Carina Burman

Die zehnte Göttin des Gesangs


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      PS. Übrigens hat Sthlm eine Sache, die U-a fehlt: die Königliche Bibliothek. Ich beabsichtige, die Sammlungen in der nächsten Woche irgendwann durchzugehen, um zu sehen, was dort für Briefe liegen. Könnten wir drei uns treffen? Ich rufe an! Du gehst ja wohl ans Telephon, zumindest in der Redaktion?

      PS 2. Wenn ihr bockt, mache ich die Arbeit eben selbst! Ewig DieSelbe.

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      Telegramm von Gudrun Nordin an Elisabet Gran

      v. 3.12.1909

      Gerade du musst von böcken reden beide ganze nächste woche daheim thea mittwoch nm frei bezahlst du deine telephonrechnung nie tschois

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      Montag, den 6.12.1909

      Heute nacht wachte ich gegen drei Uhr auf, ohne zu wissen, wo ich bin. Mein eigenes Bett schien vertauscht, der Geruch in meinem Zuhause ein anderer als sonst. Ich hatte einen Traum, an den ich mich beim Aufwachen zunächst nur verschwommen erinnerte, doch dann trat er mir klar wie eine Glasmalerei in der Kirche vor Augen. Wie er zu deuten ist, weiß ich nicht, ich könnte wohl Huund fragen, der sich um solcherlei kümmert, aber ich bringe es nicht über mich. Kurz und gut: Ich schlief, und ich war in einem Wald. Um mich herum standen dunkle Kiefern oder Tannen, und ich konnte den Geruch von Erde spüren. Das Gras im Gehölz war weich wie Daunenkissen. Ich erwachte und schaute zum Himmel empor. Er war schwarz, obgleich Sommer gewesen sein muß, und hoch oben sah ich eine Mondsichel, von merkwürdigem Gelb. Stimmen erklangen um mich herum, doch ich konnte nichts sehen. Da setzte ich mich auf, und plötzlich befand ich mich in einem behaglichen Zimmer. Frauen bewegten sich überall an den Wänden. Sie trugen Platten in den Händen, und es herrschte eine Art Weihnachtsstimmung. Die Speisen schienen die üblichen Weihnachtsgerichte zu sein, und ausnahmsweise interessierten sie mich nicht besonders. Die Frauen waren nämlich anders als Frauenspersonen sonst: Alle trugen verschiedenartige Kleider, nicht nur im Schnitt und in der Farbe, sondern auch im Modell. Lange Röcke über wattierten Unterkleidern, Krinolinen und Turnüre. Alle Arten Haaraufbauten waren vertreten – und dort eine Nonne mit Schleier, die ihren Kopf wie im Gebet senkte und sich der vollbeladenen Platten enthielt.

      Weit hinten im Raum war eine Apsis, dort erblickte ich eine Skulptur, eine Jägerin aus der Antike. Die Luft war trocken und warm, wie wenn man in einem Holzhaus Feuer macht, und ich setzte mich an einen langen Tisch, als wollte ich essen. Da sah ich, daß die Tischplatte mit Briefen bedeckt war, gefaltete Papiere mit erbrochenen Siegeln. Die Briefe lagen in Stapeln, als ich sie berührte, fielen sie wie Kartenhäuser zusammen, und die Papiere rutschten über die Kanten zu Boden. Der Tisch war mit einer Glasplatte bedeckt, wie in der Konditorei, und darunter lagen weitere Briefe, manche mit verwischter Tintenschrift, so als hätte jemand Kaffee darauf vergossen.

      Als ich den Blick hob, standen die Frauen mir direkt gegenüber, und mit einemmal erkannte ich viele der Gesichter. Ich weiß nicht mehr, wer sie waren, doch die Brenner sah ich, und sie lachte herzlich über mich, wie ich da in all den Briefen wühlte. Auch andere Schriftstellerinnen standen dort, und die letzte in der Reihe war Selma Lagerlöf, in der Hand hielt sie die Nobelpreis-Urkunde, und sie lächelte mir huldreich zu, als fände sie mich amüsant, bedauernswert und redlich zugleich.

      Ob sich die Frauen im Nichts auflösten, kann ich nicht sagen, doch plötzlich stand der Referent der Literaturgesellschaft in der Apsis, auf dem Platz der Statue, und unterstrich beredt die Vortrefflichkeit aller patriarchalischen Ordnung. Dann nahm ich einen schwachen Parfümgeruch wahr und darauf den Gestank des Garderobenschranks – und ich erhob mich, um zu widersprechen, um zu betonen, daß auch den Frauen Stimmrecht zusteht. Doch erneut ertönte Lachen, und der Referent lachte noch lauter als die Brenner, und Eiszapfen hingen vor den Fenstern.

      Da erwachte ich, zündete die Petroleumlampe an und las ein Weilchen, bis mich der Schlaf übermannte. Am Morgen sah ich am niedergebrannten Docht, daß ich vergessen hatte, das Licht zu löschen.

