Mari Jungstedt

An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi


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sich oft niedergeschlagen und lustlos. Dann wieder hatte er Anflüge von Temperament, gegen die Lines laute Ausbrüche wie ein Mäusefiepen wirkten. Er ging wegen der geringsten Bagatelle hoch, und wenn die übrigen Familienmitglieder sich über seine unmotivierte Verärgerung beschwerten, fühlte er sich beleidigt und ungerecht behandelt. Wie ein verdammter Märtyrer. Am Ende hatte Line ihn zu einer Psychologin geschleppt. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Knutas für seine persönlichen Probleme professionelle Hilfe in Anspruch genommen. Er hatte sich nicht viel davon versprochen, war dann aber angenehm überrascht gewesen. Die Psychologin war für ihn da und hörte zu, ohne gute Ratschläge zu erteilen oder ihn zu verurteilen. Sie nahm das entgegen, was Knutas sagte, stellte ab und zu eine Frage, und diese Fragen führten Knutas auf neue gedankliche Wege. Durch die Therapie gewann er neue Kenntnisse über sich selbst und seine Beziehung zu seiner Umgebung, und nach und nach wurden seine Schuldgefühle kleiner. Aber eigentlich fing er wohl erst jetzt an, sich wirklich besser zu fühlen.

      Wieder schellte das Telefon und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Die Zentrale fragte, ob er mit dem Korrespondenten des Schwedischen Fernsehens sprechen könne. Seufzend sagte Knutas zu. Er hatte ein gespaltenes Verhältnis zu Johan Berg. Die Hartnäckigkeit dieses Reporters konnte Knutas wirklich zur Weißglut bringen, wenn er auch zugeben musste, dass Berg gute Arbeit leistete. Oft konnte er ganz neue Sachverhalte aufdecken, und er besaß ein teuflisches Talent, die Menschen dazu zu bringen, mehr zu erzählen, als sie eigentlich vorhatten, das gelang ihm sogar bei Knutas selbst.

      Johan wirkte gestresst, als er über den Gang kam, sicher musste er die nächste Sendung in aller Eile fertig stellen. Seine schwarzen Haare klebten an seiner Stirn, sein Baumwollhemd war zerknittert und fleckig. Knutas nahm an, dass er vermutlich bereits draußen in Petesviken gewesen war und direkt vom Tatort kam. Wenn er nur keine bereitwilligen Interviewkandidaten gefunden hatte. Knutas wollte nichts dazu sagen, er hatte nicht das Recht, sich in die Arbeit der Journalisten einzumischen. Ihre Aufgabe war es, so viele Informationen wie möglich zu beschaffen, er musste dafür sorgen, dass so wenig wie möglich durchsickerte. Er bereitete sich auf unangenehme Fragen vor und spürte, wie er die Kiefermuskeln anspannte, noch ehe das Interview überhaupt begonnen hatte.

      Johan brachte diese neue Fotografin mit, die mit ihren in alle Richtungen abstehenden schwarzen Haaren aussah wie ein Punk. Einen Ring in der Nase hatte sie auch noch. Pia wollte nicht auf dem Flur herumstehen, sondern wies auf einen Balkon, der während der Renovierungsarbeiten angebaut worden war. Knutas sollte vor dem idyllischen Hintergrund aus sommerlichem Grün, Stadtmauer und Meer über die grauenhafte Tat berichten. Typisch Fernsehmenschen, die dachten eben nur an ihre Bilder.

      Zuerst stellte Johan die üblichen Fragen danach, was überhaupt passiert war, dann folgte – nicht ganz unerwartet – etwas Unerwartetes.

      »Habt ihr den Kopf schon gefunden?«

      Knutas biss die Zähne zusammen und schwieg. Dass der Kopf verschwunden war, hatte die Polizei geheim halten wollten. Allen, die davon wussten, war strenges Schweigen verordnet worden.

      »Ich möchte wissen, ob ihr den Kopf gefunden habt?«, fragte Johan hartnäckig.

      »Dazu habe ich nichts zu sagen«, erwiderte Knutas irritiert.

      »Ich weiß, dass der Kopf fehlt – aus sicherer Quelle«, sagte Johan. »Da kannst du es doch gleich bestätigen?«

      Knutas lief vor Wut hochrot an. Er sah ein, dass die Polizei durch das Verschweigen dieser Tatsache nichts gewinnen konnte.

      »Nein, wir haben den Kopf nicht gefunden«, gab er zu und ließ einen resignierten Seufzer hören.

