das andere als Gewinn. Und so ist denn auch hier zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig das Gleiche das Mittlere. Gewinn und Verlust sind einander entgegengesetzt, jener als das Zuviel, dieser als das Zuwenig; das eine als zuviel des Guten und zuwenig des Übels ist Gewinn, das Entgegengesetzte Verlust, dazwischen als das Mittlere das Gleiche und das was wir als das Gerechte bezeichnen. Das wiederherstellende Gerechte wäre demnach das Mittlere zwischen Gewinn und Verlust. Darum nimmt man, wenn man in einen Streit geraten ist, seine Zuflucht zum Richter; zum Richter gehen aber heißt sich an das Gerechte wenden. Denn des Richters Bedeutung ist gleichsam die, das Gerechte in Person zu sein. Man sucht den Richter, wie man das Mittlere sucht; manche Leute nennen ihn geradezu den Mittelsmann, in der Überzeugung, daß einer das Gerechte erlangt, wenn ihm das Mittlere zuteil wird. Das Gerechte ist demnach ein Mittleres, wenn dies doch auch vom Richter gilt. Der Richter stellt Gleichheit her, und wie bei einer in ungleiche Abschnitte geteilten Linie nimmt er vom größeren Abschnitt das Stück hinweg, um das er über die Mitte hinausreicht, und fügt es zum kleineren Abschnitt hinzu. Wenn aber ein Ganzes unter zwei geteilt wird, so sagt man, man habe dann bekommen was einem gebührt, wenn man das Gleiche erhält wie der andere; das Gleiche aber ist das nach arithmetischer Proportion Mittlere zwischen dem Zugroßen und dem Zukleinen. Eben daraus erklärt sich der Ausdruck für das Gerechte (dikaion) er bedeutet die Zweiteilung (dicha) er müßte also eigentlich dichaion, und das Wort für Richter dikastês, eigentlich dichastês lauten. Wenn man nämlich bei zwei gleichen Größen von der einen ein Stück fortnimmt und es der anderen hinzufügt, so ist die letztere um das Zweifache dieses Stückes größer geworden als die andere. Nähme man nur das Stück von der einen fort, ohne es zur anderen hinzuzufügen, so würde die eine Größe die andere nur um dieses Stück übertreffen; so aber ist die vermehrte Größe um dieses eine Stück größer als die Hälfte und die Hälfte wieder um dasselbe Stück größer als der kleinere Teil. Daraus also ersieht man, wie viel man dem der zuviel hat abnehmen und wieviel man dem der zuwenig hat zuweisen muß. Das Stück, um das die Hälfte größer ist als der Anteil dessen der zuwenig hat, muß man diesem zulegen, und das Stück, um das die Hälfte von dem größten Anteil übertroffen wird, muß man von diesem fortnehmen. Gegeben seien drei gleiche Linien:

      AB, CD und EF; schneidet man von AB ein Stück GB ab, fügt man dann zu EF das Stück FJ = GB hinzu, so ist die ganze Linie EJ um das Stück HF + FJ = 2 GB größer als AG, und um das Stück FJ größer als CD.

      Diese Ausdrücke: Gewinn und Verlust, sind von dem freiwilligen Austausch der Güter hergenommen. Gewinn nennt man den Zuwachs an den Gütern, die einer besitzt; Verlust erleiden heißt weniger haben, als man ursprünglich hatte. So ist es bei Kauf und Verkauf und bei den anderen Geschäften, bei denen das Gesetz dem Privatwillen seine Genehmigung gewährt hat. Erlangt man dabei weder einen Überschuß noch eine Minderung, sondern nur eben das was man hingegeben hat, so sagt man, man behalte was man hat und erfahre weder Verlust noch Gewinn. Das Gerechte ist daher in den nicht auf Freiwilligkeit beruhenden geschäftlichen Beziehungen ein Mittleres zwischen Gewinn und Verlust, also dies, daß man nachher das gleiche hat wie vorher.

      c) Vergeltung, Austausch

       Inhaltsverzeichnis

      Manche sind der Ansicht, auch die Wiedervergeltung, Gleiches für Gleiches, sei ohne weiteres ein Gerechtes. So lehrten die Pythagoreer; sie bestimmten den Begriff des Gerechten schlechthin als die Vergeltung für das einem anderen Zugefügte. Dieser Begriff der Vergeltung paßt aber weder auf das austeilende, noch auf das wiederherstellende Gerechte; obwohl man gemeinhin auch das Gerechte im Sinne des Rhadamanthys mit diesem Begriffe bezeichnen möchte:

      Wem widerfährt, was er tat, dem wird das grade, was recht ist.

