Viola Maybach

Fürstenkrone Box 16 – Adelsroman


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jäh, wie er nach ihr gegriffen hatte, ließ er sie auch wieder los. Wie besinnend fuhr er sich über die heiße Stirn und sah sie wie erwachend an.

      »Verzeih, ich habe zu viel getrunken«, murmelte er und wandte sich traurig und schwerfällig ab.

      Sie stand unbeweglich, obwohl alles in ihr zitterte und bebte. Aber seltsam, es war keine Empörung in ihr, nur ein wehes Gefühl, eine unerklärliche Sehnsucht, die sie zu dem Mann treiben wollte. Was ist nur los mit mir?, fragte sie sich bang und fand keine Erklärung für die peinigende Enttäuschung, die in ihr tobte, als er sie aus den Armen ließ.

      Sie wusste nur eines, dass sie sich wünschte, er würde zu ihr zurückkommen und sie wieder so besitzergreifend in seine Arme reißen, wünschte sich brennend, dass er gut und zärtlich zu ihr wäre.

      Ob dieser Mund leidenschaftlich küssen konnte?

      Als sie sich bei diesem Gedanken ertappte, schoss eine brennende Scham in ihr hoch und färbte ihr Gesicht ganz dunkel. Mit einem erstickten Laut floh sie an ihm vorbei und wollte aus dem Zimmer.

      Aber damit schien er nicht ganz einverstanden zu sein. Er fing die flüchtende Gestalt in seinen Armen auf und hielt sie mit kraftvollen Händen fest.

      »Was soll das, Phyllis?«, knurrte er leicht gereizt. »Schließlich sind wir beide doch keine dummen Kinder mehr, die Versteck miteinander spielen, nicht wahr?«

      »Was – was willst du?«, stammelte sie, vergehend aus Scham vor ihren brennenden Wünschen.

      Noch nie hatte die junge Phyllis ihre Jugend, ihr Verlangen nach Liebe und Zärtlichkeit, ihre verzweifelte Einsamkeit so stark empfunden wie in diesem Augenblick, wo die kraftvollen Männerarme sie umklammert hielten, als wollten sie sie nie mehr freigeben.

      »Was soll diese Frage, Phyllis?«, höhnte er bissig. »Bist du wirklich noch so naiv, oder tust du nur so?«

      Seine beißende Ironie traf sie wie ein Schlag. Wild bäumte sie sich auf und versuchte seinem Griff zu entkommen.

      Seine Augen wurden weit, seine Lippen spitzten sich. Leise pfiff er durch die Zähne.

      »Gib es auf, mein Herzchen. Was einmal zwischen diese Fäuste gerät, ist verloren.«

      Tränen schossen ihr in die Augen. Furcht und Hilflosigkeit spiegelte sich in ihren Zügen wider, und das brachte ihn zur Besinnung.

      Eine dunkle Röte wurde unter seiner sonnenverbrannten Haut sichtbar. Das Glühen in seinen Augen erlosch, und nun lag eine düstere Hoffnungslosigkeit in ihnen.

      Schroff gab er sie frei und stieß heiser hervor:

      »Geh, Phyllis! Es ist besser für dich, wenn du dich sofort in dein Zimmer zurückziehst.«

      Etwas in seiner Haltung erschütterte sie und spülte allen Zorn hinweg.

      Hatte sie nicht gewusst, dass sie in dem Augenblick, als sie bereit war, seine Frau zu werden, nicht nur die Mutter seiner Kinder, sondern auch seine Gattin wurde? War sie nicht bereit gewesen, ihm eine gute Frau zu sein und sich seinen Wünschen zu fügen?

      »Und du, Axel, wirst auch du jetzt schlafen gehen?«, fragte sie unsicher und verlegen.

      Er wandte sich nicht nach ihr um. Fast schien es, als hätte er ihren Anblick nicht ertragen können.

      »Ich, Kind?«, sagte er bedächtig, mit einem fremden, traurigen Klang in der Stimme. »Warum sorgst du dich um mich?«

      »Muss ich es nicht, Axel? Ich – ich bin doch nun deine Frau«, flüsterte sie.

      Er wirbelte wie von einer Sehne geschnellt herum. Wild starrte er sie an.

      »So, bist du das?«, dehnte er beißend. »Ich habe schon geglaubt, du wärest es dir nicht bewusst.«

      Diesem kalten Spott konnte sie nicht standhalten. Mit einem harten Ruck wandte sie sich überhastet ab und verließ mit einem gemurmelten Nachtgruß das Zimmer.

