James Joyce

Ulysses


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ging an den Tisch in der Nähe des Fensters, rückte zweimal in seinem Stuhl und las dann einige Worte vom Blatt auf der Walze seiner Schreibmaschine.

      «Setzen Sie sich doch. Entschuldigen Sie mich», sagte er über die Schulter, «. . . . die Forderungen des gesunden Menschenverstandes..... Es dauert nicht lange.»

      Unter seinen zottigen Brauen sah er auf das Manuskript neben seinem Ellbogen, murmelte vor sich hin und begann die steifen Tasten langsam niederzudrücken, stöhnte manchmal, wenn er die Walze zurückdrehte, um einen Fehler zu verbessern. Stephan setzte sich geräuschlos hin, da ein Fürst zugegen war. An den Wänden hingen die gerahmten Bilder früher berühmter Pferde; sie hoben die demütigen Köpfe hoch: Lord Hastings Repulse, der Shotover des Herzogs von Westminster, der Ceylon des Herzogs von Beaufort, prix de Paris, 1866. Zwerghafte Reiter sassen auf ihnen, passten gespannt auf das Zeichen. Er sah ihre Schnelligkeit, setzte auf des Königs Farben und schrie mit der längst vergangenen Menge.

      «Punkt», gebot Deasy seinen Tasten. «Aber prompte Ventilation dieser wichtigen Frage. . . .»

      Wohin mich Cranly mitnahm, um schnell reich zu werden, jagte seine Sieger zwischen den schlammbespritzten Wagen, zwischen den Buden mit den schreienden Buchmachern und den Düften der Kantine, lief durch bunten Schlamm. Eins zu eins Fair Rebel: zehn zu eins das Feld. Vorbei an Würfel- und Taschenspielern rannten wir hinter den Hufen her, den wetteifernden Kappen und Jacken, rannten vorbei an der fleischgesichtigen Frau, eines Metzgers Weib, die durstig an dem Stück Apfelsine lutschte.

      Schreie klangen schrill vom Spielplatz der Knaben und schwirrender Pfiff.

      Wieder: ein Tor. Ich bin dabei, mitten drin im wirbelnden Kampf ihrer Leiber, Tjost des Lebens. Du meinst das x-beinige Muttersöhnchen, das leicht kropfkrank zu sein scheint? Tjoste. Gestossene Zeit springt zurück, Stoss gegen Stoss. Tjoste, Schlamm und Aufruhr der Schlachten, gefrorener Todesschleim der Erschlagenen, Speerspitzenschrei getränkt mit blutigen Männereingeweiden.

      «Also», sagte Deasy und stand auf.

      Er ging an den Tisch und steckte mit einer Nadel seine Blätter zusammen. Stephan stand auf.

      «Ich habe die ganze Sache ziemlich zusammengedrängt», sagte Deasy. «Es handelt sich um die Maul- und Klauenseuche. Lesen Sie es doch mal schnell durch. Nach meiner Meinung kann die Sache gar nicht anders aufgefasst werden.»

      Darf ich Ihren wertvollen Raum in Anspruch nehmen? Diese Doctrin des laissez faire, die so oft in unserer Geschichte. Unser Viehhandel. Wohin auch all unsere alten Industrien gingen. Der Liverpool-Ring, der das Projekt des Galway-Hafen zu Fall brachte. Europäischer Brand. Kornversorgung über den engen Kanal. Die mehr als vollendete Unerschütterlichkeit des Ackerbauministeriums. Eine klassische Anspielung sei zu gute gehalten. Kassandra. Durch eine Frau, die nicht besser war als ihr Ruf. Um auf den strittigen Punkt zu kommen. . . .

      «Ich sage doch alles klipp und klar?» fragte Deasy, während Stephan weiter las.

      Maul- und Klauenseuche. Bekannt als Kochsches Präparat. Serum und Virus. Prozentsatz immunisierter Pferde. Rinderpest. Die kaiserlichen Pferde in Mürzsteg, Niederösterreich. Veterinäre. Herr Henry Blackwood Price. Freundliches Angebot eines ehrlichen Versuchs. Forderungen des gesunden Menschenverstandes. Überaus wichtige Frage. Im vollen Sinn des Wortes den Stier bei den Hörnern packen. Ich danke Ihnen für die Gastfreundschaft in Ihren Spalten.

