kam, sie brachte es jedoch nicht über sich, die Sache per Telefon aufzulösen. Das wäre zu feige.
Ihr Vater hatte ebenfalls angerufen. Er würde in der folgenden Woche nach Gotland kommen, er hatte in Visby Geschäftliches zu erledigen und wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Vielleicht machte er sich Sorgen um sie. Martina stand ihrem Vater nah, auch wenn sie fand, dass er sie manchmal zu sehr zu beschützen versuchte. Und natürlich hatte sie ihm oft genug Grund zur Sorge geliefert. Martina war ehrgeizig und eine gute Schülerin, ihr Studium lief hervorragend, in ihrer Freizeit aber wollte sie sich amüsieren, und im Umfeld der Universität von Rotterdam wurde viel gefeiert. Drogen hatte sie auch ausprobiert, aber nur die von der harmloseren Sorte.
Martinas Interesse an Archäologie war geweckt worden, als sie eine Fernsehsendung über Ausgrabungen in Peru gesehen hatte. Sie war beeindruckt von der geduldigen, systematischen Arbeit der Archäologen und dem, was die Erde berichten konnte.
Als sie ihr Studium aufgenommen hatte, hatte sie sich bald auf die Wikingerzeit spezialisiert. Sie las alles, was sie über das Leben der Wikinger auftreiben konnte. Ihre Religion und der Glaube an die verschiedenen Asengötter sprachen sie an, und sie fand nicht nur die Wikingerschiffe und die Beutezüge um die ganze Welt faszinierend, sondern auch die umfassende Handelstätigkeit, die die Wikinger nicht zuletzt auf Gotland betrieben hatten.
Der Kurs hatte Martinas Interesse noch verstärkt, und sie hatte schon beschlossen, sich nach dem Grundstudium weiter damit zu beschäftigen und sich für einen Studienplatz auf Gotland zu bewerben.
Als sie geduscht hatte, waren die anderen schon zum Bus gegangen, um zur Vorlesung zu fahren. Sie folgte ihnen und erklärte, sie fühle sich nicht wohl und wolle zu Hause bleiben. Eva machte einen enttäuschten Eindruck, sie hatten danach doch noch ein gemeinsames Bier trinken wollen, wo sie schon einmal in der Stadt waren.
Als der Bus losgefahren war, stürzte Martina wieder ins Haus, holte ihre Tasche und warf einen Blick in den Spiegel. Sie sah gut aus, die gotländische Sonne hatte ihrer Haut eine schöne Tönung gegeben, und ihre langen Haare waren blonder als sonst.
Er wollte sich am Hafen mit ihr treffen. Mit raschen, erwartungsvollen Schritten lief sie über die Holzbrücke hinter der Jugendherberge, die zum Hafengelände führte.
Petesviken lag ein ziemliches Stück von Visby entfernt an Gotlands Südwestküste. Johan und Pia fuhren rasch aus der Stadt hinaus, und Pia, die Fahrerin, nickte zu dem Schild mit der Aufschrift »Högklint« hinüber, als sie an der Ausfahrt vorbeikamen.
»Auch daraus können wir etwas machen, wenn wir uns schon mit dem überhitzten Immobilienmarkt beschäftigen. Ab und zu habe ich das Gefühl, dass die Hysterie der achtziger Jahre wieder da ist. Hast du von dem Luxushotel gehört, das da draußen gebaut werden soll?«
»Sicher, darüber haben wir doch schon mehrere Male berichtet. Sie warten wohl nur noch auf den Beschluss der Gemeindeversammlung im Herbst, um loszulegen.«
»So ungefähr. Baubeginn wird wohl noch in diesem Jahr sein. Es wird ein Riesenkomplex mit mehreren Hotels, Wohnungen, Gourmetrestaurant und Nachtclub. Fünf Sterne.«
»Da fragt man sich ja, ob es wirklich genügend Interessenten für so ein Unternehmen gibt.«
»Bestimmt. Auf dem Festland wimmelt es doch nur so von Gotlandromantikern. Leute, die in jüngeren Jahren ihre Ferien hier verbracht haben und nun mit der Familie herkommen, um die Insel auf behaglichere Weise wieder zu erleben. Und es gibt genug Leute mit Geld.«
»Immerhin entstehen auf diese Weise Arbeitsplätze, auch wenn es sicher auch Widerstand gibt. Högklint steht ja unter Naturschutz?«
»Am Rand des Plateaus darf nicht gebaut werden. Aber trotzdem ist es unglaublich, dass diese Baupläne durchgegangen sind. Die stärksten Proteste kommen natürlich von den Anwohnern, es gibt doch schon wilde Diskussionen, wenn jemand nur seine Haustür neu anstreicht. Ansonsten sind vor allem die Naturschützer, die sich für Vögel und Pflanzenwelt interessieren, skeptisch. Auf dem Felsen bei Högklint brüten im Frühling viele Vogelarten, und dann gibt es dort ja die schönsten Aussichtspunkte auf der ganzen Insel. Und ich glaube, viele finden, dass auf dieser Seite von Visby genug gebaut worden ist, denk doch nur an das Kneippzentrum.«
»War das nicht ein ausländischer Besitzer?«, fragte Johan.
