James Joyce

Ulysses


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die nur die Rauchfahne des Postdampfers zog; verschwommen an der hellen Himmelslinie, und ein Segelschiff lavierte in der Nähe der Muglins.

      «Irgendwo habe ich eine theologische Interpretation gelesen», sagte er nachdenklich. «Die Vater- und Sohn-Idee. Der Sohn, der eins werden will mit dem Vater.»

      Plötzlich setzte Buck Mulligan ein heiteres, breit lächelndes Gesicht auf. Er sah sie an, glücklich öffnete er den wohlgeformten Mund, seine Augen, aus denen plötzlich alle kalte Intelligenz verschwunden war, blitzten in närrischer Freude. Wie eine Puppe wackelte er mit dem Kopf, die Krempe seines Panamas flatterte, und mit ruhiger, närrisch-glücklicher Stimme fing er an zu singen:

      Ein seltsamster Bursche muss ich schon sein,

      Ein Vogel war der Vater mein,

      ’ne Jüdin fein mein Mütterlein.

      Und Joseph, der Tischler, war nie mein Papa,

      Es leben die Jünger und Golgatha.

      Warnend hob er den Zeigefinger.

      Wer zweifelt an meinem göttlichen Sein,

      Der soll nicht frei saufen, wenn ich zaubre den Wein.

      Nur Wasser bekommt er,

      Sein Trank soll es sein,

      Wenn in Wasser ich wieder

      Verwandle den Wein.

      Schnell zerrte er zum Abschied an Stephans Eschenstock, und als er jetzt bis an den Rand der Klippe lief, flatterte er mit den seitlich gehaltenen Händen, als wären es Flossen oder Schwingen jemandes, der sich in die Luft erheben will; und dabei sang er:

      Und nun lebet wohl!

      Was ich sagt’, schreibt fein nieder,

      Verkündet auch allen,

      Dass zum Himmel ich wieder

      Jetzt fliege durch Kraft, die ich finde

      In mir. Des Ölbergs Winde

      Sind kalt. Lebet wohl!

      Er sprang vor ihnen her an den vierzig Fuss tiefen Abgrund, flatterte immer noch mit den flügelgleichen Händen, sprang frisch und munter; der Merkurhut flatterte im frischen Winde, der seine kurzen Vogelschreie hintrug zu ihnen.

      Haines, der verlegen gelacht hatte, ging neben Stephan her und sagte:

      «Wir sollten eigentlich nicht lachen. Er lästert Gott. Ich selbst glaube ja nicht, das muss ich schon sagen. Seine Lustigkeit nimmt dem Ganzen ja irgendwie seine Schärfe. Wie nannte er es doch noch? Joseph der Tischler?»

      «Die Ballade vom Lustigen Jesus», antwortete Stephan.

      «O», sagte Haines, «Sie haben das Lied wohl schon vorher gehört?»

      «Dreimal jeden Tag, nach jeder Mahlzeit», sagte Stephan trocken. «Sie glauben auch wohl nicht?» fragte Haines. «Ich meine, Sie sind auch kein Gläubiger im engen Sinne des Wortes. Schöpfung aus dem Nichts, Wunder und persönlicher Gott.»

      «Mir scheint, das Wort hat nur einen Sinn», sagte Stephan. Haines blieb stehen, holte eine glatte Silberdose hervor, in der ein grüner Stein funkelte. Mit dem Daumen drückte er darauf, die Dose schnappte auf, er hielt sie ihm hin.

      «Danke», sagte Stephan und nahm eine Zigarette.

      Haines nahm auch eine und klappte die Dose wieder zu. Er steckte sie wieder in die Seitentasche, nahm dann aus der Westentasche ein Feuerzeug aus Nickel, liess es auch aufschnappen; als er seine Zigarette angezündet hatte, hielt er die hohle Hand über den brennenden Zündschwamm und reichte es Stephan.

      «Ja, natürlich», sagte er, als sie weitergingen. «Entweder man glaubt oder man glaubt nicht, nicht wahr? Ich persönlich kann die Idee vom persönlichen Gott nicht verdauen. Ich glaube, Sie halten das auch nicht aufrecht.»

      «Sie sehen in mir», sagte Stephan mit grimmigem Ärger, «das grausige Exemplar eines Freidenkers.»

