steht. Als er ihn erreicht, wendet Lowman vorsichtig den Kopf nach hinten.
Von hier aus kann Lowman gerade noch die Spitzen jener Büsche sehen, hinter denen er beim ersten Schuß gelegen hat. Das wilde Lächeln, das um Lowmans Lippen spielt, könnte auch das hämische Grinsen eines Teufels sein. Lowman nimmt einen Stein hoch, holt aus und schleudert ihn haargenau in die Büsche hinein.
Kaum hat er geworfen, als er den Krach hört.
Der Narr, denkt Lowman, der dumme Kerl. Er schießt auf jede Bewegung. Nun, warte, du denkst, ich bin noch oben, was? Das wird beinahe das letzte sein, was du jemals denkst!
Er schiebt sich weiter, er kriecht und sieht den Kamm vor sich. Dieser Kamm ist steil. Lowman blickt nur nach oben, denn nur daher kann sein Mann auftauchen. Dabei aber schiebt sich Lowman immer weiter. Da ist seine alte Fährte, dort oben steht etwas links das Pferd. Er kann gerade noch den Kopf des Pferdes ausmachen, ist nun auf dessen Höhe.
Im nächsten Moment hört Lowman das leise Klicken über sich. Er erstarrt, sein Gewehr kommt langsam hoch. Das Klickern hält an, es ertönt nun bereits etwas links vor Lowman.
Die Büsche, denkt Lowman. Er kriecht, er will auf mich zu und hier herüber. Freundchen, närrischer kannst du es nicht machen!
Sofort gleitet Lowman auf dieser Seite des Hanges weiter. Er hütet sich, ein Geräusch zu machen, preßt sich hinter einen Busch und wartet.
Drüben klickert es leise, es zieht sich nach links.
Der Mann kommt.
Sam Kellogg kriecht. Er hat Deckung, aber kurz vor dem Hang wird es aus sein.
Dort, denkt Kellogg und starrt auf die Büsche, zwischen denen es sich gerade noch bewegt hat, wenn es auch nach seinem Schuß ganz ruhig geworden ist, da liegt der Halunke. Ich möchte wissen, ob er mich sieht. Wenn nicht, dann kann ich über den Hang springen, ich muß ihn aus seiner Deckung treiben. Kommt er, dann erwische ich ihn.
Kurz vor ihm steht der letzte Busch.
Kellogg erreicht ihn nun, er preßt sich in die Deckung und zieht langsam sein rechtes Bein an. Dann stemmt er die Stiefelspitze gegen den Boden, setzt die linke Hand ein und ist bereit aufzuspringen und über den Kamm zu hetzen.
Sieht ihn der Mann, dann wird er schießen. Laufen, denkt Sam Kellogg und der Schweiß bricht ihm aus, als er an das Stück von sieben, acht Schritten freier Fläche denkt, über die er rennen muß. Laufen!
Er zaudert, er ist noch nicht ganz ruhig und holt tief Atem. Dann spannt er sich und stößt sich jäh ab.
Sam Kellogg kommt blitzschnell hoch, rennt los, reißt im Laufen sein Gewehr herum und feuert von der Hüfte aus. Zweimal, dreimal brüllt sein Gewehr los. Die Kugeln schlagen in den Busch ein, der sich vorhin bewegt hat. Er sieht deutlich aufsteigende Staubwolken an den Einschlagstellen der Kugeln.
Der Bursche, denkt Kellogg, er schießt nicht. Sollte ich ihn getroffen haben? Warum schießt er nicht?
Er hat den Hangkamm erreicht, macht einen letzten, wilden Sprung und krümmt sich zusammen.
Und dann sieht er seinen Mann!
*
Es ist Kellogg, als wenn ihm eine Faust in den Magen fährt. Aus den Augenwinkeln erkennt er den Mann, der keine fünfundzwanzig Schritte links von ihm hinter dem Busch kniet und sein Gewehr an der Hüfte hält.
Einen Moment blickt Kellogg mitten in das Gesicht Lowmans. Er weiß, daß er verloren ist, daß dieser Mann ihn ausgetrickst hat.
Das Gewehr zeigt auf ihn, er kann nicht mehr schießen, er schafft es nicht, aber er kann sich noch seitlich drehen.
Verzweifelt stößt sich Kellogg ab. Er kommt herum, hat den Mann vor sich, sieht die Feuerwolke aus dem Gewehr schlagen und stößt einen heiseren Schrei aus.
