sich vor Schreck. Das Herz wollte fast stehenbleiben. Das kalte Becken war furchtbar und wundervoll zugleich – ja ungefähr wie die Liebe. Ich trieb vom Rand weg und sah die Decke weit über mir. Wasser gluckste in den Ohren.
Als sich das Licht änderte und blauer wurde, wußte ich, daß ich in der Nähe des gegenüberliegenden Beckenrandes war. Da wendete ich und schwamm zurück, auch jetzt auf dem Rücken. Sonst hätte ich das hohe Fenster nicht sehen können. Es hatte verschlungene Verzierungen in Blau und Grün wie das Meer. Das Fenster war beinahe genauso wundervoll wie das Becken. Als ich so dahinplätscherte, wurden die Gedanken zu Träumen, weit verschwommener als die Verzierungen des Fensters oben. Deshalb hörte ich zuerst nicht, daß Choice zu mir sprach. Erst als sie mich am Arm packte, stellte ich mich jäh auf den Boden.
»Hörst du mich, oder bist du ertrunken?«
»Ich war in Gedanken.«
»An die Brenner natürlich. Ich kenne eine kluge Lateinerin, Oberstudienrätin an einem Mädchengymnasium.«
»Hm. Und?«
»Wir könnten sie dazunehmen. Drei sind besser als zwei. Ist man zu zweit, kann man sich zerstreiten, aber bei dreien bleibt immer eine Majorität.«
»Ist sie eine vernünftige Person?« fragte ich und sprang auf dem Boden des Beckens hin und her. »Gehen wir raus! Ich friere.«
»Ja«, fuhr Choice aus der Dusche neben mir fort, »sie ist Blaustrumpf und schreibt gut!«
Ich seifte mich ein und schloß die Augen, als das Wasser Ströme von Schaum herunterspülte. Choice versicherte, ich würde diese Unbekannte mögen, und das ließ mich sofort auf der Hut sein. Warum sollten wir die Sache nicht allein schaffen? Wir haben uns schließlich nie zerstritten. Jetzt aber verließ Choice die Dusche. Ich folgte ihr, trocknete mich ab und wand das Handtuch wie einen Turban um den Kopf.
»Weißt du übrigens, wie spät es ist?« fuhr Choice fort und ging zu den Schränken. Halb elf zeigte die Uhr im Umkleideraum. »Himmel, das schaffe ich kaum! Mein Zug geht um elf!« Handtücher, Gesichtscreme und Kleidungsstücke um sich wirbelnd, zog sie sich rasch an und rannte zum Zug nach Stockholm.
Ich machte mich in aller Ruhe fertig, saß still auf der Bank vor dem Schrank und spürte den Duft des Shampoopulvers und der Radiumseife auf der Haut. Noch immer hing der Geruch von Choices Algencreme in der Luft. Aus dem Schrank muffelte es wie zuvor. Zwei Studentinnen kamen aus der Dusche, die Badehauben noch auf dem Kopf. Sie schienen in Eile, wollten vielleicht zu einer Vorlesung, und während sie sich gegenseitig halfen, das Haar zu richten, sprachen sie intensiv über einen, der Nils hieß. Sie kicherten fortwährend und streuten Sätze um sich wie »Und da hat er gesagt«, »Und da hab ich gesagt« und »Nee, wirklich?«. Mich schien keine von ihnen zu sehen. Ich frottierte mir das Haar, um sicherzugehen, daß ich wirklich dasaß. Schwesterlich schnürten sie sich die Korsetts zu und streiften die allerzüchtigsten Blusen über. Die Absätze der Stiefeletten trommelten auf den Boden, als die beiden halb im Laufschritt davoneilten, und ich vernahm nur noch: »Aber weißt du, die Beata, die sagt, daß sie und Sune ...«
Schade, daß mir der Rest des Satzes verlorenging. Er hörte sich recht vielversprechend an. Ich kämmte mir das Haar, haderte mit einzelnen Strähnen und fluchte leise in meiner Einsamkeit. Dann all die Nadeln hinein und den Körper in die Kleider gesteckt. Im Badehaus war es still, die Brillengläser beschlugen trotz des Dampfes nicht wieder. Es war ein Gefühl, als sei der Körper noch immer fast nackt, trotz der Winterausrüstung, und im Spiegel sah ich, daß die Wangen rosig glänzten wie auf einer Pastillendose. Ich drehte das Gesicht hin und her und verfiel in Selbstbewunderung.
