Tode, sondern im Leben, das vor Gott gar nicht als Leben galt. Was wäre das auch für ein Leben, das mit Sünden und Fehlern bedeckt ist? Wie kommen wir also dazu, den Tod anzuklagen, da dieser doch den wahren Werth des Lebens zur Einlösung bringt oder Leid und Kreuz der Lebenstage abschließt? So bietet der Tod entweder in der Ruhe, die er bringt, das ihm eigentümliche Gut, oder er müht sich um ein Übel, das seinem Wesen fremd ist.
14. Darnach müssen wir also wohl beachten: Wenn das Leben zur Last wird, so ist der Tod Erlösung; wenn das Leben zur Qual werden kann, so ist der Tod das Heilmittel. Sagt man aber, daß nach dem Tode das Gericht folge, so darf man auch nicht vergessen, daß nach dem Tode das Leben anhebt. Das Leben auf Erden ist nicht wahrhaft gut; ist es aber doch immerhin gut, wie sollte der Tod nicht erst recht gut sein, da mit ihm die Furcht vor dem schrecklichen Gerichte endigt? Und wenn das Leben hier auf Erden gut ist, wodurch erwirbt es den Anspruch auf diese Bezeichnung, wenn nicht durch die Tugend und Reinheit der Sitten? Der Vorzug liegt also keineswegs in der Verbindung von Leib und Seele, sondern darin, daß man durch die Tugend Alles, was sonst im Leben als Übel gelten muß, siegreich zurückweist. Die Wohlthat aber, welche den Tod begleitet, tritt sofort ein, indem Das, was der Seele recht eigentlich angehört, mehr als Das, was im Gefolge der Verbindung von Leib und Seele sich kund gibt, zur vollen Wirksamkeit entfaltet wird. Wenn nun das Leben, sofern sich in ihm die vom Leibeselend losgelöste Seele abspiegelt, gut ist; wenn ferner die Seele gut und heilig genannt werden muß, welche sich losmacht von den Fesseln des Leibes: dann ist der Tod unter allen Umständen eine Wohlthat, weil er die Seele aus der Gemeinschaft dieses Leibes für immer löst und befreit.
15. Nach allen Richtungen hin darf man also den Tod eine Wohlthat nennen, mag man nun erwägen, daß er Widerstrebendes trennt, so daß für immer der Streit ruht, oder daß er ein Hafen ist, nach welchem Diejenigen als nach dem Orte seliger Ruhe sich sehnen, welche von den Stürmen des Lebensmeeres ruhelos umhergeworfen wurden. Und auch Das bleibt von Bedeutung, daß er den Zustand des Menschen nicht verschlechtert: vielmehr läßt er ihn unverändert so, wie er ihn findet, um dem Richter das Urtheil anheimzugeben; die Ruhe selbst aber, die er gewährt, entzieht den Menschen ebenso aller Unbill der Gegenwart, wie er in der Erwartung der Zukunft stille Befriedigung gewährt. Dazu kommt dann, daß Diejenigen ganz ohne Grund den Tod fürchten, welche denselben als das Ende der Natur ansehen. Wenn wir nämlich festhalten, daß Gott den Tod nicht geschaffen hat, daß vielmehr der Mensch, nachdem er den Frevel treulosen Ungehorsams sich aufgeladen, von dem Urteilsspruche getroffen ist: es solle der Staub zum Staube zurückkehren; wenn wir daran festhalten, so werden wir finden, daß der Tod nur der Sünde Ziel und Ende setzt; wird ja doch nur die Schuld um so größer und schwerer, als das Leben länger dauert. So hat denn der Herr es in seiner Erbarmung gefügt, daß der Tod eintritt, damit die Schuld schwindet. Die Vernichtung der Natur wird aber durch die Auferstehung der Todten verhindert: hört im Tode und durch ihn die Schuld auf, so wird durch die Auferstehung auch das natürliche Leben der Unsterblichkeit theilhaftig. So ist denn der Tod eigentlich nur ein Übergang, den man herzhaft ausführen muß: ein Übergang von der Verwesung zur Unverweslichkeit, von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit, von Sturm und Unruhe zu seliger Ruhe. Der Tod darf uns somit nicht erschrecken, sondern die Segnungen, welche der gut vollbrachte Übergang uns verheißt, müssen uns mit Freude erfüllen. Oder was ist der Tod anders als die Bestattung der Sünden, die Auferstehung der Tugenden? Dieser Überzeugung entstammt jener Wunsch: „Möge meine Seele sterben in den Seelen dieser Gerechten!“ 17 Möge sie zur Ruhe gelangen, indem sie ihrer Sündhaftigkeit entkleidet wird; möge sie die gnadenreiche Schönheit der Gerechten annehmen, welche die Abtödtung unseres Herrn an Leib und Seele tragen. Die Abtödtung aber nach dem Beispiele Christi schließt die Tilgung der Sünden, Sühnung der Fehler, Widerruf der Verirrungen, Annahme der Gnaden ein. Und endlich: was können wir Erhabeneres von der Wohltat des Todes sagen, als Dieses, daß der Tod die Welt erlöst hat?!