Dann surrt die Kugel. Sie trifft, sie dreht ihn weiter. Er stürzt auf die Steine, sieht vor sich einen Felsblock und denkt nur noch, während ihn der Schmerz zu lähmen droht, daß er rollen muß.
Sam Kellogg, Deputy des Sheriffs in Baker City, prallt auf und wälzt sich herum. Der Hang ist steil, und der Rest seines Verstandes sagt Kellogg, daß seine einzige Chance dieser steil abfallende Hang sein kann. Er rollt weiter, er stößt sich ab, verliert sein Gewehr und kommt tiefer.
Harry Lowman aber steht nun breitbeinig und mit eiskalten Blicken den Mann beobachtend, hinter dem Busch. Lowman dreht sich mit, das Gewehr an der Hüfte wandert weiter. In dieser Minute ist ihm zumute, als wenn es nicht zu ändern sein wird. Treibt man Lowman in die Enge oder kommt man ihm nach, dann beißt der Mann, der ein Leben zuviel besitzt, wie ein wildes Raubtier um sich. Er ist jetzt genau das – ein gefährliches, seine Chance bis zur letzten Konsequenz nutzendes Raubtier.
Vor ihm rollt der Mann tiefer. Er kommt am Felsblock vorbei. Was immer er dabei denkt, eins ist sicher: Er will hinter einen Busch, um Deckung zu haben. Aber er besitzt sein Gewehr nicht mehr.
Dort stehen Büsche. Kellogg sieht sie und weiß es: Nur hinter ihnen hat er noch eine Chance. Dann gibt es keine mehr – nicht eine.
Sam Kellogg erreicht die Büsche, Zweige brechen peitschend über sein Gesicht und Hände hinweg. Er ist durch, stemmt sich ein, reißt den Revolver heraus und hat ein taubes, lahmes Gefühl in der rechten Seite sitzen. Und dann schnellt er verzweifelt hoch.
Der Mann steht, sein Halstuch ist herabgerutscht, sein Gesicht wird von der Sonne getroffen.
Kellogg reißt den Arm hoch.
Er sieht weit hinter dem Mann die kleinen weißgrauen Wolken am Himmel. Er ist auf der Hälfte des Hanges, er blickt hoch zum Himmel.
Und dann hört er den Knall.
Die Wolken, denkt Samuel Kellogg, die Wolken.
Harry Lowman aber blickt über sein Gewehr hinweg in das Tal.
Die Sonne scheint, die Büsche werfen Schatten. Und Lowmans Schatten ist schrecklich lang, als er langsam über das Geröll den Hang hinabgeht. Steine klickern unter seinen Tritten. Er bleibt an den Büschen stehen, betrachtet die gebrochenen Zweige und bückt sich dann langsam.
»Komm mir nicht nach!« sagt er dann in jäh ausbrechender Wut und stampft heftig mit dem Fuß auf. »Was kommst du mir denn nach, du Narr, was? Wer hat dich eingeladen, mich zu verfolgen? Ich sage dir, ich muß schießen, ich sage dir, ich gehe nie wieder ins Jail, nie wieder, hörst du?«
Der Mann antwortete nicht.
Der Wind trägt Lowmans wildes Reden fort.
Er muß weg, er weiß es. Andere können kommen, andere werden ihn suchen, diesen Deputy.
Drei Pferde, denkt Lowman, und seine Wut ist vorbei wie ein Windhauch, der ihn einmal gestreift hat, nun habe ich drei Pferde. Nach Süden, erst nach Süden, bis in die Nacht reiten. Und dann verschwinden, das Deputypferd müde rennen lassen. Fort, nichts als fort!
Keine fünf Minuten später sitzt er im Sattel und reitet auf seine Pferde zu.
Gesehen hat nur einer sein Gesicht, die anderen nicht.
»Warum kommt ihr mir nach?« fragt er störrisch und düster, als er mit den drei Pferden das Tal verläßt. »Ihr bekommt mich nie mehr, hört ihr?«
Es ist keiner da, der ihm Antwort gibt.
Nur die Hufe trommeln.
Lowman ist auf der Flucht.
Eines Tages wird Lowman nicht mehr zu flüchten brauchen und sich zwischen anderen Leuten wie einer unter vielen bewegen. Er wird kaum auffallen.
Und doch, eines Tages kommt jemand.
Bis dahin ist Harry Lowman sicher, daß niemand ihn erkannt hat und keiner ihn finden wird.
Bis dahin besitzt er es:
Ein Leben zuviel.
*
Es geschieht so viel