Alexandra Horowitz

Hund-Nase-Mensch


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die tierischen Bewohner von Kenneth Grahams Weiden bemerken die „warmen, kräftigen und mannigfaltigen Gerüche – die sich drehten und wandten und umeinanderschlangen und schließlich zu einem vollkommenen üppigen Duft zusammenflossen, als hätte die Seele der Natur selbst Form angenommen und würde ihren Kindern erscheinen.“

      Und das ist noch nicht einmal die Hälfte.

      Ich lebe mit zwei vierbeinigen ständigen Anmahnungen an die Schärfe der Hundenase in meinem Haus zusammen. Wir sind fasziniert, wenn sie winzige Essenskrümelchen finden, die vor langer Zeit einmal von einem Kinderteller gefallen sind. Aber das ist ganz klar nicht das Ausmaß ihrer olfaktorischen Genauigkeit, sondern nur das Ausmaß dessen, was ich im Alltag wahrnehme.

      Wissenschaftliche Messungen zur Empfindlichkeit der Hundenase sind eher durch die Empfindlichkeit der Messinstrumente beschränkt – und durch das Interesse der Hunde, sich denselben unterzuordnen – als durch die Nasen selbst. Man hat sowohl Familien- als auch Spürhunde durch verschiedene Geruchserkennungsaufgaben geschickt, um herauszufinden, wie stark verdünnt ein Geruch sein kann, bevor ein Hund ihn nicht mehr wahrnehmen kann. Suchen wir zum Beispiel einmal einen Behälter, der Bananenduft wie etwa Amylacetat enthält, unter mehreren geruchsneutralen Behältern heraus. Hunde finden den Bananenduft so lange, bis er auf 1-2 Teilchen pro Billion verdünnt ist – zwei Tropfen Amylacetat, eine Billion Tropfen Wasser. Frühe Versuche mit einer ausgesprochen kooperativen Foxterrierhündin hatten bereits ergeben, dass sie ein Milligramm Buttersäure – riecht wie alte Socken – in 100 Millionen Kubikmetern Luft riechen konnte. Sie riechen die müffelnden Socken Ihres lieben Ehegatten in dem Moment, in dem er sie im Schlafzimmer auszieht – das wären etwa vierzig Kubikmeter nach alten Socken riechende Luft. Der Hund weiß aber auch in einem Raum, der größer ist als die riesige Werkshalle im Kennedy Space Center der NASA in Florida, in dem die Space Shuttles montiert werden, wenn jemand seine Socken ausgezogen hat. Jeder Hund in dem fast vier Millionen Kubikmeter Luft fassenden Space Center wüsste über schwitzende Astronauten Bescheid.

      Sprengstoffspürhunde riechen die unvorstellbar winzige Menge eines Pikogramms – ein Billionstel Gramm – TNT oder anderen Sprengstoff. Wie es wohl sein mag, wenn man ein Pikogramm eines Geruchs wahrnehmen kann? Da Sprengstoffspürhunde gelernt haben, sehr angenehme Assoziationen zu ihren Suchgerüchen zu haben, lassen Sie uns einmal einen Duft vorstellen, der unseren Nasen schmeichelt: Sagen wir frisch gebackene Zimtrollen zuhause in der Küche. Die durchschnittliche Zimtrolle enthält etwa ein Gramm Zimt. Natürlich bemerkt die menschliche Nase das in dem Moment, in dem wir die Haustür öffnen. Jetzt stellen Sie sich den Geruch von einer Billion Zimtrollen vor. Das ist, was der Hund riecht, wenn er mit uns zusammen zur Tür hineinkommt.

      Die Empfindlichkeit der Hundenase kann man auch einschätzen, wenn man einfach das Hundeverhalten anschaut. Jagdhunde und Mantrailer folgen von Natur aus den Geruchsspuren von Beutetieren oder Menschen, die zuvor – in manchen Fällen einige Tage zuvor – in schwierigem Gelände vorangegangen sind. Schauen Sie nur einmal das Video einer Sendungsaufzeichnung an, wie ein Showmoderator des Discovery Channel einen Bloodhound auszutricksen versucht. Er durchquert einen Fluss, sprüht sich mit Deodorant ein, legt Würstchen zur Ablenkung aus und geht dann ein Stück auf dem gleichen Weg zurück, um dann eine andere Richtung einzuschlagen. Der Hund folgt der Strecke, die er gelaufen ist, durchquert den Fluss, bemerkt (aber ignoriert) die Würstchen, geht die doppelt gelaufene Strecke zurück und stellt dann mit Leichtigkeit den Moderator.

      Wenn ein Mantrailer irgendwo in der Mitte auf eine Geruchsspur stößt, muss er nur fünf Fußabdrücke abschnüffeln (die in weniger als zwei Sekunden hinterlassen wurden), um zu wissen, in welche Richtung diese Person gegangen ist. Jeder Fußabdruck enthält eine gewisse Menge Geruch dieser Person, und wenn dessen Intensität sich zwischen Schritt eins und Schritt fünf steigert, hat der Hund seine Antwort. Auch wenn andere Menschen den gleichen Weg entlanglaufen oder andere Spuren die Spur kreuzen, kann der Hund immer noch seine Zielperson finden.

