Uschi Zietsch

Elfenzeit 8: Lyonesse


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      »Wir dachten, sie wäre im Baumschloss …«

      »Da war sie und wird sie jetzt hoffentlich wieder sein.«

      Also erzählte Tom ihnen von David und Rians Gefangenschaft in Cagliostros Händen und dessen Bund mit einem Dämon der japanischen Anderswelt Bóya. Robert wurde es ganz anders, als er von diesem Abenteuer hörte, er hätte nie damit gerechnet, dass Nadja sofort wieder in Schwierigkeiten geraten würde.

      »Und … seither haben Sie nichts mehr von ihr gehört?«, fragte er am Ende der langen Erzählung.

      Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung wirkte Tom beunruhigt. »Nein, ich dachte zuerst … Sie könnten mir etwas sagen, aber da Sie nichts von Tokio wussten … Nadja ging mit David und Rian nach Crain zurück. Ich habe seit dem Abschied in Tokio nichts mehr von ihr gehört.«

      Robert schluckte. Hoffentlich war alles in Ordnung …

      »Das muss aber nichts besagen«, sagte Tom schnell, der seinen Gesichtsausdruck richtig deutete. »Ich meine, ich bin selbst erst seit ein paar Tagen zurück.«

      »Wir sind auch in einer anderen Sache hier«, sagte Anne auf ihre gewohnte nüchterne Art.

      »Dann schießen Sie los. Oder, warten Sie!«, rief Tom und setzte sich kerzengerade auf. »Es geht um die erfrorenen Leichen am Stachus, nicht wahr?«

      »Scharfsinnig auch noch«, sagte Anne, und diesmal klang sie spöttisch.

      Tom winkte ab. »Ich habe selbst schon Bücher gewälzt.« Dann wechselte er erneut: »Sie sind ja unglaublich berühmt geworden, Robert! Und zu Recht. Ich habe mir Ihr Buch gekauft und gelesen – ich finde es den hellen Wahnsinn, aber das wissen Sie ja selbst.« Er warf einen schüchternen Blick zu Anne, bevor er Robert wieder ansah und begeistert fortfuhr: »Leider habe ich es nicht dabei, denn ich hätte unheimlich gern eine Widmung!«

      »Wir könnten ja tauschen«, schmunzelte Robert. »Ich habe nämlich Ihr Buch auch gelesen und hätte gern eine Widmung. Läuft ja ebenfalls sehr ordentlich – Platz Drei bei den Sachbüchern …«

      Tom lachte fröhlich. »Aber das lässt sich bei weitem nicht mit Ihrer Auflage vergleichen. Dennoch: Ich bin momentan, wenn ich nicht übermütig werde, finanziell unabhängig und kann in aller Ruhe an dem nächsten Titel arbeiten …«

      »Haben Sie noch Kontakt zur Contessa?«, unterbrach Anne.

      »Ja, ab und zu. Es geht ihr gut, sie ist dabei, sich in Rom ein neues Leben aufzubauen. Es gibt schon einige vermögende Verehrer. Und auch ihr Vater ist mit sich ins Reine gekommen.« Toms Miene verfinsterte sich. »Sie darf niemals erfahren, was aus Cagliostro wurde. Wenigstens scheint er nicht nach ihr zu suchen. Warum auch, er konzentriert sich jetzt auf andere Ziele, wie die Weltherrschaft etwa.«

      Robert musste einräumen, dass er Tom auf Anhieb mochte. Er tat Nadja sicher gut durch seine bodenständige, fröhliche Art und wie er die Dinge anpackte. Immerhin hatte sich auch seine Welt grundlegend auf den Kopf gestellt, und das … ja, das verband sie im Grunde eng miteinander. »Hör mal, Tom«, sagte er mitten in die Unterhaltung zwischen ihm und Anne hinein. »Ich finde, wir sollten diese dummen Förmlichkeiten lassen. Nach allem, was wir erlebt haben, und wir sind Nadjas Freunde …«

      »Gern«, strahlte Tom. »Wisst ihr, ich bin sehr allein, denn irgendwie passe ich nicht mehr zu all den Normalos um mich herum. Das liegt natürlich an mir, dass ich die anderen auf einmal hohl finde. Und … und ich … ach, seit Island hat sich so viel verändert, zum Guten, aber auch zum Tragischen. Und ich kann mit niemandem darüber reden …«

      Robert schwieg. Er wusste, was Tom meinte – den Tod von Nadjas Eltern, Fabio und Julia Oreso, die sich geopfert hatten, um Ragnarök zu verhindern. Robert hatte Julia zum ersten Mal und nur für ein paar Minuten auf Island kennengelernt, doch es reichte aus, um sie genauso wie Fabio zu vermissen. Er war nur froh, dass er den Tod der beiden nicht unmittelbar miterlebt hatte – und vor allem Nadja nicht.

