Uschi Zietsch

Elfenzeit 8: Lyonesse


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beide. Immer schneller und schneller drehten sie sich, immer mehr Sand wirbelte auf, wurde zu einem dichten Umhang, einer … Mauer.

      Endlich merkte Ghibli es. »Was tust du?«, erscholl seine Stimme aus dem fest gewobenen Wirbel, der sich immer noch rasendschnell drehte und nichts mehr hindurchließ. »Lass mich frei!«

      Der Getreue musste sich den Bauch halten, so lachte er. Es tat ihm gut, neue Kräfte durchströmten ihn, und er fühlte sich bedeutend besser.

      »Tanz, kleiner Wind, tanz!«, rief er dem gefangenen Südwind zu. »Die Dünentänzerin ist allein dein, genieße das Geschenk!«

      Lachend ging er weiter, während Ghibli verzweifelt hinter ihm herschrie, ihm drohte, ihn verfluchte, ihn zuletzt um Befreiung anbettelte. Aber der Getreue hatte kein Ohr mehr dafür. Ghibli hatte bekommen, wonach er verlangt hatte, alles weitere ging ihn nichts mehr an. Beschwingt schritt er aus, erklomm die Düne und ließ sich auf der anderen Seite hinabsinken.

      Die Berge waren nun nicht mehr fern. Dem Getreuen war nicht wohl zumute, wenn er an die schwierige Überquerung dachte. Er würde sich von der Ley-Linie entfernen, die sich zudem dort verzweigte. Der Hauptstrang floss weiter nach Ägypten, zur Oase Siwa, und ein Nebenzweig folgte dem Pfad nach Norden, zu nicht weniger bedeutungsvollen Orten … zumindest hatte der Getreue es so in dunkler Erinnerung.

      Doch die Felsen waren hoch, der Abstand weit, in seiner gegenwärtigen Verfassung keine angenehme Vorstellung. Früher … hätte er sich einfach an seinen Bestimmungsort gedacht. Aber nicht nur, dass ihm die Kraft dazu fehlte – er kannte seinen Bestimmungsort nicht. Vermutlich würde er sich erst daran erinnern, wenn er ihn erreicht hatte.

      Die Dünen zogen sich allmählich zurück, und eine Kiesebene breitete sich am Fuße des Gebirges aus. Sobald er das Reich des Sandes verlassen hatte, gab es keine Deckung mehr, auch keine Hilfsmittel für kleine Zaubertricks.

      So ungeschützt und schwach zu sein … fast wie ein Mensch.

      Der Mann ohne Schatten lächelte grimmig. Dann soll es eben so sein.

      Nur noch etwa vierhundert Meter trennten den Sand vom Stein.

      Da verdunkelte sich innerhalb weniger Augenblicke der Himmel, und ein Sturm brach aus. Ein Sandsturm, der von Süden her mit gewaltiger Geschwindigkeit heranrollte. Sandwogen, höher als ein Tsunami, rasten heran und bedeckten im Nu das Himmelsblau. Der Getreue hastete in die Deckung einer Düne, die Einzige, die ihm blieb. Noch während er sich niederließ, um den Sturm über sich hinwegbrausen zu lassen, materialisierte vor ihm eine aus Sandwirbeln geformte Gestalt, ein Mann von drei oder vier Metern Höhe, der so sengende Hitze ausstrahlte, dass der Sand rings um ihn zu Glas gebacken wurde.

      »Schattenloser!«, donnerte er.

      »Chamsin!«, gab der Getreue zurück, denn er zweifelte keinen Moment daran, dass der mächtigste und tödlichste von Ghiblis Brüdern eingetroffen war. »Was verschafft mir die Ehre?«

      »Das weißt du besser als ich!«, brüllte der glühende Wüstenwind. »Was hast du meinem Bruder angetan?«

      »Nichts. Was sollte man einem Wind schon antun können? Er weht davon.«

      »Wenn er es vermag! Du hast ihn eingesperrt, die schlimmste und unerträglichste Schmach für unsere Art!«

      »Oh, aber es war sein Wunsch – er wollte eine Dünentänzerin für sich, ohne dass du davon …«

      »Schweig!« Chamsin wuchs immer mehr in die Höhe, und Flammen umloderten ihn.

      Als er sich umsah, erblickte der Getreue eine gigantische Sandwelle über sich, die in der Bewegung eingefroren war. Würde sie freigesetzt, überspülte sie vermutlich noch die Südflanke des Gebirges und begrub alles unter sich. Der dabei ausgestoßene Staub würde bis Europa wehen und Fensterscheiben und Autos gelb färben. Möglicherweise war die Sandwolke sogar noch am Himmel erkennbar.

