Nadine Erdmann

Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel


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      Dankbar erwiderte er die Umarmung.

      »Kopf hoch, okay?« Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. »Sonst kann niemand deine hübschen Augen sehen. Und ich wette, mit denen wirst du in den nächsten Wochen so einige Herzen erobern.« Sie zwinkerte vielsagend.

      Cam verzog das Gesicht.

      Ja, klar. Funktionierte bei Jules ja auch ganz wundervoll – nicht.

      Er strafte seine Schwester mit einem ironischen Blick.

      Lachend boxte Gabriel ihm gegen die Schulter. »Okay, und falls das mit dem Herzen erobern nicht funktioniert, funkle sie einfach alle in Grund und Boden. Den Blick hast du nämlich perfekt drauf.«

      Connor klopfte an die offen stehende Tür. »Hey Cam, alles Gute für morgen.« Er lächelte aufmunternd und nickte bedeutungsvoll Richtung Gabriel. »Und was immer dieser Chaot dir an tollen Ratschlägen mitgegeben hat – mach das Gegenteil.«

      Empört wollte Gabriel einen passenden Kommentar zurückschießen, doch bevor er irgendwas sagen konnte, fuhr Connor ihm über den Mund und scheuchte ihn und Sky zur Tür.

      »Spar dir den Atem, wir müssen los. Sonst kommen wir zu spät.«

      Sky wandte sich zu ihm um, gab Connor einen Kuss und schnappte sich dabei den Autoschlüssel aus seiner Hand. »Nicht, wenn ich fahre.«

      Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, das Polizeirevier von Camden glich immer einem quirligen Ameisenhaufen. Einsatzteams kamen und gingen, Verdächtige wurden verhört, Zeugen befragt und überführte Täter warteten auf den Abtransport ins Gefängnis.

      Geleitet wurde das Revier von Commander Jonathan Pratt, einem energiegeladenen Mitfünfziger, der zu den besten Polizisten ganz Londons zählte. Seit einer Schießerei, bei der ihn eine Kugel in den Rücken getroffen hatte, saß er im Rollstuhl und hatte deshalb den Dienst auf der Straße quittieren müssen. Jetzt ging er dafür ganz in seiner Rolle als Leiter des Camdener Polizeireviers auf und führte seine Leute mit harter, aber fairer Hand.

      »Hi Betty!«

      Gabriel, Connor und Sky stürmten zum Empfangstresen, an dem eine ältere Polizistin mit Argusaugen den Eingang des Reviers bewachte und sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Besucher den Begrüßungszerberus gab.

      »Die Sergeants Hunt und Fry.« Mit hochgezogener Augenbraue schüttelte Betty den Kopf. »Mal wieder gerade so auf den letzten Drücker pünktlich zum Dienst eingecheckt.« Sie vermerkte die Ankunft der drei in ihrem Computer.

      »Das lag nur an den ganzen Sonntagsfahrern, die heute Abend unterwegs waren«, verteidigte Sky sich und war eigentlich sehr stolz darauf, dass sie es trotz dieser Schnecken auf den Straßen noch pünktlich hergeschafft hatten.

      »Na, wow. Diese Entschuldigung hab ich ja schon ewig nicht mehr gehört«, meinte Betty sarkastisch. »Ich sollte mir ein Bingofeld mit typischen Ausreden zulegen und sobald ich eine Reihe voll habe, schuldet ihr mir Tee, Sandwiches und Scones. Und zwar die guten von Fred’s. Nicht irgendeinen ungenießbaren Fließbandmüll.«

      »Ehm … Granny lässt dich schön grüßen«, lenkte Gabriel das Gespräch schnell in eine andere Richtung und schenkte ihr ein charmantes Lächeln. »Sie freut sich auf euer Squashspiel am Dienstag.«

      »Lenk nicht ab, junger Mann! Die Bingo-Idee ist brillant.« Eifrig gab Betty etwas in ihren Computer ein. »Und dieses Lächeln ist bei mir sinnlos«, schob sie hinterher, doch alle drei sahen, dass ihre Mundwinkel verräterisch zuckten. »Aber bestellt eurer Granny einen lieben Gruß zurück. Ich freue mich auch.«

      Sie betätigte den Buzzer, der die Tür in der schusssicheren Glasfront öffnete, die den Empfangsbereich vom Rest des Reviers trennte. Panzerglas hielt irdische Kugeln ab, eiserne Schwellen an den Türen und Gitter vor den Fenstern schützten gegen paranormale Eindringlinge. Das Revier war gut gesichert und in den knapp drei Jahren, in denen Gabriel und Sky hier arbeiteten, hatte es noch nie irgendwelche Zwischenfälle gegeben. Thaddeus Pearce, der beste Freund ihres Vaters, hatte sich damals für sie stark gemacht. Die Polizei hatte zwar eigene Mittel und Wege, Geister und Wiedergänger einzufangen und unschädlich zu machen, doch Totenbändiger mit an Bord zu haben, wenn man Tatorte von Gewaltverbrechen untersuchen musste, war ein ungemeiner Vorteil. Frisch entstandene Geister zu eliminieren war für einen Totenbändiger keine große Herausforderung und so sparte ihr Einsatz eine Menge Steuergelder, denn die Mittel zum Einfangen und Vernichten von Geistern waren sündhaft teuer.