»Ich glaube, das verteilt sich auf einige ausländische Investoren und auf die Gemeinde.«
»Das müssen wir überprüfen, wenn wir Zeit haben. Das wäre jedenfalls genug Stoff für eine längere Reportage.«
Eine Dreiviertelstunde später hatten sie Petesviken erreicht.
Die Koppel war abgesperrt und wurde von einigen uniformierten Polizisten bewacht, die am Gehege standen. Keiner von ihnen wollte Johans Fragen nach dem enthaupteten Pferd beantworten, alle verwiesen ihn an Knutas.
Pia hatte schon die Kamera gezückt, was Johan kaum überraschte. Sie hatte eben Tempo. Er hatte sie schon an ihrem ersten Tag in der Redaktion gemocht. Sie sah extrem aus mit ihrer kurzen schwarzen Zackenfrisur, dem Ring in der Nase und ihrem schweren Make-up um die dunkelbraunen Augen. Sie hatte ihn kurz begrüßt und dann sofort mehrere eigene Ideen vorgetragen. Das war ein gutes Omen für diesen Sommer. Sie war in Visby geboren und aufgewachsen und kannte Gotland wie ihre Westentasche. Durch ihre große Familie hatte sie Kontakte in vielen Orten auf der Insel. Sie hatte nicht weniger als sechs Geschwister, und alle wohnten mit ihren Familien auf Gotland, deshalb war ihr Netzwerk riesig groß. Vielleicht waren ihre Aufnahmen nicht immer von der Qualität, die Johan gewohnt war, aber sie machte viele Bilder und fand oft eigene Perspektiven. Mit der Zeit würde sie sicher hervorragend werden, wenn sie sich ihr Engagement erhalten konnte. Sie war jung, ehrgeizig und zielstrebig, vielleicht würde sie irgendwann einmal bei einem der großen Sender in Stockholm fest angestellt werden. Sie arbeitete zwar erst seit einem Jahr, aber sie hatte bereits eine längere Zeit als Aushilfe beim Schwedischen Fernsehen hinter sich gebracht, was beachtlich war. Jetzt war sie gerade hinter einer Biegung verschwunden.
Er wäre gern unter den Absperrbändern hindurchgekrochen, aber er wusste, wenn er dabei entdeckt würde, dann würde er bei der Polizei in Ungnade fallen, und das konnte er sich nicht leisten. Die Chefs in Stockholm spielten mit dem Gedanken, den Posten auf Gotland dauerhaft einzurichten, und bei diesem Beschluss würde das Ergebnis dieser Probezeit eine große Rolle spielen. Und Johan wollte nichts lieber, als hier zu bleiben.
Er hielt Ausschau nach Pia, aber die war wie im Erdboden versunken. Erstaunlich, so schwer und klobig, wie die Fernsehkamera war, die sie mit sich herumschleppte. Er begann, am Zaun entlang zu wandern.
Die Weide war groß, er konnte das Ende nicht sehen, das Wäldchen versperrte ihm die Sicht. Er ließ seine Blicke an den Bäumen entlang wandern und entdeckte plötzlich Pia. Sie war in das abgesperrte Gelände eingedrungen und machte eine Panoramaaufnahme der Umgebung. Zuerst war er wütend, er würde die Konsequenzen tragen müssen, wenn sie das im Fernsehen zeigten, aber gleich darauf bereute er diese Reaktion. Sie tat einfach ihr Bestes, um gute Aufnahmen zu machen. Genauso hatte eine Fotografin zu arbeiten. Wenn man zu eng mit der Polizei zusammenarbeitete, lief man Gefahr, zu viel Rücksicht zu nehmen. Man dachte nicht mehr an die Interessen der Zuschauer, sondern versuchte, auf gutem Fuß mit der Ordnungsmacht zu bleiben. Und so wollte Johan nicht enden. Er wusste, dass er aufpassen musste. Seine Verärgerung machte Dankbarkeit Platz. Pia war eine verdammt gute Fotografin.
Als Pia fertig war, suchten sie die in der Nähe gelegenen Höfe auf. Aber niemand wollte interviewt werden. Johan hatte den Verdacht, dass die Polizei dahinter steckte. Als sie schon aufgeben wollten, kam ein Junge von zehn, elf Jahren über den Weg. Johan kurbelte das Fenster herunter.
»Hallo, ich heiße Johan, und das ist Pia. Wir arbeiten beim Fernsehen und haben Aufnahmen gemacht, da, wo das Pferd getötet worden ist. Hast du davon gehört?«
»Aber sicher«, sagte der Junge. »Ich wohne da hinten.«
Er nickte rückwärts über den Weg.
»Kennst du die Mädchen, die das Pferd gefunden haben?«
»Ein bisschen. Die