      «Ich möchte das drucken lassen, damit es gelesen wird», sagte Deasy. «Sie werden bei dem nächsten Ausbruch sehen, dass die Ausfuhr irischen Viehs verboten wird. Und sie kann geheilt werden. Sie wird geheilt. Mein Vetter Blackwood Price schreibt mir, dass sie in Österreich durch Viehdoktoren regelmässig behandelt und geheilt wird. Sie wollen gerne rüberkommen. Ich versuche das Ministerium aufzurütteln. Jetzt will ich es mal mit der breiteren Öffentlichkeit probieren. Aber Schwierigkeiten,. . . Intriguen, Hintertreppeneinflüsse umgeben mich. . . . »

      Er hob den Zeigfinger, bewegte ihn ältlich hin und her und sagte dann:

      «Achten Sie auf meine Worte, Herr Dädalus. England ist in den Händen der Juden. In allen höchsten Stellen: in Finanz, in Presse. Und das ist immer ein Zeichen für den Verfall einer Nation. Wo die sich zusammenfinden, fressen sie die Lebenskraft des Volkes. Das habe ich seit Jahren kommen sehen. So wahr, wie wir hier stehen, die jüdischen Kaufleute haben ihr Zerstörungswerk schon begonnen. Alt-England stirbt.»

      Er machte einige schnelle Schritte, seine Augen bekamen blaues Leben, als jetzt ein breiter Sonnenstrahl in sie fiel. Er ging auf und ab.

      «Stirbt», sagte er, «wenn es nicht schon tot ist.»

      Von Strass’ zu Strass’ der Hure Schrei

      Wird weben Englands Leichentuch.

      Seine Augen öffneten sich weit, als hätte er eine Vision, starrten unbeweglich durch den Sonnenstrahl, in dem er stand.

      «Kaufmann», sagte Stephan, «ist der, der billig einkauft und teuer verkauft, ob er nun Jude ist oder Heide. Habe ich nicht recht?» «Sie sündigten gegen das Licht», sagte Deasy ernst. «Und man kann in ihren Augen die Finsternis erkennen. Und deshalb fanden sie bis auf den heutigen Tag keine Ruhe auf Erden.» Auf den Stufen der Pariser Börse stehen goldhäutige Männer, notieren die Kurse mit ihren begemmten Fingern. Gänsegeschnatter. Sie schwärmten laut, unheimlich durch den Tempel, unter ungeschickten Seidenhüten ersannen ihre Köpfe allerlei Ränke. Nicht ihre: diese Kleider, diese Worte, diese Gesten. Ihre schweren, langsamen Augen straften die Worte, die eifrigen und harmlosen Gesten Lügen, kannten aber den Hass, der sich um sie türmte, und wussten, dass ihr Eifer umsonst war. Vergeblich häuften und sammelten sie geduldig. Zeit würde sicher alles wieder zerstreuen. Ein Schatz, aufgehäuft am Strassenrande: Plündern und Weitergehen. Ihre Augen kannten die Jahre des Wanderns, und geduldig kannten sie die Unehre ihres Fleisches.

      «Wer tat das nicht?» sagte Stephan.

      «Was meinen Sie?» fragte Deasy.

      Er kam einen Schritt nach vorn und stand nun am Tisch. Ungewiss fiel ihm der Unterkiefer schief nach unten. Ist dies alte Weisheit? Er will von mir hören.

      «Die Geschichte», sagte Stephan, «ist ein Alp, aus dem ich erwachen will.»

      Vom Spielplatz klang wieder der Knaben Schrei. Ein schwirrendes Pfeifen: Tor. Und wenn dieser Alp dir nun von hinten einen Tritt versetzte?

      «Die Wege Gottes sind nicht unsere Wege», sagte Deasy. «Alle Geschichte bewegt sich auf ein grosses Ziel zu, die Offenbarung Gottes.»

      Stephan schnellte den Daumen auf das Fenster zu und sagte: «Das ist Gott.»

      «Hurra! aaa! raa!»

      «Was?» fragte Deasy.

      «Ein Schrei auf der Strasse», antwortete Stephan und zuckte mit den Schultern.

      Deasy sah auf den Boden und klemmte für kurze Zeit die Flügel seiner Nase zwischen die Finger. Dann sah er wieder auf und liess sie los.

      «Ich bin glücklicher als Sie», sagte er. «Wir haben viele Irrtümer und viele Sünden begangen. Ein Weib brachte die Sünde in die Welt. Eines Weibes wegen, das nicht besser war als ihr Ruf, Helenas, des entlaufenen Weibes des Menelaus wegen, führten die Griechen zehn Jahre Krieg mit Troja. Ein treuloses Weib brachte zuerst die Fremden an unsere Küsten, MacMurroughs Weib und ihr Liebster O’Rourke, der Fürst von Breffni. Ein Weib war es auch, die Parnell zu Fall brachte. Viele Irrtümer, viele Unterlassungen, aber die eine Sünde nicht. Jetzt am Ende meiner Tage bin ich noch Kämpfer. Aber ich will bis ans Ende für das Recht kämpfen.»

      Denn Ulster wird kämpfen

      Und Ulster wird recht haben.

      Stephan hob die Hand mit den Blättern.

      «Gut, Herr», begann er.

      «Ich ahne es», sagte Deasy, «diese Arbeit wird Ihnen nicht lange mehr zusagen. Sie sind nicht zum Lehren geboren, glaube ich. Vielleicht irre ich mich auch.»

      «Vielmehr zum Lernen», sagte Stephan.

      Und