      »So ein Aufwand nur meinetwegen?«, rief der Getreue. »Ich fühle mich geschmeichelt!«

      »Ich tu dir einen Gefallen, wenn ich dich hier und jetzt begrabe«, dröhnte Chamsin. »Viele sind bereits auf der Suche nach dir. Es hat sich an gewissen Stellen herumgesprochen, dass du kränkelnd durch die Wüste ziehst, und eine Menge sehnen sich nach Rache.«

      »Wie überaus zuvorkommend von dir, mich zu warnen. Aber nun muss ich weitergehen.« Der Getreue richtete sich auf und schickte sich an, auf das Gebirge zuzuschreiten.

      Chamsin tobte vor Zorn, seine Gestalt verflüchtigte sich und formte sich neu zu einer rasenden Windsäule. »Du wagst es, mich zu missachten?«

      »Du kannst mich nicht töten«, versetzte der Getreue. »Niemand kann das. Und für Rache besitze ich nicht mehr genug Substanz. Ich würde mich schneller auflösen als einer von euch mich überhaupt greifen kann.«

      »Ich will dich ja nicht töten«, zischte der Wüstenwind, und der Mann ohne Schatten musste hastig den Fuß zurücknehmen, als der schmelzende Sand nun bis zu ihm reichte, rauchend und zu Glas erstarrend.

      Chamsin fuhr fort: »Ich werde dich hier begraben, bis du von selbst dahingeschwunden bist! Denkst du, ich weiß das nicht? Alle Winde sind Brüder, Schattenloser! Ich habe genug über dich gehört!«

      Der Getreue erkannte, dass er so nicht weiterkam. Er konnte sich auf keine Auseinandersetzung mit dem mächtigen Wind einlassen, das würde ihm Kräfte rauben, die er dringend benötigte.

      Er schnellte in den Dünenschatten zurück, kauerte sich hin und warf den Umhang um sich, rollte sich wie ein Igel ein, und gerade noch im rechten Moment.

      Chamsin ließ die wartende Sandwoge frei, die nun über dem Getreuen zusammenschlug. Das ohrenbetäubende Pfeifen und Brausen ließ keine anderen Geräusche mehr zu, der Sand war allgegenwärtig. In rasender Geschwindigkeit verschüttete er den Getreuen, drang durch das Gewebe, die Stiefel, die Handschuhe, drang in jede Pore, jede Öffnung, unaufhaltsam. Er ertrank im Sand, erstickte im Staub. Es gab keinen Schutz, keine Rettung.

      Dem Sand konnte man ebenso wenig entkommen wie dem Wasser – es sei denn, man besaß Kiemen.

      Doch im Sand waren Kiemen nutzlos. Selbst die gut angepassten Tiere hatten keine Chance, wenn sie es nicht rechtzeitig in die Tiefe schafften. Und auch dann war es fraglich, ob sie sich aus der Verschüttung befreien konnten. Sich freizugraben war fast unmöglich – je weiter es hinaufging, je mehr man unten schaufelte, desto mehr Sand rieselte von oben herunter und füllte den freigelegten Graben neu.

      Der Sand war eine Naturgewalt, der nicht beizukommen war. Sie stellte auch den Getreuen auf eine harte Probe. Er spürte, wie sein stofflicher Körper langsam erstickte und verfiel, kaum dass er angefangen hatte, sich zu verfestigen. Der Verhüllte wusste nicht, wie er dem beikommen sollte, versuchte das Gewebe des Umhangs dichter zu verbinden, noch enger um sich zu schlingen und zu verhärten. Es gelang ihm kaum, und er verlor zusehends die Kontrolle. Aber er wollte nicht wieder als Tuchfetzen enden, der auf ewig im Sand begraben lag, ohne Aussicht auf Rettung, mit einem langsam erlöschenden Bewusstsein.

      Ich hatte einst eine kalte Aura, dachte er. Sie muss mir helfen …

      Er strengte sich an, suchte die Verbindung zur Ley-Linie und zapfte sie an. Der Strom floss nur dünn an dieser Stelle, doch er genügte ihm. Nach kurzer Zeit umhüllte ihn der Schutz seiner Aura, die eisige Kälte verströmte und sich gegen den heißen Sturm stemmte. Der Sand prasselte in unverminderter Wucht dagegen, konnte aber nicht mehr durchdringen.

      Wie lange es dauerte, konnte der Getreue nicht einmal schätzen. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Müdigkeit spürte er, trotz der Verbindung zur Kraftlinie. Der Erstickungstod immerhin war abgewendet, sein geschwächter, halbstofflicher Körper erholte sich langsam. Die Kälte war wohltuend, schützte ihn vor Hitzschlag und Verbrennungen. Geduldig wartete er, weigerte sich, dem Verlangen nach Schlaf nachzugeben. Erst später, viel später würde die Zeit kommen zu ruhen. Doch nicht jetzt.

      Schließlich war es vorbei. Chamsin konnte seinen Zorn nicht ewig über ihm ausschütten, es gab Regeln. Die Menschenwelt war sehr fragil. In diesen