sie die Objekte loswurden, und in diesen Nachbarschaften stand man Totenbändigern meist weniger feindlich gesinnt gegenüber als in den sogenannten anständigen Vierteln, in denen gruselige Freaks nicht willkommen waren.
Sky hatte eine Karte der Stadtverwaltung auf ihrem Smartphone aufgerufen und führte ihre Truppe zügig an. Im Gegensatz zu Gabriel und Connor war sie ein Morgenmensch und genoss es, mal eine Tagesschicht zu haben und den Vormittag in wunderschönem Sonnenschein zu verbringen, der in den Blättern der Baumwipfel spielte.
»Okay. Der nächste Lüftungsschacht müsste direkt hinter dem Parkeingang liegen. Dann gibt es noch einen Wartungszugang und zwei weitere Lüftungsschächte bis zum nördlichen Ende von Golders Hill. Aber dass mit denen irgendwas nicht stimmt, glaube ich eigentlich nicht. Dann hätten die Anwohner am Nordrand des Parks über mehr Geister geklagt. Das Problem scheint eher hier im Süden zu liegen.«
Eine mögliche Ursache für das erhöhte Geisteraufkommen konnte mit der U-Bahn zusammenhängen. Ein Teilstück der Northern Line verlief von der Station in Hampstead Richtung Norden unter dem Park entlang nach Golders Green. Weil der Untergrund ein Verlorener Ort war, waren beide Stationen versiegelt worden, ebenso wie alle Luftschächte und Wartungszugänge. Doch da diese an anderen Orten in London in den letzten Monaten immer wieder aufgebrochen worden waren, lag die Vermutung nahe, dass rücksichtslose Adrenalinjunkies auch hier im Park unterwegs gewesen waren.
Es kam hin und wieder allerdings auch vor, dass Versiegelungen schlichtweg marode wurden. Eisen rostete, wurde brüchig und durchlässig, besonders in der feuchten Umgebung eines Parks.
»Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn die Geistersichtungen im Norden passiert wären. Dann wären die Spuks aus Barnet dafür zuständig und wir hätten ausschlafen können«, grummelte Connor in seinen extra großen Kaffeebecher mit düsterem Totenkopfdesign, den Ella ihm zum Geburtstag bemalt hatte. Connor war nur unwesentlich wacher als Gabriel, aber zumindest schon bereit für Kommunikation, die aus mehr als Grunzlauten bestand.
Sky überging jegliches männliche Gejammer. Sie kannte ihre Jungs nicht anders als morgenmuffelig. So topfit, hellwach und allzeit bereit sie bei nächtlichen Einsätzen immer waren – vor zwölf Uhr mittags sollte man besser keine Glanzleistungen von ihnen erwarten.
»Wenn ich recht habe und es daran liegt, dass sie den Regent’s Park abgeriegelt haben, sind die U-Bahnschächte ohnehin nicht das Problem.«
Der Regent’s Park lag in der City of Westminster, grenzte im Norden aber an das Stadtgebiet von Camden. Westminster zählte zu den nobleren Stadtgebieten und hatte vor fünf Jahren den Hyde Park verloren. Eine Terrorgruppe, die sich Death Strikers nannte, hatte dort an einem Wochenende während des Frühlingsfestes gleich acht Sprengsätze explodieren lassen und so mehrere tausend Menschen getötet. Seitdem war der Park ein Verlorener Ort, weil sich dort zu viele Geister tummelten, die eine Säuberung zu gefährlich und zu teuer machten. Gleiches galt für das Scarlet Theatre, das Cloverfield Shopping Centre, den Longbury Tower und drei weitere Orte in der Stadt. Auch hier hatten die Terroristen durch Bombenattentate oder das Einleiten von Giftgas in den letzten Jahren für massenhaft Geister und entsprechend Verlorene Orte gesorgt, weil der Stadtrat nicht auf ihre Forderungen eingegangen war.
Nachdem der Hyde Park als innerstädtisches Erholungsgebiet verloren gegangen war, blieb Westminster nur der Regent’s Park und für ihn hatten die gut betuchten Bewohner nach jahrelangem Ringen – und einigen großzügigen Spenden aus eigenen Kreisen – hohe Eisenzäune und das Pflanzen von Schutzpflanzen durchgesetzt. Diese Maßnahmen waren im Frühjahr durchgeführt worden, was den Park als Unterschlupf für Geister unattraktiv machte. Seitdem suchten sie neue Verstecke in weniger wohlhabenden Vierteln, in denen Parks, Straßen und Häuser nicht so kostspielig gesichert werden konnten.