      *

      Brief von Sophia Elisabeth Brenner (geb. Weber) an Margerithe Catrine Spiker (geb. Brander) v. 30.6.1715

      Liebste Schwester,

      wenn Euer eigener züchtiger Sinn es zulassen sollte, so verkehrt über mich zu urteilen wie meine conduite Euch gegenüber seit Eurer Abreise von hier zu verdienen scheinet, verlöre ich gewiß in Euren Augen jedwedes gutes Ansehen. Gleichwohl bin ich nicht so frevelhaft, wie es scheinen mag, denn Gott allein weiß, wie lieb Eure Person und Euer Andenken mir sind, und wie oft ich Eure Anwesenheit wünsche.

      Meine vielgeliebte Schwester mag sich wohl denken, daß ich nicht ohne herzliches Entzücken vernommen, zunächst von Eurer und Eures l. Gemahls nach so viel erduldeter Gefahr glücklich überstandener Reise; dann daß Ihr zwiefach glücklich Mutter geworden, samt daß Ihr in einem angenehmen Zustand an dem Ort lebet, wo Ihr weilt. Sollte ich denn nicht sogleich meine Beifreude und Glückwunsch an den Tag legen? Gewiß, doch liegen die Briefe wahrhaftig noch hier in meiner Schreiblade. Ich hoffe, wenn der junge Brander reiset, vielleicht ein wenig weitläufiger schreiben zu können. Indes muß ich, obgleich beinahe allzu spät, meinen schuldigen Dank für den Überzug aussprechen. Er ist wahrhaft gut. Ich beklage allein, seinen Preis nicht zu kennen. Eure l. Mama will nichts hören von einer Bezahlung. Dieses benimmt mir die Freiheit, so daß ich nie mehr wagen werde, Bruder Brander mit dergleichem zu bemühen, da ich nicht weiß, wie solches gebührend zu vergelten.

      Fike und Marie Aurore, welche beide die vergnügliche – obgleich gar kurze – Gesellschaft, die sie mit Euch, liebste Schwester, pflegten, in ständigem Andenken halten, grüßen Euch tausendfach; beide sind abwesend. Doch tue ich es in ihrem Namen, wohl wissend, welch aufrichtige Herzensneigung sie Euch entgegenbringen. Vor diesmal nicht mehr als einen lieben Gruß an den Herrn Bruder Brander, nebst Euch selbst und Eure Kleinen, die sämtlich dem Schutze des Höchsten anbefehlend ich bis zum Tode verbleibe

      Meiner liebsten Schwester

      dienstwilligste und

      treueste Dienerin

      Sophia El. Brenner

      *

      Mittwoch, den 8.12.1909

      Der Brief schmückt seinen Platz in meinem Journal. Ich fand ihn heute in Stockholm in der Königlichen Bibliothek. Am Vormittag widmete ich mich den Studien der Handschriften, und zu Mittag gab es dann Grützwurst und den Handschriftenbibliothekar. Um in der KB besseren Zugang zu den Briefen zu bekommen, bestach ich den Bibliothekar im »Sturehof«, und da er Beefsteak bestellte, mußte ich mit Grützwurst und Dünnbier vorliebnehmen.

      Das ist der erste Brief, den ich anderswo als in Uppsala auffand. Der Bibliothekar in der KB rümpfte nur die Nase und sagte, er könne nicht begreifen, was ich mit so einem Schreiben wolle – Weibergeschwätz nannte er es. Einen Augenblick gab ich ihm fast recht, selbstverständlich hätte ich lieber einen Brief gefunden, der vom poetischen Schaffen der Brenner berichtete, von ihren Kontakten zu anderen Autoren oder ihrer Ansicht zum herrschenden Krieg. Die Reflexionen über Kindbett, Reisen und Überzüge wirkten so dürftig. Dennoch konnte ich nicht anders, als immer verärgerter zu reagieren. Weshalb waren Kindbett und Überzüge unerheblich? Weshalb sollten die Auslassungen des Bibliothekars, die er beim Beefsteak über die Nick-Carter-Gefahr und das Abstumpfen der Massen von sich gab, so unendlich viel vernünftiger sein?

      Die Anschrift des Briefes zeigte, daß die Adressatin nach London gezogen war. Ich stellte mir die Spiker als eine dieser Frauen der Großmachtzeit vor, die wie die Männer im Feld lagen, mit ihren knöchellangen Röcken durch den Lehm der Schlachtfelder stapften und unruhig dem Grollen der Kanonen lauschten, sich niemals sicher, ob sie nach dem Kampf nicht Witwe wären. In drei Jahren hatte sie zwei Kinder geboren, und irgendwann hatte sie der Brenner einen Überzug geschickt, vielleicht aus prächtigem englischem Tuch. War er gedacht als Hochzeitsgeschenk der Brenner an eine ihrer Töchter? Sie wollte das Übersandte gern bezahlen, und um ehrlich zu sein: sie konnte die Spiker wirklich kaum um weitere Überzüge bitten, wenn sie nicht einmal erfuhr, was jener gekostet hatte.

      Ich wendete das Blatt und schaute auf die Rückseite mit der Adresse:

      A Madame