      »Habt ihr irgendeine Theorie darüber, wo er sein kann?«

      »Nein.«

      »Hat der Täter ihn also mitgenommen?«

      »Vermutlich.«

      »Was bedeutet das?«

      »Unmöglich zu sagen.«

      »Was glaubst du, was der Täter mit dem Kopf vorhat?«

      »Darüber kann man nur spekulieren, und die Polizei beschäftigt sich nicht mit Spekulationen. Uns geht es darum, den Schuldigen zu finden.«

      »Wie reagierst du denn selbst auf dieses Ereignis?«

      »Ich finde es entsetzlich, dass jemand einem Tier so etwas antun kann. Die Polizei nimmt das Vorkommnis natürlich sehr ernst, und wir werden alle verfügbaren Mittel einsetzen, um den oder die Schuldigen zu finden. Wir möchten die Öffentlichkeit bitten, sich an uns zu wenden, wenn jemand etwas gehört oder gesehen hat, das sich mit der Tat in Verbindung bringen lässt.«

      Knutas beendete das Interview.

      Ihm war heiß, und er war verwirrt. Obwohl er einsah, dass es sinnlos war, versuchte er, Johan zu bewegen, das Verschwinden des Kopfes in seinem Bericht nicht zu erwähnen. Es überraschte ihn jedoch kaum, dass der Reporter sich nicht erweichen ließ und diese Information für so wichtig hielt, dass sie veröffentlicht werden musste.

      Als Pia und Johan in die Redaktion zurückkehrten, mussten sie in aller Eile ihren Beitrag für die Abendsendung zusammenstellen. Sie saßen im einzigen Schneideraum. Johan rief Grenfors an, und der fand es durchaus richtig, dass die Mädchen interviewt worden waren. Sie seien alt genug und er teile Pias Ansicht, dass es eben nur um ein Pferd ging. Andererseits war Grenfors nicht gerade als Angehöriger der vorsichtigen Garde in der Nachrichtenredaktion bekannt.

      »Ich hoffe nur, dass sonst niemand das mit dem verschwundenen Kopf rausgekriegt hat«, murmelte Pia, während sie sich darauf konzentrierte, auf die richtigen Tasten zu drücken. Sie hatten eine halbe Stunde, ehe die erste Kurzsendung der Regionalnachrichten ausgestrahlt wurde, und sie hatten dem Redakteur mindestens eine Minute und dreißig Sekunden versprochen. Um zehn vor sechs waren sie so weit und konnten ihren digitalen Beitrag an die Redaktion in Stockholm schicken.

      Nach der Sendung rief Grenfors an.

      »Gut gemacht«, lobte er. »Klasse, dass du die Mädels gekriegt hast, sie waren doch saugut, und ich glaube nicht, dass sonst irgendwer sie interviewt hat.«

      »Nein, meines Wissens haben sie nur mit uns gesprochen.«

      »Wie hast du sie eigentlich dazu gebracht?«

      »Das war Pias Verdienst«, sagte Johan. »Sie hat sie überreden können.«

      »Ach was?« Grenfors schien überrascht zu sein. »Sag ihr, dass das verdammt gut war. Wie wollt ihr morgen weiter vorgehen?«

      Johan sah den Redakteur vor sich, wie er auf seinem Stuhl vor seinem Redaktionspult im Fernsehgebäude auf Gärdet in Stockholm hin- und herschaukelte. Ein großer, durchtrainierter Mann von fünfzig Jahren mit gefärbten Haaren und voller Geltungssucht.

      In letzter Zeit hatte die sich noch gesteigert, fand Johan. Grenfors wurde immer nervöser. Seine Angst davor, nicht rechtzeitig brauchbare Beiträge zu bekommen, äußerte sich auf unterschiedliche Weise; aufgeregte Telefongespräche über den Stand der Dinge, lange Diskussionen darüber, wie die Reportage aussehen sollte, und immer wieder rief der Redakteur persönlich die für ein Interview vorgesehenen Personen an, um sich davon zu überzeugen, dass das Interview wirklich stattfinden werde.

      Natürlich hatte Grenfors immer schon dazu geneigt, sich einzumischen, aber nicht in demselben Maße wie jetzt. Johan fragte sich, ob das an erhöhtem Stress in der Redaktion liegen könnte. Von den Sparmaßnahmen waren auch die Nachrichten betroffen, die Mittel wurden immer weiter beschnitten, immer weniger sollten immer mehr Beiträge liefern, was auf Kosten der Qualität ging.

      Das war einer der großen Vorteile der Arbeit auf Gotland – nicht dauernd den Angstzuständen des Redakteurs ausgesetzt zu sein. Jetzt erlebte Johan diese nur noch aus der Ferne mit.

      DONNERSTAG 1. JULI

      Wie Knutas befürchtet hatte, rief die Nachricht über das enthauptete Pferd heftige Reaktionen hervor.

      Seit er um halb acht Uhr morgens ins Büro gekommen war, lief sein Telefon heiß. Auf die Berichte in den Medien folgten