Mari Jungstedt

An einem einsamen Ort - Ein Schweden-Krimi


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Schluss.

      Die Familie feierte gemeinsam ruhig und gemütlich Weihnachten. Die Kinder waren überglücklich, dass alles wieder so war wie vorher, und Emma bekam von Olle das lange ersehnte Hundebaby.

      Aber dann tauchte Johan plötzlich im Haus in Roma auf und stellte abermals alles auf den Kopf. Als Emma die beiden Männer nebeneinander betrachtete, sah sie die Lage in neuem, glasklarem Licht. Plötzlich wusste sie, warum es ihr so schwer gefallen war, ihre Beziehung zu Johan zu beenden. Es war ganz einfach: Sie liebte ihn. Die Beziehung zu Olle war vorbei, und es war zu spät, daran noch etwas zu ändern.

      Zwei Tage darauf rief sie Johan an und teilte ihm mit, dass sie das Kind behalten wollte.

      Jetzt saß sie hier, frisch geschieden, mit zwei Kindern, die jede zweite Woche bei ihr verbrachten, und einem dritten Baby im Bauch. Dass sie sich für dieses Kind entschieden hatte, bedeutete nicht automatisch, dass sie und Johan eine Familie bilden würden, wovon er offenbar ausgegangen war. Johan wollte nichts lieber, als sofort einzuziehen und für Sara und Filip den Ersatzvater zu spielen, aber Emma brauchte Zeit. Sie fühlte sich noch längst nicht bereit, sich auf eine neue Familie einzulassen. Wie sie sich allein um das Baby kümmern sollte, war eine Frage, die die sich später stellen würde.

      Sie fuhr mit der Hand über ihr zitronengelbes Baumwollkleid. Ihre Brust schien ihr groß und schwer, sie hatte sich bereits auf die bevorstehende Aufgabe eingestellt. Ihre Beine waren halb eingeschlafen. Ihr Kreislauf, nie besonders stabil, wurde bei ihren Schwangerschaften besonders anfällig, und in dieser Hinsicht ähnelte diese Schwangerschaft immerhin den früheren. Das Blut in ihrem Körper schien stillzustehen, ihre Finger und Zehen waren weiß und kalt, und die Tatsache, dass sie so unbeweglich und unbeholfen war, machte die Sache nicht besser. Emma war daran gewöhnt, mindestens dreimal die Woche Sport zu treiben. Sie war eine begeisterte Raucherin, doch sie hörte sofort damit auf, wenn sie von einer Schwangerschaft erfuhr, jetzt wie früher.

      Sie verspürte keinerlei Sehnsucht nach einer Zigarette, wusste aber, dass sie nach dem Stillen sofort wieder mit dem Rauchen anfangen würde. Ihr Rauchen passte zur Problemlage in ihrem Leben. Je mehr Probleme sie hatte, desto mehr rauchte sie, ganz einfach. Irgendeinen Trost brauchte sie doch. Wie man mit einer Scheidung fertig wurde, ließ sich nicht voraussehen, das hatte sie auf brutale Weise erfahren müssen.

      Dass es mit Olle schwierig werden würde, hatte sie erwartet, aber sie hätte sich doch niemals vorstellen können, wie schmutzig, erbittert und elend alles verlaufen würde. Die aufreibenden Streitigkeiten und sein Opferverhalten hatten sie in diesem Frühling fast umgebracht.

      Dass sie ohne Zigaretten auskam, war beinahe ein Wunder.

      Die Wohnungsfrage hatten sie immerhin sehr gut lösen können. Olle hatte mitten in Roma eine große Wohnung gefunden, die von Emmas Haus aus zu Fuß zu erreichen war. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass die Kinder je eine Woche bei jedem Elternteil wohnen würden, jedenfalls für den Anfang, um die Zeiten der Trennung nicht zu lang werden zu lassen. Später könnten sie dann weitersehen. Dann mussten die Kinder entscheiden. Olle war immerhin vernünftig genug, sich verantwortlich dafür zu fühlen, dass die Kinder nicht mehr als nötig leiden mussten.

      Sie hob den Blick vom Kreuzworträtsel, auf das sie gestarrt hatte, während die Buchstaben zu einer unverständlichen Suppe verschwommen waren. Sara und Filip waren noch immer in ihr Krocketspiel vertieft. Sie hatten sich dabei kein einziges Mal gestritten. Das war eine unerwartete Folge der Ereignisse, die Kinder waren jetzt ruhiger. Sie schienen mehr Verantwortung zu übernehmen, jetzt, wo alles um sie herum zusammengebrochen war. Das schlechte Gewissen lastete auf Emmas Schultern. Die Scheidung war ihre Schuld. Das fand die gesamte Verwandtschaft, sogar ihre Eltern, obwohl niemand es offen sagte.

      Den Kindern hatte sie alles erklärt, so gut sie konnte, jedoch ohne zu versuchen, um Verzeihung zu bitten, aber reichte das? Würden die beiden sie je verstehen?

      Sie sah in ihre glatten Gesichter. Sara mit den dunkleren Haaren und den tiefbraunen Augen, lebhaft, aber ordnungsliebend. Sie redete laut mit ihrem kleinen Bruder, während der versuchte, sich auf das Zielen zu konzentrieren. Filip hatte hellere Haut und Haare, er war fröhlich und verspielt und galt als der kleine Schurke in der Familie.

