Carina Burman

Die zehnte Göttin des Gesangs


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Edén, Noréen und Bygdén, und dann das gesamte Seminarium, tripp, trapp, trull. Für all jene, die den Jahreskongreß der Literaturgesellschaft abgesessen haben, ist jetzt der Gipfel der Freude erreicht. Unter dem Besteck des Professors liegt der Hering bereit: glänzend und weich wie Grauwerk, Gespons des ersten Glases. Dort die Strömlingsdubletten, wie ein Ganzfranzband mit grünem Schnitt – sie nimmt man wohl zum zweiten. Ad tertium, quartum, quintum, sextum und septimum passen rosa Bücklingssalat, goldroter Maränenrogen, gesprenkelte Hackfischpastetchen in Rot, Grün und Weiß, schwabbelnde Kalbssülze und dann natürlich die warmen Häppchen.

      Die Decke des Speisesaals ist rosafarben wie die Sülze, geschmückt mit Blumen und Nymphlein im Geschmack der Zeit, und der Krambambuli und sein Bruder müssen wohl schier aufgespart werden als Trunk zum Käse. Man leistet gute Arbeit beim Jahreskongreß der Literaturgesellschaft. Das Büfett ist ein Füllhorn, wie es sich kaum erträumen läßt, es biegt sich unter den Leckerbissen, und kaum ist eine Platte geplündert, trippelt schon ein Servierfräulein herbei mit einer neuen, ebenso schönen, ebenso beladenen. Sieh an – hier kommen die Kalbskoteletts – Schlippenbach ißt, und der Schweiß rinnt. Das Messer gleitet wollüstig durch gebeizten Lachs und verharrt, mitten im Schnitt. Träumerisch starrt der Professor zum Büfett. »Es lockt dich ... es lockt dich, all das gute Essen.«

      Dann fährt er mit dem Kauen fort. Er verspeist sieben Lachse und zehn Kapaune, fünfzehn Ferkel, zehn Gänse und nochmals zehn. Dazu ein Fäßchen Heringe und zwei Kübel scharfe Soße, zwanzig Pasteten und zwölf Pfund Kaviar. Obendrein fünf gebratene Eier und fünf pochierte, fünf aus dem Topf und fünf aus der Pfanne, fünf in Kohl gekocht und fünf in Glut geröstet. Dann nimmt er einen Bierkrug in die rechte Hand und einen in die linke, um zu sehen, welcher am besten mundet. Und beide nennt er seinen Göttertrank.

      »Ich bin euer Abt, meine Erzengel!« ruft Schlippenbach in einem Augenblick voller Ekstase, als alle vor ihrem Hauptgericht sitzen. Der Braten liegt herrlich dampfend auf den Tellern, nur Dozentin Gran ißt anspruchslos Seezunge à la Portugaise. Sie ist schließlich, trotz allem, eine Weibsperson, und übrigens bezahlt ja die Gesellschaft.

      Grün eingelegt häufen sich die Tomaten in den Salatieren, die Soße dampft dick in der Sauciere, und das Gelee bebt wie der Busen des Servierfräuleins. Alle essen – nicht länger aus Hunger, sondern aus Lust und Vergnügen, in himmlischer Schwelgerei. Da stoppt Schlippenbach seine Gabel: »Wenn ich nun sterbe!«

      Sein Gesicht erbleicht. Die Erzengel hören auf zu essen, und Dozent Bondeson richtet sich halb auf. Ein Windstoß fährt durch den Speisesaal. Einen Augenblick wird es kalt, und auf Dozentin Grans Armen zeigt sich Gänsehaut. Kann diese Welt jemals untergehen?

      Doch rasch ist der Augenblick der Vergänglichkeit vorüber, und die kalten Windstöße ziehen sich zurück in die Gegenden hinter dem Mond, wo sie hingehören. Das Gesicht des Professors erglüht aufs neue. Glänzend und rot blickt er über den Tisch, über die Salatieren und Schüsseln, Platten und Saucieren. Im Speisesaal ist es warm, die Stimmung liebevoll. Die weißen Tischtücher sind von Soße und Gelee befleckt, doch alle sind sich so schrecklich wohlgesonnen: Schlippenbach und seine Dozenten, der Dozent der Assyriologie, der Referent und sogar die Kandidaten. Schlippenbach löst die Serviette unter dem Kragen, wischt sich den Bart und ruft: »Nehmt jetzt von den Leckereien, meine Engel!«

      Er gibt selbst das Maß vor mit zwölf Trüffeln, Walnußsplittern in Schokolade und obenauf einer getrockneten Feige.

      »Vergeßt nicht, auch Obst zu nehmen, das ist gesund! Schaut euren Professor an!«

      Mit dem Dessertteller in der Hand begibt sich die Gesellschaft in die Caféabteilung. Professor Schlippenbach ordert Kaffee und eine Punschkirche für fünf Mann, denn die Finanzen der Gesellschaft sind gut und ihre Mitglieder frohgemut.