      Beides geht indessen oftmals weit auseinander. So wenn jemand, der ein Amt führt, einen schlägt, dann ist diesem nicht gestattet wieder zu schlagen, und wenn jemand einen der ein Amt hat geschlagen hat, so muß er nicht bloß Schläge wieder erhalten, sondern auch noch sonstige Strafe erleiden. Einen großen Unterschied macht es ferner, ob die Handlung freiwillig oder unfreiwillig war. Aber in dem auf Austausch gerichteten Verkehr ist das, was den Verkehr aufrecht erhält, das Gerechte in dieser Form, die Vergeltung nach Proportion, und nicht die nach einfacher Gleichheit. Vergeltung nach Proportion ist die Bedingung für den Bestand der Staatsgemeinschaft. Denn Vergeltung wird entweder für Übeltat begehrt, und fiele sie hier fort, so wäre es der Zustand der Knechtschaft, falls es keine Vergeltung gibt, oder für Wohltat, und unterbleibt sie hier, so hört jede Art von Hingebung auf; durch solche Hingebung aber erhält sich das Gemeinschaftsleben. Darum stellt man auch den Menschen ein Heiligtum der Huldgöttinnen in den Weg, um den Dank für erfahrene Huld einzuschärfen. Denn das ist des Dankes eigenstes Wesen; wer Huld erwiesen hat, dem muß man wieder dienen und ihm gegenüber selbst wieder mit Hulderweisung von vorne beginnen.

      Es ist wie ein Entsprechen nach Art der Diagonalen eines Parallelogramms, die sich kreuzen, was die Wiedervergeltung nach Proportion ausmacht. Man nehme einen Baumeister A, einen Schuhmacher B, ein Haus C und Schuhzeug D. Der Baumeister bedarf dessen was der Schuhmacher produziert, und muß diesem dafür abtreten was er selbst produziert. Ist nun zunächst das nach Proportion Gleiche festgestellt und findet danach der Entgelt statt, so ist dieser Vorgang der von uns bezeichnete. Mangelt es daran, so findet keine Gleichheit statt, und der Austausch läßt sich nicht aufrecht erhalten; denn da hindert nichts, daß das Erzeugnis des einen das des anderen an Wert übertreffe. Es muß also Gleichheit zwischen beiden ausdrücklich hergestellt werden. Dasselbe findet auch auf den anderen Gebieten der Produktion statt. Sie würde unmöglich gemacht, wenn nicht das was der Produzent nach Quantität und Qualität herstellt, von den Konsumenten in gleicher Quantität und Qualität zurückerstattet würde.

      Ein Arzt und noch ein Arzt ergeben keine Gemeinschaft des Austausches, aber wohl ein Arzt und ein Landwirt, und überhaupt zwei Personen, die nicht gleich sind; aber zwischen diesen muß dann eine Ausgleichung stattfinden. Darum muß alles, was ausgetauscht werden soll, irgendwie vergleichbar sein. Dazu nun ist das Geld in die Welt gekommen, und so wird es zu einer Art von Vermittler; denn an ihm wird alles gemessen, also auch das Zuviel und Zuwenig: etwa welches Quantum von Schuhzeug einem Hause oder einem Quantum von Lebensmitteln gleich zu setzen ist. Es muß also der Unterschied zwischen dem Schuhzeug und dem Hause oder den Lebensmitteln ebensogroß sein, wie der Unterschied zwischen dem Baumeister und dem Schuhmacher oder dem Landwirt. Findet diese Gleichheit nicht statt, so gibt es keinen Austausch und keinen Verkehr, und diese Gleichheit kann nicht stattfinden, wenn es kein Mittel gibt, das Gleiche zu bestimmen. Es bedarf also eines einzigen allgemeinen Wertmessers, wie vorher gezeigt worden ist. Es ist aber in Wirklichkeit das Bedürfnis, das alles zusammenhält. Gäbe es keine Bedürfnisse oder gäbe es darin kein Gleich wider Gleich, so gäbe es keinen Austausch oder doch keinen von der gegebenen Art. So hat man denn durch Übereinkunft das Geld eingeführt gleichsam als Unterlage für den Austausch der Gegenstände des Bedürfnisses, und den Namen nomisma hat das Geld davon erhalten, daß es nicht der Natur, sondern dem Gesetz (nomos) seine Existenz verdankt und es in unserer Macht steht, es umzuändern und es außer Kurs zu setzen.

      Es wird demnach ein Entgelt hergestellt werden, wenn Gleichheit hergestellt ist, so daß der Unterschied, der zwischen dem Landwirt