      Er ging weiter, wartete darauf, angeredet zu werden, liess seinen Eschenstock neben sich über den Boden schleifen. Quietschend schleppte leicht die Zwinge hinter ihm her über den Pfad. Mein treuer Diener hinter mir, ruft Steeeeeeeeeeeephan. Eine wakkelnde Linie über den Pfad. Heute nacht, wenn sie im Dunkeln hierher kommen, werden sie darauf treten. Er will diesen Schlüssel. Er gehört mir, ich bezahlte die Miete. Jetzt esse ich sein salziges Brot. Ihm auch den Schlüssel geben. Alles. Er wird ihn haben wollen. Das lag in seinen Augen.

      «Schliesslich», begann Haines. . . .

      Stephan wandte sich um und sah, dass der kalte Blick, der ihn gemessen hatte, durchaus nicht unfreundlich war.

      «Schliesslich, meine ich, können Sie sich frei machen. Sie sind Ihr eigener Herr, wie mir scheint.»

      «Ich bin der Diener zweier Herren», sagte Stephan, «eines Engländers und einer Italienerin.»

      «Italienerin?» sagte Haines.

      Eine verrückte Königin, alt und eifersüchtig. Knie nieder vor mir.

      «Und ein dritter», sagte Stephan, «ist auch noch da, der gebraucht mich für Nebenarbeiten.»

      «Italienerin?» sagte Haines wieder. «Was meinen Sie?» «Den Kaiserlich Britischen Staat», antwortete Stephan, dessen Gesicht Röte überzog, «und die Heilige Römisch Katholische und Apostolische Kirche.»

      Bevor Haines antwortete, entfernte er von seiner Unterlippe einige Tabakfäden.

      «Das kann ich ganz gut verstehen», sagte er ruhig. «Ich kann wohl sagen, dass ein Ire gar nicht anders denken kann. Wir fühlen in England wohl, dass wir euch ziemlich unfair behandelt haben. Mir scheint, dass hierfür die Geschichte verantwortlich ist.»

      Die stolzen, mächtigen Anrufungen liessen über Stephans Erinnerung den Triumph ihrer ehernen Glocken erklingen: et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam: das langsame Wachsen und der Wandel des Ritus und Dogmas wie seine eigenen seltenen Gedanken, Sternalchemie. Symbol der Apostel in der Messe für Papst Marcellus, die ineinander klingenden Stimmen, allein laut ihren Glauben singend: und hinter ihrem Gesang entwaffnete und bedrohte der wachsame Engel der ecclesia militans ihre Häresiarchen. Eine Horde von Ketzereien, die mit schief sitzenden Mitren entflieht: Photius und die Brut der Spötter, zu denen auch Mulligan gehörte, und Arius, der zeit seines Lebens gegen die Consubstantialität des Sohnes mit dem Vater Krieg führte, und Valentin, der den irdischen Leib Christi verwarf, und der feinsinnige afrikanische Häresiarch Sabellius, der behauptete, der Vater Selbst sei Sein eigener Sohn. Worte, die Mulligan vor einem Augenblick spöttisch zu dem Fremden gesagt hatte. Eitler Spott. Leere erwartet sicher alle die, die den Wind weben: Drohen, Entwaffnen und Besiegen durch die zum Kampfe aufgestellten Engel der Kirche, Michaels Heerscharen, die sie in den Stunden der Not mit ihren Lanzen und Schilden immer verteidigen.

      Bravo! Bravo! Langer Applaus. Zut! Nom de Dieu!

      «Natürlich bin ich Engländer», sagte Haines’ Stimme, «und als solcher empfinde ich auch. Auch ich wünsche nicht, dass mein Vaterland deutschen Juden in die Hände fällt. Ich fürchte, dass das gerade augenblicklich unser nationales Problem ist.»

      Zwei Männer standen am Rande der Klippe, beobachteten: Kaufmann, Bootsmann.

      «Fährt nach Bullock Harbour.»

      Mit halb verächtlicher Kopfbewegung zeigte der Bootsmann nach dem Norden der Bai.

      «Da draussen ist fünf Faden Tiefe», sagte er.

      «Wird schon hierher kommen, wenn so gegen eins die Flut da ist. Ist heute neun Tage her.»

      Der Mann, der ertrank. Ein Segelschiff, das in der weissen Bai laviert und darauf wartet, dass ein aufgedunsenes Bündel auftaucht, sich umdreht, der Sonne ein gedunsenes, salzweisses Gesicht zeigt. Hier bin ich.

      Sie gingen über den gewundenen Pfad hinunter an die kleine Bucht. In Hemdsärmeln stand Buck Mulligan auf einem Stein, über seiner Schulter flatterte