Jetzt klappte die Tür, näher kommende Schritte veranlaßten mich, den Blick vom Spiegel zu lösen. So kümmerte ich mich um den stinkenden Schrank, rollte die Handtücher zusammen, das trockenste nach außen, und stopfte sie zusammen mit der Badehaube in die Tasche. Zuoberst lag die Renaissancestudie der Gebrüder Söderhjelm und entging nur mit knapper Not der Nässe. Ich schlüpfte in den Mantel, steckte die linke Hand in den Muff und schloß den Schrank mit der rechten ab. Den Schlüssel stopfte ich in die Mufftasche, so ging er nicht verloren, schließlich klemmte ich die Söderhjelms unter den Arm und ging. Doch die Füße führten mich keineswegs zur Carolina, nicht einmal heim in meine Kammer, sondern direkt zur »Güntherin«, um ein belegtes Brot zu verspeisen und in dem neuen Buch zu lesen. Welch Beginn eines Forschungsprojekts!
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Brief von Lic. phil. Thea Jansson an Redakteurin Gudrun Nordin v. 29.11.1909
Thea grüsst ihre Choice.
Ein briefchen fon dir lag hinter der tür, als ich fon der oper heimkam. Also du willst mich bei der herausgabe der Brennerbriefe dabeihaben. Dass es ein weibsbild ist, ist ein plus, aber »na was« (wie der rektor sagen würde), ist sie wirklich jahrelange arbeit fon drei frauen wert? Literaturwissenschaftlerin bin ich nicht, wie du weisst, und das latein der karolinerzeit unterscheidet sich doch recht erheblich fon dem der antike. Aber, andrerseits, wenn man zehn jahre lang teglich und stündlich Cicero runtergeschrubbt hat, um nicht fon Catullus’ ewigem passer zu reden, könnte die Brenner fielleicht was sein. Hat das weib was fon wert geschrieben? Und wer ist diese dozentin, mit der wir dann zusammenstecken? Kluges weibsbild oder ein kerl im rock? Was helt sie fom stimmrecht?
Morgen komme ich hoch und hocke auf deinem schreibtisch. Einen artikel über neuentdeckte Sapphogedichte wird klein Hanna dann ins reine geschrieben haben. Ohne sie were die schule unendlich fad, die elewinnen haben ansonsten nur spitzenblusen und nobelgedanken im kopf, keinesfalls jedoch die paradigmen.
Ich streichle dir über deinen fiel inhaltsreicheren.
Hast du plene für die ferien? Mutter und ich wollen über die weinachtstage heim nach Karlstad, doch zu neujahr sind wir zurück.
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Brief von Gudrun Nordin an Elisabet Gran v. 30.11.1909
Dienstagabend
Liebe Lissie!
Ich habe mit Thea über die Brenner geredet. Der Himmel weiß, was sie davon hält, sie redet drumherum, sagt weder ja noch nein. Ich glaube, sie hat Bedenken, entweder wegen Dir oder dem Weibsbild. Brummelt ständig, sie sei nicht literarisch bewandert, wäre doch, um Gottes willen, nur Lic. für die Korrespondenz von Petrus de Dacia! Sag, ist das nicht eine vorzügliche Voraussetzung für die Brenner? Spätes Latein und Briefe.
Weiß der Kuckuck, warum ich selbst dergleichen schreibe. Weißt Du, was es mich kostet, diesen Brief zu schicken? Was machst Du eigentlich in Uppsala, wenn es in Stockholm eine Hochschule gibt? Und warum gehst Du nicht ans Telephon, wenn ich anrufe?
Deine
Choice
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Brief von Elisabet Gran an Gudrun Nordin v. 2.12.1909
L. Choice!
Ich gehe nicht ans Telephon, wenn Du anrufst, weil ich 1. arbeite, 2. nachts schlafe, 3. im »Gillet« sitze mit meinen l. Kollegen Huund, Wallin und Bondeson, die dozentengemäß Punsch miteinander trinken. Ehrlich gesagt – warum rufst Du immer nachts um 12 Uhr an? Vergiß nicht, wie früh eine arme Academica am Katheder zu stehen hat, im Unterschied zu einem Schreiberling wie Dir! Um zehn Uhr lege ich ganz einfach den Hörer neben den Apparat.
Wenn Thea weder von mir noch der Brenner etwas wissen will, habe ich keine Ahnung, was wir tun könnten. Die alte Brenner ist Voraussetzung für die Edition, weil es ihre Briefe sind, und die Idee stammt immerhin von mir. Sogar Schlippenbach segnet die Sache gütig ab und verspricht, an ein paar Fäden zu ziehen. Trotz Theas Lateinkenntnissen müssen wir wohl ohne sie auskommen, sollte sie sich nicht mit uns anderen anfreunden. Vielleicht finden wir Myriaden von Briefen in deutsch und nur zwei, drei in lateinisch. Und keine von uns ist ganz unbewandert in der Römersprache. – Wodurch ist sie übrigens so vortrefflich? Hat sie irgendwelche »Tugenden«, wie man zur Brenner-Zeit sagte?
Nach Stockholm kann ich freilich nicht ziehen. Was hat die Stadt, das Uppsala nicht hätte? In der Carolina liegen fünf katalogisierte Brenner-Briefe, und ich habe Collijn aufgetragen,