      Hunde sind so gut darin, ihre Zielperson zu finden, dass Gerichte in den Niederlanden, in Deutschland, Polen und ein paar anderen Ländern die Hinweise von Hunden aus Gegenüberstellungen mit Geruchsidentifikation als Beweis zulassen. Solche Gegenüberstellungen bestehen aber nicht etwa darin, wie man vielleicht denken könnte, dass der Hund eine Reihe von Verdächtigen und unschuldigen Vergleichspersonen abläuft und bei jedem stehenbleibt, um ihn abzuschnüffeln und für sich zu bewerten.*

      Stattdessen schnüffelt sich der Hund an einer Reihe von Metallstangen entlang, die von dem Verdächtigen und von Vergleichspersonen angefasst wurden. Hunde finden denjenigen Geruch heraus, der auch am Tatort vorhanden war – und identifizieren so den Täter.

      Ihr eigener Hund, der jetzt gerade neben Ihnen liegt, vollbringt jeden Tag überraschende und manchmal auch alarmierende geruchliche Heldentaten. Viele dieser Verhaltensweisen sind uns vertraut; was uns nicht vertraut ist, ist der dahinterliegende Geruch.

      Lassen Sie uns als ersten Schritt in Richtung Entdeckung der Genauigkeit der Hundenase also einmal anschauen, was ein Hund im Verlauf eines ganz gewöhnlichen Tages riechen kann und riecht. Unsere Hunde existieren parallel zu uns, zu unseren Füßen und an unserer Seite gehen sie mit uns im Gleichschritt. Zwar schauen wir ihnen in die Augen und sehen, wie sie schauen – sie blicken uns an oder halten Ausschau nach einem in der Ferne bellenden Hund –, aber der größte Teil ihres Verhaltens dreht sich um ihre Nase und um das Riechen der Welt.

       Nett, Sie kennenzuschnüffeln

      Wenn man sie tun lässt, was sie möchten, werden die meisten Hunde keine flüchtigen Geruchsspuren fremder Menschen verfolgen oder nacheinander Metallstangen abriechen. Hunde beschnüffeln gern andere Hunde. Menschen schauen gerne andere Menschen an – wenn man sie alleine in einem Raum lässt, werden sie sich Bilder, egal ob statische oder bewegte, anderer Menschen anschauen. Ich weiß, hündische Versionen von Pin-Ups erfreuen sich unter Hunden keiner Beliebtheit, aber wenn ich den Duft jener schlanken schwarz-weißen Hündin vom Straßenende in einer Flasche einfangen könnte, würde er sicher eine gute Ablenkung für unsere Hunde abgeben, wenn sie alleine sind und sich langweilen.

      Mit Sicherheit hat jeder Hundebesitzer das schon beobachtet. Aber glauben Sie nicht, dass das gegenseitige Beschnüffeln so bedeutungslos ist wie ein Niesen. Wenn ein Hund niest, tut der andere es nicht ebenfalls. Aber wenn sich zwei Hunde begegnen, schnüffeln sie und lassen sich beschnüffeln, und das ist echte Kommunikation. Offensichtlich liegt in dem Beschnüffeln anderer Hunde auch ein Vergnügen, aber was wir nicht sehen können, ist die dabei übermittelte Information. Ihr Schnüffeln hat ein bestimmtes Maß: Entweder beschnüffeln sich beide sofort gleichzeitig oder sie wechseln sich höflich ab und stecken ihre Nase in das Fell des jeweils anderen. Das Fell beherbergt Gerüche aus Hautdrüsen, die an beschnüffelbaren Körperstellen liegen. Und diese Gerüche sind der Schlüssel: Sie beinhalten die neuesten Nachrichten über den Hund, von dem sie ausgehen.

      Bei der Beobachtung von sich gegenseitig beschnüffelnden Rüden und Hündinnen fanden Wissenschaftler heraus, dass Rüden es gern zuerst auf den „Schwanzbereich“ (sprich: Rumpf) anlegen. Rund um den Anus liegen Hautdrüsen, die Geruch absondern. Zu beiden Seiten des Anus („auf vier und acht Uhr“, wie ein Autor hilfreich für die Zifferblattleser unter uns anmerkt) liegen die Analbeutel, die den kräftigen Geruch nach Hund absondern. Oder genauer gesagt, vermutlich nach gestresstem Hund. Wenn ein Hund Angst hat, sondern die Beutel einen stinktierartigen Geruch ab. Sekrete aus den Analbeuteln dienen außerdem als Topping auf jedem Häufchen. Manche Wissenschaftler betrachten diesen Geruch deshalb als die „Unterschrift“ jedes Hundes – seine Kennmarke, geschrieben für Nasen. Vor vierzig Jahren drückten Dr. George Preti vom Monell Chemical Senses Center und seine Kollegen die Analbeutel-Inhalte einiger mäßig kooperativer Beagle aus. „Ich war ein Pionier!“, erzählte er mir. „Ohne Nachfolger.“ Was sie nach Analyse der Bestandteile herausfanden, war: Obwohl die Gerüche sich für die meisten menschlichen Nasen zu ähneln schienen, variierten die Proben beträchtlich: genug, um als Marker für jedes Individuum zu dienen. Weil Hundeforscher (anscheinend) so gut wie alles tun, um mehr über ihre Forschungsobjekte zu erfahren, wissen wir nun, dass es sogar für Menschen wahrnehmbare Unterschiede zwischen den Sekreten