Ambrosius von Mailand

Essentielle Werke des Heiligen Ambrosius von Mailand, Band 1


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dir wohl sein!“ 29 Seine Seele ist körperlicher Begierde unterworfen; die Seele des Gerechten aber bedient sich des Körpers lediglich als eines Werkzeuges, das ihr wie einem erfahrenen Künstler zu Willen sein muß. So bildet sie aus dem Leibe diejenige Gestalt, die sie ihm geben will. In ihm läßt sie den Widerhall ihrer tugendhaften Stimmung widertönen, indem sie jetzt die Silberglocke der Keuschheit, jetzt den Gesang der Mäßigkeit und Enthaltsamkeit ertönen läßt: die süße Lieblichkeit jungfräulichen Sinnes und den Ernst würdigen Wittwenstandes läßt sie unverkennbar widerstrahlen. Bisweilen freilich leidet die Seele auch unter dem Leibe, aber immer als freie Herrscherin: darum richte du Alles auf ehrbare Weise, damit auch dieses Mitleiden ganz in den Grenzen der Ehrbarkeit bleibe. Wird ja sonst auch Der, welcher siehet, meist durch das Sehen, wie der Hörende durch das Hören errregt: und darum mahnt die Schrift: „Deine Augen sollen das Rechte sehen;“ und an einer andern Stelle: „Warum solltest du dich verführen lassen von einer Fremden? Blicke nicht auf zu den Augen einer Dirne; achte nicht auf die Worte einer Buhlerin!“ 30

      7. So viel Beschwer ist im Leibesleben, daß der Tod nur dem Gottlosen bitter ist.

      26. Wozu soll ich aber von den Fallstricken reden, welche uns von aussen bereitet werden? Mehr müssen wir uns vor jenen hüten, welche in unserem eigenen Leibesleben uns bedrohen. Wir dürfen deßhalb unsere Seele dem Körper nicht anvertrauen; wir dürfen nie mit ihm sich nicht vermischen lassen. So mahnt uns auch die Schrift, unsere Seele mit dem Freunde, aber nicht mit einem Feinde zu verbünden. Dein Leib ist im Grunde dein Feind, weil er dem Geiste widerstreitet: seine Werke sind Feindschaft, Streit und Verwirrung. Hüte dich also vor der Vermischung, damit du nicht beide dem Verderben überlieferst. Bei der gegenseitigen Durchdringung wird das Fleisch, welches geringer ist als der Geist, über Gebühr erhoben; und doch gibt die Seele dem Leibe das Leben, während das Fleisch den Tod auch über den Geist bringt. So wird die beiderseitige Thätigkeit, ja selbst nahezu die Wesenheit vermischt. Die Seele nimmt Theil an der Gefühllosigkeit des todten Leibes, wie umgekehrt auch der Leib allen Kräften der Seele dient. Keineswegs aber darf man glauben, daß beide in einander übergeben, weil die Seele den Leib durchdringt. Dringt ja auch das Licht an jeden Ort, ohne mit dem irdischen Körper selbst eins zu werden. Wie also die Wesenheit von Leib und Seele verschieden ist, so soll auch die Thätigkeit beider von einander unabhängig sein: die Seele wohne im Leibe, um ihn zu beleben, zu regieren, zu erleuchten.

      27. Wir können freilich nicht leugnen, daß die Seele mit dem Leibe fühlt und leidet, wie sie ja auch sich mitbetrübt. Der Herr Jesus selbst sagt: „Meine Seele ist betrübt bis zum Tode;“ 31 und der Psalmist: „Gar sehr bestürzt ist meine Seele.“ 32 So nimmt auch der Flöten- und Zitherspieler wie der Sänger an seinen Weisen mit Stimme, Haltung, Gefühl Theil. Trauriger erscheint er bei traurigen, fröhlicher bei heiteren Tönen; aufgeregt bei höheren und selbst milder und sanftmüthiger bei milden Tönen: so bringt er gewissermaßen die Töne seiner Weisen selbst zur Anerkennung und stimmt nach ihnen seine Empfindungen. Wie man der Zither mit den Spitzen der Finger die Töne der Saiten entlockt, so ruft die Seele auch im Leibe die entsprechenden Stimmungen hervor, um den vollen Einklang der Sitten und Tugenden zu bewirken. Sie soll darum auch in all’ ihren Gedanken, in all’ ihren Werken darauf achten, daß ihre Entschlüsse und Handlungen durchaus einander entsprechen. Die Seele herrscht also, der Leib ist ihr zum Gebrauche überwiesen; dort ist Freiheit, hier Knechtschaft; die Seele sind wir selbst, der Leib gehört nur zu uns. Wenn deßhalb Jemand die Schönheit der Seele liebt, so liebt er uns; liebt er aber die Schönheit des Leibes, so liebt er nicht den Menschen selbst, sondern den Liebreiz der Gestalt, welche aber bald schwindet und verwelkt.