      Sie fragte sich, ob sie ihr ungeborenes Kind ebenso bedingungslos lieben würde.

      Knutas’ Dienstraum lag im zweiten Stock des Amtsgebäudes. Er war geräumig und hell, hatte sandfarbene Wände und helle Birkenmöbel. Die Ausnahme war Knutas’ alter abgenutzter Schreibtischsessel aus Eiche mit der weichen Lederpolsterung. Er hatte sich nicht davon trennen können, als das Gebäude im Vorjahr renoviert worden war und alle alten Möbel ausgetauscht werden sollten. Im Laufe der Jahre hatten sich viel zu viele Puzzlestücke zusammengefügt, während er darin gesessen hatte. Er befürchtete, in einem anderen Sessel nicht so gut denken zu können, auch wenn ein neuer besser für seinen Rücken wäre.

      Er wiegte sich langsam hin und her und dachte über das enthauptete Pony nach. Grausamkeiten gegen Tiere wurden auf Gotland nur sehr selten verübt. Natürlich gab es Fälle von Vernachlässigung, von Tieren, die nicht gefüttert, oder Ställen und Boxen, die nicht gereinigt wurden, aber das hier war etwas anderes. Möglicherweise handelte es sich um einen Verrückten, der es genoss, Tiere zu quälen – solche Fälle hatte er schon gehabt, wenn auch kaum von diesem Kaliber. Vielleicht war das Pferd einem Wutausbruch zum Opfer gefallen – aber gegen wen hatte die Wut sich dann gerichtet?

      Zugleich wirkte das Ganze kühl und berechnend. Die Tat war zu einem Zeitpunkt ausgeführt worden, als alles schlief, aber als es schon hell genug gewesen war. Der Bauer meinte, der Täter habe die Tiere füttern müssen, um sein Verbrechen ungestört durchführen zu können. Danach hatte er das Pferd in aller Ruhe töten und verstümmeln können. Die Frage war nun, zu welchem Zweck der Täter den Kopf mitgenommen hatte. Wohl kaum, um Aale zu fangen, wie Knutas es vor langer Zeit in einem Film gesehen hatte.

      Er suchte seine Pfeife hervor, stopfte sie sorgfältig und nuckelte daran herum, ohne sie anzustecken. Das machte er immer so, wenn er nachdenken musste. Auf der Wache durfte ohnehin nicht geraucht werden. Eine leichte Drehung mit dem Stuhl brachte den überfüllten Parkplatz des Supermarktes in sein Blickfeld. Nach dem Mittsommerwochenende hatte die Touristensaison endgültig eingesetzt. Die Insel hatte achtundfünfzigtausend Einwohner, aber in den Sommermonaten kamen weitere achthunderttausend Personen hinzu. Mitte August war dann so abrupt Schluss, wie es angefangen hatte.

      Er hatte Wittberg und Karin gebeten, sich während des Nachmittags ein genaueres Bild des Pferdebesitzers zu verschaffen, die Techniker mit Sohlman an der Spitze waren im Feld und sprachen mit Nachbarn und anderen Personen, die möglicherweise etwas gesehen haben konnten.

      Line rief an und klang aufgeregt. Es würde spät werden, sie waren auf der Wochenstation absolut überbelegt. Knutas berichtete, dass es bei ihm ähnlich aussah.

      Knutas’ dänische Frau Line arbeitete im Krankenhaus von Visby als Hebamme, und die Gotländerinnen gebaren wie nie zuvor. Ein neuer Babyboom schien über die Insel zu fegen. Line musste seit Wochen jeden Tag Überstunden machen, und es schien einfach kein Ende zu nehmen. Knutas und die Zwillinge mussten selber sehen, wie sie zurechtkamen. Das war an sich kein Problem, die Zwillinge schafften das hervorragend. Petra und Nils hatten die Sommerferien bisher mit Baden und Fußballspielen verbracht, und sie hatten nichts dagegen, sich Geld für Pizza und Hamburger geben zu lassen, statt mittels Knutas’ dürftigen Kochkünsten verpflegt zu werden. Die hatte er auf die Spitze getrieben, als er ihnen etwas vorgesetzt hatte, das er stolz »Papas Spezialmakkaroni« nannte. Eine wässrige Geschichte, die nach nichts schmeckte und zu allem Überfluss an den Rändern angebrannt war.

      Für Knutas war der Frühling ziemlich ereignislos verlaufen. Nach einem spektakulären Mordfall im Winter, als ein Mädchen verschwunden und dann tot aufgefunden worden war, war es ihm eine Zeit lang schlecht gegangen. Der Fall war ihm arg unter die Haut gegangen, denn er war auf sehr persönliche Weise hineingezogen worden. Wie das seine Urteilskraft beeinflusst hatte, ließ sich im Nachhinein nicht sagen, aber er fürchtete, dass sie ihn im Stich gelassen hatte. Und dann hätte auch er eine gewisse Schuld am Tod des Mädchens. Es fiel ihm schwer, diese Schuldgefühle zu ertragen.

      Zwischenzeitlich