wenn du es dir wünschst.«
Ungläubig riss der Junge die Augen auf.
»Ist das wahr, Tante Phyllis, wirklich wahr?«, brach es erfreut aus ihm hervor.
»Aber ja, Bert. Gleich heute Abend werde ich damit anfangen. Wenn ihr gewaschen seid und euren Teller schön leergegessen habt, dann setze ich mich zu euch und erzähle euch eine wunderschöne Geschichte.«
»Oh, Tante Phyllis, du bist doch die beste, wundervollste Tante auf der ganzen Welt«, jauchzte Ille und warf stürmisch ihre Ärmchen um die Tante. Bert aber drückte sein heißes Gesicht in die Falten ihres Kleides, und Phyllis legte die Arme um die Kinder.
Nun hatte ihr Leben wieder einen Sinn, einen Inhalt bekommen. Sie konnte aus übervollem Herzen Liebe verschenken und Liebe entgegennehmen, ohne dass sie einen anderen beraubte.
*
Still und sehr nachdenklich schritt der Baron in sein Haus zurück.
In der nächsten Zeit beschäftigte er sich mehr als ihm selbst lieb war mit der neuen Erzieherin seiner Kinder. Ohne ihn zu fragen, hatte Phyllis manche seiner Härten gemildert. Die Kinder lebten freier und ungebundener, und ihr frohes Lachen drang immer häufiger in sein Zimmer.
Aus den stillen ernsten Burgkindern waren übermütige Kobolde geworden, die ihre lustigen Streiche machten und keinen verschonten. Nur vor der Tür des Vaters machten sie halt.
Zwar waren sie in seiner Nähe nicht mehr so scheu und bedrückt, aber sie führten sich gesitteter und wohlerzogen auf, gaben nur Antwort, wenn sie gefragt wurden, und nahmen ihre Mahlzeiten schweigend, ohne die Augen zu heben, ein.
Der Baron wusste, dass es viel lauter und lebhafter am Tisch zuging, wenn er nicht anwesend war. Es schmerzte ihn, dass die Kinder kein Vertrauen zu ihm fanden, denn wenn es etwas im Leben gab, was dieser harte Mann liebte, dann waren es seine Kinder.
In den letzten Wochen war er immer häufiger aus seiner kühlen Reserve herausgetreten. Es schien, als ob das ruhige sichere Wesen des jungen Mädchens einen milderen Wesenszug in dem harten Mann ausgelöst hatte, der den Kindern zugute kam. Er beschäftigte sich mehr mit ihnen und nahm sie auch schon einmal mit auf die Jagd, etwas, was noch vor Wochen undenkbar gewesen wäre.
*
Phyllis weilte nun schon fast ein halbes Jahr auf Meeresbucht. Sie liebte die Burg, wie sie einst ihre Heimat geliebt hatte, und ihr war es manchmal, als hätte sie schon immer hier gelebt, als wäre ihr jeder Stein und jeder Strauch schon immer vertraut gewesen.
In der letzten Zeit war häufig Besuch auf Meeresbucht. Zwei Herren fuhren in einem schweren Wagen vor. Der Ältere wurde mit Professor angesprochen, und der Jüngere schien sein Bruder zu sein.
Phyllis hatte bisher ihre Bekanntschaft noch nicht gemacht. Außer einem höflichen Gruß hatten sie noch kein Wort miteinander gewechselt. Phyllis war meist mit den Kindern unterwegs oder hielt sich mit ihnen in ihren eigenen Räumen auf. Sie wusste, der Baron liebte es nicht, wenn seine Gäste von den Kindern belästigt wurden, und so hielt sie die zwei nach Möglichkeit zurück.
Gestern Abend hatte sie den dunklen schweren Wagen wiederkommen hören. An der lebhaften Begrüßung, die in der großen Halle erfolgte, konnte sie ersehen, dass der Baron schon ungeduldig auf seine Gäste gewartet hatte.
Sie ging in ihr Zimmer zurück und zog den Sessel an das geöffnete Fenster. Die Kinder schliefen, und Phyllis liebte diese stillen Stunden.
Sie setzte sich in den Sessel und schaukelte hin und her. Ihre Blicke glitten immer wieder aus dem Fenster. Der gelöste Zug, der in den letzten Wochen auf ihrem Gesicht lag, wenn sie mit den Kindern zusammen war, hatte einem traurigen Ernst Platz gemacht.
Phyllis zog mit einer müden Bewegung den Brief aus der Tasche, den sie morgens mit der Post erhalten hatte.