      »Einverstanden«, sagte auch Anne. »Wir sind inzwischen alle Gestrandete.«

      »Was meint ihr … wie wird es weitergehen? Ist der Getreue nun tot oder nicht?«, fragte Tom.

      »Ich kann den Elfenkanal nicht mehr benutzen«, erwiderte Anne. »Fanmór hat die Grenzen um Earrach so dicht wie möglich geschlossen, um Tara zu isolieren. Wir wissen nicht, was mit Bandorchu ist, aber ich bin sicher, sie wird leiden, da ihr wichtigster Verbündeter verschwunden ist.«

      Aha, dachte Robert bei sich. Das also ist der Grund, warum sie keine Informationen hat und sich scheinbar weigert, den Elfenkanal anzurufen. Tom sagt sie das ganz offen, und bei mir macht sie ein Geheimnis daraus.

      Toms Stirn legte sich in Falten. »Also, Bandorchu ist der Feind, das weiß ich. Aber … nach allem, was ich da in Tokio erlebte und an Verflechtungen erkannte … was meint ihr, was geschieht, wenn sie stirbt?«

      Robert sah, wie Anne den jungen Mann auf einmal mit neuen Augen betrachtete. Sie sagte: »Das ist eine Befürchtung, die auch ich hege.«

      »Uff«, machte Tom erschrocken.

      Für einen Moment legte sich Schweigen über den Raum. Draußen schneite es schon wieder, es war düstergrau, und das Zimmer könnte ein bisschen Licht vertragen. Nicht, dass Robert es brauchen würde, aber es war anheimelnder und … tröstlicher. Er stand auf und schaltete die Stehlampe an, die sofort ein warmgoldenes Licht verbreitete.

      »Ähm …«, machte Tom schließlich. »Kommen wir aufs Thema zurück, bei dem wir etwas unternehmen können – die Morde am Stachus.«

      »Richtig«, sagte Robert erleichtert. Er wollte sich weiterhin an die Vereinbarung mit Anne halten, sich nicht in die Belange des Krieges zwischen Bandorchu und Fanmór einzumischen. Wenn er konnte, beschützte er Nadja und ihr Kind, und er war für die Zwillinge da – aber damit erschöpfte sich sein Wille zur Teilnahme. Wohin das führte, wenn man sich zu sehr einmischte, hatte er auf Island gesehen. Und mit Göttern konnte und wollte er sich nicht auseinandersetzen, auch nicht mit mächtigen Wesen wie Fanmór und Bandorchu.

      Aber was hier in München geschah, da konnte etwas unternommen werden. Und es war auch wichtig, denn Robert und Anne waren keine »normalen« Menschen. Früher oder später würde das irgendjemandem auffallen, und dann wäre die Hexenjagd eröffnet. Sobald einmal das Augenmerk auf sie gefallen war, würden sie nie wieder Ruhe bekommen. Es war schon brenzlig gewesen, sich einem Profi wie Hans Dauß zu zeigen – aber noch gefährlicher, sich still zu verhalten. Also war es wichtig, die Sache so schnell wie möglich aufzuklären, um zur Tagesordnung zurückzukehren. »Du hast schon Bücher gewälzt?«

      »Ja, von Nicholas Abe. Ich nehme an, das hat euch auf die Idee gebracht, hier auf mich zu warten?«

      Robert nickte anerkennend.

      »Abes Wohnung wurde damals ja von Tanner ausgeräumt … apropos, was wurde denn aus dem?«

      »Der wurde ebenfalls ein Opfer von Ragnarök«, antwortete Anne kalt.

      Genauer gesagt, dachte Robert bei sich, hatte seine Frau dem Amerikaner die Kehle aufgeschlitzt. Er hatte es verdient gehabt, und am Ende hatte es tatsächlich so ausgesehen, als würde er den Tod sogar begrüßen.

      »Also kann er Nadja nicht mehr schaden? Da bin ich aber froh!«, rief Tom erleichtert. »Und ich brauche auch keinen Schiss vor seinen Schlägern mehr zu haben …« Er hob die Hand, als er Annes Ungeduld bemerkte. »Bin wieder beim Thema! – Also, ein paar Sachen konnte ich retten, bevor sie verschleppt wurden. Wie lange geht das überhaupt schon so?«

      »Ein paar Tage«, antwortete Robert.

      »Gut, dann habe ich noch nicht viel versäumt. Ich kam nämlich gerade von Tokio zurück, als meine Nachbarin, die immer über alles genau Bescheid weiß, mich sofort damit überfiel. Und da ich mittlerweile ziemlich paranoid geworden bin, was seltsame Vorfälle betrifft, habe ich mich gleich an die Recherche gemacht. Mir ist augenblicklich eingefallen, wie ich Abe kennenlernte – nämlich am Stachus. Beim Umbau eines Geschäftshauses dort sackte plötzlich der Boden unter