      Fast jedes Polizeirevier in der Stadt hatte eine Einheit, die sich um Angriffe von Geistern und Wiedergängern kümmerte. London war kein einfaches Pflaster. Viele Menschen auf engem Raum, da stieg die Anzahl der Toten, die durch Verbrechen oder Unfälle gewaltsam aus dem Leben gerissen wurden, stetig an. Geister entstanden, die ebenfalls Menschen töteten und so für noch mehr Geister sorgten. Dem konnte man nur mit genügend Personal entgegenwirken, daher hatte die Polizei schließlich die Zustimmung des Stadtrates bekommen, auch Totenbändiger für diese Aufgabe einstellen zu dürfen.

      Seitdem waren fast drei Jahre vergangen und mittlerweile arbeitete in beinahe jeder Spuk Squad mindestens ein Totenbändiger. Es war ein harter Kampf gewesen, doch die meisten Polizisten hatten ihre Totenbändiger-Kollegen inzwischen schätzen gelernt oder respektierten sie zumindest insoweit, als dass sie froh waren, sich nicht selbst mit den Geistern und Wiedergängern herumschlagen zu müssen, die die Bürger von London bedrohten.

      Connor, Sky und Gabriel traten durch die Glastür in den Hauptraum des Polizeireviers. Hinter dem Empfangstresen lag das zentrale Großraumbüro der Innendienstler, die Recherchen für die einzelnen Teams betrieben, jede Menge Papierkram für die Bosse erledigten und, falls nötig, die verschiedenen Einheiten und Einsätze koordinierten. Treppen führten hinauf zu den Büros der einzelnen Abteilungen und hinunter zu Arrestzellen, Verhörräumen und Ausrüstungskammer.

      Sky wollte sich gerade zur Treppe wenden, um in den ersten Stock hinaufzusteigen, als eine Stimme sie zurückhielt.

      »Hey, Sky! Wow! Du siehst heute ja wieder echt heiß aus.« Einer der jüngeren Innendienstler lehnte sich breitbeinig in seinem Schreibtischstuhl zurück, fasste sich in den Schritt und zwinkerte ihr bedeutungsschwer zu.

      Sky rang sich ein müdes Lächeln ab. »Wow, Theo. Prince Charming. Wie immer.«

      »Tja, wer kann, der kann. Heute mal Lust auf ein bisschen Spaß nach der Schicht?«

      Er war hartnäckig, das musste sie ihm lassen. Trotzdem ging er ihr mit seinen plumpen Anmachversuchen mittlerweile tierisch auf den Keks.

      »Hatte ich das jemals? Was genau braucht es, damit du endlich schnallst, dass ich mit Connor zusammen bin? Seit ungefähr einem Jahr. Er wohnt sogar bei mir und meiner chaotischen Familie. Viel ernster kann eine Beziehung kaum sein. Also, was brauchst du noch, um das zu kapieren? Eine Leuchtreklame? Oder soll ich es dir irgendwo eintätowieren?«

      Theo blickte kurz zu Connor, hob dann aber nur leichthin die Schultern. »Ich hab kapiert, dass ihr zusammen seid. Na und? Ist doch kein Problem, oder? Ihr Totenbändiger treibt es doch mit jedem. Männlich, weiblich, inter, trans, fluid und was immer da draußen noch so rumläuft – ist euch doch alles egal. Also könnten wir zwei ja auch mal …«

      Er bedachte sie mit einem Lächeln, das er vermutlich für unwiderstehlich hielt, und machte ein paar eindeutige Hüftbewegungen.

      Sky rollte die Augen und fragte sich, warum ausgerechnet sie diesen widerlichen Trottel auf den Pfad der Erkenntnis führen musste. Sie stiefelte zu seinem Schreibtisch, kickte seinen Papierkorb zur Seite und setzte sich halbschräg auf die Tischplatte.

      »Okay, erst mal: Bravo, Theo, gut gemacht.« Sie deutete auf seinen Computer. »Du hast erfolgreich gegoogelt, dass Totenbändiger pansexuell sind.«

      Er