»Ich hab von Anfang an gesagt, dass dieser verdammte Zaun besonders Camden Probleme machen wird«, grollte Sky. »Seit das Ding steht, gibt es bei uns mehr Geisterangriffe. Und dass wir hier nördlich der Nobelviertel in diesem Jahr schon acht Wiedergänger hatten, kommt auch nicht von ungefähr.«
Sie kickte einen losen Kiesel über den Gehweg hin zum Durchgang in der Hecke, die den Golders Hill Park von der Straße trennte. »Klar reden sich die Politiker damit raus, dass wir uns in einem Unheiligen Jahr befinden und die Aktivität der Seelenlosen in solchen Zeiten immer krasser ist. Aber wen wollen die denn für blöd verkaufen?«
Sie verpasste dem armen Kiesel einen weiteren Tritt woraufhin der mitten in einem Blumenbeet landete.
Sky blieb stehen und sah sich um. »Wow, ist ja echt spießig hier. Kein Wunder, dass die Anwohner wollen, dass der Park wieder sicherer wird.«
Golders Hill war ein kleiner Teil des gut dreihundertzwanzig Hektar großen Hampstead Heath. Doch während der Heath zum größten Teil aus wildem Wald und ebensolchen Wiesen bestand, durch die nur eine Handvoll Wege führten, war Golders Hill deutlich gezähmter. Hier gab es ordentlich angelegte Beete, die Rasenflächen waren penibel gepflegt, die Büsche gestutzt und weiter im Norden fand man einen Kinderspielplatz sowie einen kleinen Teich samt Wasserfontäne.
»Hm.« Skeptisch betrachtete Sky die Beete, in denen die Blumen streng nach Farben und Pflanzenhöhe sortiert waren. »Also Natur geht irgendwie anders, oder? Wenn ich das hier sehe, ist mir die Wildnis in unsere Ecke jedenfalls tausend Mal lieber.«
Der Crescent Drive, wo ihre alte Stadtvilla stand, lag am nordöstlichen Ende des Heath und ihr Garten grenzte direkt an den Rand des wilden Waldes.
Connor stöhnte vernehmlich. »Schatz, ich liebe dich. Wirklich. Aber du redest zu viel. Viel zu viel, dafür, dass ich noch nicht genug Kaffee intus habe. Und wen juckt es, wie die blöde Botanik hier wachsen darf? Sag uns lieber, wo dieser verdammte Lüftungsschacht ist, damit wir die Inspektion schnell hinter uns bringen können.«
Sky bedachte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue, verzichtete aber großmütig darauf, einen entsprechenden Kommentar zurückzuschießen, als sie sah, wie sehr Connor wirklich noch mit dem Wachwerden zu kämpfen hatte.
Gabriel dagegen hätte sich beinahe am letzten Rest aus seinem Kaffeebecher verschluckt und starrte seinen besten Freund ungläubig an. »Hast du sie gerade Schatz genannt?«
Connor runzelte die Stirn. »Ja, warum?«
»Echt jetzt? Was kommt als Nächstes? Willst du sie in den Schicksalsberg werfen? Nicht, dass ich was dagegen hätte. Ich helf dir sogar, wenn wir sie damit zum Schweigen bringen.«
»Du bist unmöglich!« Empört verpasste Sky ihrem Bruder einen Hieb gegen die Schulter. »Und du brauchst echt dringend mal wieder einen Menschen für dein Herz, nicht bloß welche für ein paar Stunden unverbindlichen Spaß.«
»Nee, lass mal. Ich bin nicht gemacht für Herzensmenschen.«
»Ja, klar«, gab Connor ironisch zurück. »Denkst du nicht, du solltest langsam damit aufhören, dir das so vehement einzureden? Ich weiß, wie schlimm es für dich war, und ich will es ganz sicher nicht runterspielen. Aber es ist jetzt fast drei Jahre her …«
Gabriel schnaubte bloß. »Um das mit dir auszudiskutieren, ist jetzt die falsche Uhrzeit und Kaffee definitiv das falsche Getränk.«
Er ließ Connor stehen und stiefelte zu einer Metallplatte, die ein Stück abseits des Parkwegs hinter kaschierenden Sträuchern in den Rasen eingelassen war.
»Wow! Guckt mal!«, rief er übertrieben begeistert. »Was haben wir denn hier? Den Lüftungsschacht. Wie praktisch, dass wir unsere Unterhaltung dann jetzt von privat auf beruflich umschalten können.«
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!«
»Danke. Ich stehe voll auf subtile Drohungen.«
Gabriel stieß ein paar Mal mit den Fuß gegen die Eisenplatte, die zwar einige rostige Stellen aufwies, aber weder löchrig noch brüchig wirkte. Connor trat zu ihm und beide gingen in die Hocke, um sich die Schweißnähte genauer anzusehen. Doch auch dort gab es nichts zu beanstanden.
»Sieht alles völlig in Ordnung aus. Hier sind mit Sicherheit