      »Dozentin Gran«, sagt der Professor, als der Punsch vor ihnen steht. »Wie lange ist es her, daß Sie promoviert haben?«

      Sechs Monate sind vergangen, seit sie ihre Doktorarbeit »Gotische Elemente in der Jugenddichtung Carl Gustaf Leopolds« vorlegte. Die gute Note, ein Stipendium und ein paar Kollegs hatten die letzten Monate für ihren Lebensunterhalt gesorgt. Der Professor beantwortet sich selbst die Frage: »Ein halbes Jahr wohl? Und sehnen Sie sich nicht nach neuen Aufgaben? Wie ein Pferd, das an den Zügeln reißt? Na was?«

      Selbst habe der Professor, so sagt man, ein Werk über jeden Punkt der schwedischen Literatur geschrieben, oft in fünf oder sieben Bänden. Jedes Forschungsobjekt packt er mit gleicher Energie an, macht sich rasch mit dem Stoff vertraut und konzipiert das nächste Buch, noch auf der Chaiselongue liegend und eine Zigarre paffend. Seine eigene Büchersammlung ist so groß, daß er nur zur Carolina, der Universitätsbibliothek, geht, um Handschriften zu studieren. Auch auf diesem Gebiet ist er eine Koryphäe.

      Dozentin Gran faltet die Serviette zusammen und sagt: »Oh, doch.« Dann zögert sie, schiebt die Brille ein Stück auf der Nase hoch und blickt in ihr Punschglas.

      »Es ist nur so schwierig, genug Zeit für Archivbesuche zu finden, wenn man Unterricht hat.«

      »Archivbesuche!« ruft Schlippenbach aus. »Wollten Sie also weiter in den Handschriften forschen?«

      »Ich hatte vor, ins 17. Jahrhundert zurückzugehen und die Bildsprache der Gelegenheitsgedichte zu studieren.«

      »Hm. Dozentin Gran, damit ist für Sie nichts zu gewinnen. Das Erforschen der Handschriften mag für uns Alte angehen, doch bei euch Jungen zählen andere Dinge in der Wissenschaft – nehmen Sie nur Huund und seine psychophrenologischen Studien!«

      »Das Archivmaterial ist dennoch die Basis allen Wissens!« ruft die Dozentin und versucht entschlossen dreinzuschauen.

      »Die Zeit hat diese Art Forschung hinter sich gelassen. Alles, was getan werden konnte, ist bereits getan – ja, das meiste habe ich selbst getan. Die Zeit des Sammelns ist vorüber. Jetzt ist die Epoche der Theorien angebrochen. Meine liebe Dozentin, ich habe sie früher schon erlebt, diese philosophierenden Seelen, versunken in Kontemplation. Ihr Jungen sollt keine Vorräte mehr in den Speisekammern des Geistes sammeln, zur Errichtung neuer literarischer Büfetts. Welche Zeiten vor uns liegen! Früher, da gab es noch Dinge zu entdecken. Archiv für Archiv habe ich durchforstet ...«

      »Nein«, sagt die Dozentin und schüttelt den Kopf. »So schlecht ist es nicht bestellt!«

      Schlippenbach schenkt erneut Punsch in die Gläser ein. Seine Wangen sind rosig, die Augen munter, und die Stimme klingt polternd.

      »Ich gehe jede Wette ein, daß Sie, Dozentin Gran, nichts Neues in den Archiven finden. Bei allem, was Sie brauchen, bekommen Sie Hilfe: Stipendium für die erforderliche Zeit, Unterricht nur minimal, die Unkosten der Reisen für Sie selbst und Ihre Mitstreiter.«

      Also führte Professor Georg Schlippenbach Dozentin Gran auf einen Berg; es war, als geleitete er sie hinauf in den nördlichen Turm des Schlosses, und im Wind am Schloßhang flatterten die Frackschöße wie schwarze Flügel hinter seinem Rücken. Oben angelangt, zeigte ihr der Professor alle Herrlichkeiten der Welt: Dort breitete sich die Stadt aus, mit Dom, Universität und Gustavianum; dort lagen prächtige Gebäude, Häuser und Hütten, und dann die Äcker hinaus bis nach Gamla Uppsala mit den uralten Königsgräbern. Nach allen Seiten konnte sie Ausschau halten: das ganze schwedische Land lag vor ihr, mit Bergen, Wäldern und Seen. Sie meinte, weidende Pferde zu sehen und ein schnaufendes Automobil, und die Luft war so klar wie die Prismen der Gaskronleuchter. Weit entfernt erblickte sie auch anderes: Fachwerkhäuser, ein Schloß aus Holz und eine Kirche auf einer Anhöhe; eine kleine Stadt inmitten einer großen, umgeben von einer Mauer; eine Silhouette mit Palästen und rosa Kais – und dann meinte sie dort unten in der Ferne Fackeln oder Signalfeuer zu sehen, doch gewiß hatte sie nur zu tief in das Licht der Kronleuchter geblickt. Nichtsdestotrotz war all das so schön, daß sie es mehr als gern besitzen wollte. Die ganze Welt wurde ihr angetragen, ja, der Himmel dazu, mit Sonne, Mond und all den schönen Sternen.

      »Darf ich selbst wählen?«

      Schlippenbach nickte väterlich.

      »Dann will ich die Briefe der Sophia Elisabeth Brenner haben. Niemand interessiert sich für die Brenner, obgleich