      28. Achte darum auf das Wort des königlichen Sängers: „Wer seine Seele nicht gebraucht zum Eitlen.“ 33 Derjenige aber gebraucht die Seele (um von den gewöhnlichen Sorgen dieses Lebens zu reden) zum Eitlen, welcher Irdisches, Vergängliches aufrichtet und erstrebt. Wir erheben uns täglich, um zu essen und zu trinken: und doch wird Niemand derart gesättigt, daß er nicht alsbald wieder von Hunger und Durst gequält würde. Täglich suchen wir nach Gewinn und Verdienst, und doch wird der Begierlichkeit niemals ein Ziel gesetzt, wie der weise Mann sagt: „Das Auge kann sich nicht satt sehen, das Ohr kann nicht genug hören.“ 34 Wer das Silber liebt, wird niemals von Silber gesättigt: die Mühe und Arbeit findet kein Ende, und wirkliche Frucht erwächst dem Überflusse nicht. Wir haben den sehnlichen Wunsch, täglich Neues zu lernen; und was ist denn wiederum alle Erkenntniß anders, als eine tägliche Steigerung schmerzlichen Wissendranges? Alles, was jetzt ist, war auch früher schon; es gibt nichts Neues unter der Sonne: Alles ist Eitelkeit. „Darum verdroß mich mein Leben,“ sagt der Prediger. 35 Wer aber das Leben haßt, der rühmt den Tod thatsächlich. Im Übrigen lobt derselbe Weise die Todten mehr als die Lebenden: ja er preist Denjenigen selig, der gar nicht in dieses Leben eingetreten ist, der seine Mühseligkeit gar nicht getragen hat. „Mein Herz,“ sagt er, „ging umher, um die Freude des Gottlosen kennen zu lernen, um zu suchen und zu betrachten die Weisheit; endlich um die Freude, die Last und die eitle Überhebung der Macht zu erforschen: und siehe, ich fand alles Dieses bitterer als den Tod.“ Der Prediger sagt damit Nicht, daß der Tod an und für sich, sondern nur, daß er dem Gottlosen bitter sei: und doch ist auch in diesem Falle das Leben bitterer als der Tod. Schrecklicher ist es ja immerhin, zum Sündigen zu leben als in der Sünde zu sterben: denn solange der Gottlose lebt, vermehrt er auch die Zahl seiner Sünden; stirbt er, so hört doch wenigstens das Sündigen auf.

      29. Gar Viele freuen sich in dem Gedanken, von ihren Sünden losgesprochen zu sein. Das ist gut und recht, wenn sie entschlossen sind, sich zu bessern; es ist aber sehr thöricht, wenn sie geneigt sind, in ihren Sünden zu verharren: dann wäre ja am Ende die Verdammung noch vorzugeben, damit sie wenigstens aufhörten, ihre Sünden zu vermehren. Dabei erscheint von besonderer Wichtigkeit das Wort des Apostels, welcher versichert, daß nicht bloß Diejenigen, welche verbrecherisch handeln, des Todes würdig sind, sondern auch Diejenigen, welche ihren Beifall zu solchen Thaten zu erkennen geben. Nicht minder, sagt der Apostel, sind Diejenigen unentschuldbar, welche an Anderen, verurtheilen, was sie selbst thun. 36 Durch ihr eigenes Urtheil erscheinen sie strafbar: indem sie Andere richten, verurtheilen sie sich selbst. Sie dürfen sich nicht damit trösten, daß sie zur Zeit noch frei von Strafe und nicht geradezu unter Anklage gestellt sind: sie büßen in sich nur um so schwerere Strafen, da sie vor ihrem eigenen Gewissen schuldig sind, auch wenn sie Anderen nicht so erscheinen. Der Vorwurf, den das eigene Gewissen gegen sich selbst erhebt, wird jedesmal schärfer und einschneidender, wenn sie über Andere ihr Urtheil fällen. „Hüte dich aber, o Mensch,“ mahnt der Apostel, „den Reichthum der Güte, Geduld und Langmuth Gottes zu verachten. Oder weißt du nicht, daß die Güte Gottes dich zur Ruhe und Besserung deines Lebens ruft? Durch Verstocktheit und durch ein unbußfertiges Herz häufest du dagegen Zorn für den Tag der Offenbarung der gerechten Gerichte Gottes.“ Dann wirst du die volle Vergeltung für deine Vergehen erhalten.

      30. Der Tod also ist kein Übel weder für die Lebenden, noch für die Todten: von jenen ist er noch ferne, diese haben ihn überstanden. Denjenigen, die ihn noch nicht kennen, kann er eben deßhalb auch nicht bitter erscheinen; noch viel weniger ist Das der Fall bei Denen, die dem Leibe nach kein Gefühl mehr haben, für ihre Seele aber Befreiung gefunden haben.

      8. Nicht der Tod an sich, sondern die falsche Meinung vom Tode ist schrecklich.

      31. Wenn nun deßungeachtet der Tod den Lebenden schrecklich erscheint, so trifft Das eigentlich nicht den Tod an sich, sondern die falsche vorgefaßte Meinung, die sich Jeder vom Tode je nach seinem Gefühle bildet, oder die ihm von der Angst seines unruhigen Gewissens aufgezwungen wird. In letzterem Falle täte man aber besser, die Sündenwunde des Gewissens statt die Bitterkeit des Todes anzuklagen. In der That erscheint ja der Tod den Gerechten wie ein Hafen des Friedens; nur den Sündern stellt er sich in den Schrecken des Schiffbruches dar. Für Diejenigen, welche unter einer drückenden Furcht vor dem Tode leiden, ist das Drückende eben nicht der Tod, sondern die Furcht vor dem Tode. Die Furcht aber wurzelt in der eigenthümlichen Auffassung, die der Wahrheit widerstreitet und nur ein Ausfluß unserer Armseligkeit ist, die ferner dem Leben, nicht dem Tode selbst angehört. Wir hätten ja tatsächlich im Tode Nichts zu fürchten, wenn das Leben nicht