5. Ermahnung, die Furcht vor dem Tode zu besiegen durch Abtödtung, welche ein Bild des Todes ist.
16. Wir wollen inzwischen den Tod im gewöhnlichen Sinne des Wortes, dem Alle unterworfen sind, wieder betrachten. Warum sollten wir denselben fürchten, da er der Seele in keiner Weise schaden kann? Darum sagt ja auch der Herr: „Fürchtet nicht Diejenigen, welche zwar den Leib tödten können, die Seele aber zu tödten nicht vermögen.“ Durch diesen Tod wird vielmehr die Seele befreit, sofern er die Gemeinschaft mit dem Leibe aufhebt und die Fesseln der Gebrechlichkeit löst. Darum thun wir gut, wenn wir schon im Leibesleben sterben, indem wir unsere Seele über die Fleischeshülle sich erheben und so gleichsam aus ihrem Grabe erstehen lassen. Frei machen sollen wir uns von der Umarmung des Fleisches; lösen sollen wir; uns von Allem, was irdisch ist, damit unser Widersacher in uns Nichts findet, was er als sein Eigenthum ansehen könnte. Auf das Ewige sollen wir unseren Blick richten; zu jenem Göttlichen sollen wir auf den Flügeln der Liebe uns aufschwingen. Wir müssen uns hier erheben von Allem, was der Zeit und der Erde gehört. Darum sagte der Herr zu seinen Aposteln: „Stehet auf, lasset uns von hinnen gehen!“ Damit befahl er, daß man von dem Irdischen sich erhebe, den am Boden liegenden Geist zum Himmel emporrichte, damit das Wort der Schrift wahr werde: „Es wird deine Jugend wie die des Adlers erneuert werden.“ Das ist zur Seele gesagt worden. Unsere Seele soll gleich dem Adler der Höhe zustreben, über die Wolken hinaus ihren Flug nehmen; in neuer Umhüllung soll sie erglänzen, zum Himmel soll ihr Sehnen gehen, wo keine Fallstricke ihr drohen. Der Vogel, welcher aus der Höhe herabsteigt, oder welcher sich überhaupt nicht zur Höhe erschwingen kann, läuft vielfache Gefahr, von Fangstricken umgarnt oder von der Leimruthe festgehalten zu werden: kurz er ist allen Nachstellungen preisgegeben. So soll auch unsere Seele sich hüten, in das Irdische sich zu verlieren. Ihr lauert der Strick im Golde, die Leimruthe im Silber; ihr drohen schlimme Fesseln in reichem Grundbesitze; ihr birgt sich tödtliches Geschoß in der Liebe. Wenn wir nach Gold streben, wird uns dasselbe leicht zum Strick, der uns erdrosselt; wünschen wir den reichen Besitz von Silber, so haften wir leicht im Besitze, wie der Vogel an der Leimruthe; richten wir unser Verlangen auf Grundbesitz, so werden wir am Boden gefesselt zurückgehalten. Was suchen wir also hinfälligen, werthlosen Gewinn zum Nachtheile unserer überaus kostbaren Seele? Zu armselig ist ja die ganze Welt, als daß sie zum Lösegelde für eine einzige Seele ausreichte. Was nützt es denn auch dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber Schaden litte an seiner Seele? Oder welchen Entgelt könntest du für deine Seele geben? Durch Gold und Silber wird sie nicht erkauft, eher zu Grunde gerichtet. Auch die Schönheit des Weibes umstrickt die Seele, wenn man der Gefahr sich aussetzen zu dürfen glaubt. Begierlichkeit, Trauer, Zorn und alle anderen Leidenschaften sind ebenso viele Geschoße, welche in unsere Seele eindringen und sie wie mit schwerem Nagel dem Leibe verbinden.
17. Fliehen wir also diese Übel und erheben wir unsere Seele zur Ebenbildlichkeit mit Gott! Die Flucht vor der Sünde bringt diese Ebenbildlichkeit; und in treuer Tugendübung wird das Bild Gottes in uns ausgeprägt. Unser Schöpfer hat der Seele die Farbe der Tugend gegeben. Zu Jerusalem sagt der Herr: „Siehe, ich habe deine Mauern gemalt.“ So hüten wir uns denn, daß wir nicht durch unsere Nachlässigkeit das feste Bild, welches unserer Seele eingezeichnet ist, wie mit einem Schwamme wegwischen. Der Herr sagt: „Deine Mauern habe ich gemalt;“ von den Zinnen dieser Mauern können wir den Feind beobachten. 18
18. Die Seele hat darnach auch ihre Mauern, auf denen sie thront und spricht: „Wie eine ummauerte, befestigte Stadt bin ich.“ Von jener Mauer geschützt und vertheidigt ist die Seele selbst wie eine Festung geworden. Mit dem hohen Liede kann die Seele sagen: „Ich bin eine Mauer, überragt von Thürmen.“ Von dieser Mauer hat der Herr gesagt: „Siehe, in meine Hände habe ich deine Mauern gezeichnet; du bist allezeit vor meinen Augen.“ Gut und glücklich ist die Seele, welche Gott zum Wächter bat, welche in seinen Händen ruht, welche allezeit vor seinem Blicke ist. Sie kann mit jener prophetischen Seele sprechen: „Des Herrn Augen ruhen auf dem Gerechten,“ 19 und mit dem Psalmisten: „Vor ihm bin ich geworden wie eine Seele, die den Frieden fand.“ Diese Seele hat zwei feste Thürme, für ihre Erkenntniß das Wort, für ihre Sitte die Unterweisung des Herrn. Diese Seele gleicht der Braut im hohen Liede, welche in die Gärten eilt und dort den Geliebten findet, wie er bei seinen Freunden weilt. Ihm ruft sie zu: „Der du in den Gärten sitzest, lasse deine Stimme mich hören“! 20 Sie sagt: „Lasse mich deine Stimme hören,“ nicht: „deine