Er kam von einer früheren Freundin aus der Heimat. Sie hatte geheiratet und teilte es Phyllis mit. Der Brief umfasste fünf Seiten. Immer wenn die Freundin ihr schrieb, erzählte sie ihr alles, was sich im Dorf seit ihrer Abwesenheit zugetragen hatte. Ganz am Schluss schrieb sie von dem jungen Grafen.
Er war seit einem Jahr von einer Reise zurückgekommen und lebte nun wieder auf Langen.
Die junge Gräfin war liebenswert und wurde von allen im Dorf verehrt. Vor zwei Monaten war ein kleiner Graf geboren worden, und es schien, als wäre das Glück auf Langen eingekehrt.
Mit einem wehmütigen Seufzer ließ Phyllis den Brief sinken. Sie gönnte dem einstigen Geliebten sein Glück von ganzem Herzen. Sie trug auch keinen Groll gegen die junge Gräfin in ihrem Herzen, die den Platz eingenommen hatte, den sie sich einmal so inbrünstig ersehnt hatte.
Es war Schicksal, und alles Auflehnen war sinnlos und würde zu keinem Ziel führen.
Mittlerweile war Phyllis soweit, dass sie an Holger ohne Bitterkeit denken konnte. Sie konnte träumen und sich das Bild des Geliebten vor ihr geistiges Auge zaubern und noch einmal all die wundervollen, glücklichen Stunden an seiner Seite in Erinnerung rufen.
Aber es war seltsam. Seitdem sie das von dem Kind wusste, war es ihr, als wäre sein geliebtes Gesicht plötzlich unendlich weit von ihr entfernt, in einen grauen Nebel gehüllt.
All ihr Bemühen, es wieder so klar und deutlich vor sich zu sehen wie bisher, war erfolglos.
*
Es war zehn Uhr, als sie sich müde zur Ruhe begeben wollte.
Sie kleidete sich aus und schlüpfte in ihr Nachtgewand.
Dann trat sie noch einmal an das Fenster und atmete tief die frische Luft ein.
Sie stand reglos wie eine wundervolle Statue und hob ihr schönes verträumtes Gesicht dem Sternenhimmel entgegen.
Phyllis ahnte nicht, dass auf dem dunklen Burghof ein Mann wie angewurzelt stehengeblieben war.
Die zarte Mädchengestalt in dem duftigen leichten Nachtgewand bot einen berauschenden Anblick. Hell umschmeichelte weiches Mondlicht das verträumte Gesicht, und dem Mann war es, als hätte er das strahlende Blau der großen Augen erkennen können.
Beklommen hob ein schwerer Atemzug seine breite Brust, dann wandte er sich ab und verschwand mit harten Schritten im Park.
Leise schloss Phyllis das Fenster und wandte sich ins Zimmer zurück. Sie ahnte nicht, dass ihr Anblick etwas in dem Herzen eines einsamen Mannes zum Klingen gebracht hatte. Dass es wie ein heißer Funken in ein bisher so verhärtetes Männerherz gefallen war und dort ganz langsam zu einer steten Flamme wuchs.
*
Am nächsten Morgen ließ der Burgherr die junge Erzieherin zu sich rufen.
Phyllis war leicht beunruhigt. Bisher hatte der Baron sie noch nie rufen lassen.
War etwas geschehen, war er mit ihr nicht zufrieden?
Bei dem Gedanken stockte ihr fast der Atem. Sie blieb einen Augenblick wie gelähmt stehen und presste angstvoll die Hände gegen das wild hämmernde Herz.
Nur das nicht. Der Gedanke, die Kinder wieder verlassen zu müssen, war so unerträglich für sie, dass er sie mit jagendem Entsetzen erfüllte.
Gewaltsam riss sie sich zusammen und schalt sich selbst aus. Warum gleich das Schlimmste annehmen? Sie hatte sich doch nichts zuschulden kommen lassen. Warum sollte der Baron sie denn entlassen?
Der Baron erwartete sie bereits in seinem Arbeitszimmer. Er stand auf, als sie eintrat, und bot ihr höflich einen Stuhl an.
Erst als sie Platz genommen hatte, setzte er sich auch wieder. Er schob die Blätter, die er vor sich liegen hatte, mit einer schnellen Bewegung zurück.
»Sie werden wohl verwundert sein, dass ich Sie rufen ließ, Fräulein Uhlig«, begann er in seiner beherrschten, ruhigen Art das Gespräch.
Sie sah ihn nur an.
Nun schien er doch ein wenig nervös zu sein. Er stand auf und ging mit unruhigen Schritten um den