      Der Mann presste mit einem dumpfen Stöhnen die geballten Hände gegen die unerträglich brennenden Augen und kämpfte verzweifelt gegen den Wunsch an, der ihn in das Zimmer seiner jungen Frau treiben wollte.

      Zum erstenmal fühlte der starke Mann nicht die Kraft in sich, gegen sein heißes Sehnen anzukommen. Wie auf der Flucht vor sich selbst und seinem brennenden Verlangen stürmte er aus dem Haus und bot dem kühlen Nachtwind seine erhitzte Stirn.

      Nur langsam kehrte die alte Beherrschung zurück, und als er ins Haus ging, hatte der junge Morgen schon begonnen.

      *

      Phyllis’ Freundin hatte die Wahrheit geschrieben. Auf Schloss Langen war wirklich ein kleiner Sohn angekommen, und er war das Glück des ganzen Hauses.

      Juliane von Osterburg hatte sich sehr schnell eingelebt. Obwohl sie von allen noch für ein fröhliches Kind gehalten wurde, mussten die Schlossbewohner bald einsehen, dass ein starker Wille in der jungen Frau steckte. Energisch nahm sie die Zügel des frauenlosen Haushaltes in ihre Hände, und es dauerte nicht allzulange, da hatte sie sich Respekt und Gehorsam bei der Dienerschaft verschafft. Gwendolin aber hatte sich vom ersten Augenblick an spontan ihr angeschlossen. Unter der fröhlichen Anleitung der jungen Gräfin fand die junge Komtess plötzlich Gefallen daran, ihr zur Hand zu gehen, und aus dem bisher meist gelangweilten Mädchen, das mit seiner Zeit nichts anzufangen wusste, wurde allmählich eine tüchtige Hausfrau, die es schon nach kurzer Zeit verstand, einen Gutshaushalt selbständig zu führen.

      Holger hatte nach einer ersten Unterredung mit seiner jungen Frau beschlossen, für einige Zeit auf Reisen zu gehen.

      Juliane hatte ihn angesehen. Nichts verriet, wie sehr sie litt.

      »Tu, was du für richtig hältst, Holger, ich werde dir keine Schwierigkeiten machen«, hatte sie nach einer Weile gesagt und sich wieder ihrer Beschäftigung zugewandt.

      »Ja, ich weiß, es wird nicht leicht für dich sein. Aber du bist ja nicht allein. Du hast meine Schwester, die dich sehr gern hat, meinen Vater, der dich mehr liebt als seine eigenen Kinder.«

      »Nein, Holger, ich bin nicht allein«, kam es zurück, und er hörte nicht die ungeheure Bitterkeit aus der Stimme heraus, da er zu sehr mit sich selbst beschäftigt war.

      »Ich danke dir, Jane, du machst es mir leicht.«

      Sie sah mit einem unbeschreiblichen Blick zu ihm auf.

      »Wir wollen uns noch etwas Zeit lassen, Holger. Vielleicht hast du vergessen, wenn du wiederkommst. Meinetwegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen, ich werde keine Zeit zum Grübeln haben. Hier auf Langen ist so viel zu tun, dass meine Tage voll ausgefüllt sind.«

      Er wehrte unmutig ab.

      »Ich mag es nicht, wenn du hier den ganzen Tag herumrennst und dich aufreibst, Jane. Schone dich, ich bitte dich. Schließlich ist doch Personal da, das die Arbeit verrichten kann.«

      Verständnislos sah sie ihn an.

      »Das ist doch nicht dein Ernst, Holger. Glaubst du wirklich, ich könnte mich den ganzen Tag hier hinsetzen und meine Zeit mit Nichtstun totschlagen?«

      Sie schüttelte den Kopf, ein bitteres Lächeln verzog ihren sonst so schönen Mund.

      »Arbeit hat noch nie geschadet, Holger.« Sie streckte ihre schlanken und doch kräftigen Arme aus. »Sie können etwas leisten und sind gewohnt, zu schaffen.«

      »Weißt du, dass ich mir Langen ohne deine Gegenwart nicht mehr vorstellen kann, Jane?«, sagte er plötzlich mit einem warmen Blick.

      Sie errötete jäh. Eine heiße Freude überspülte ihr Herz, sodass sie eine Weile brauchte, um mit dem aufkommenden Gefühl fertig zu werden.

      »Das war sehr hübsch, Holger, ich danke dir«, murmelte sie und wandte sich hastig ab.

      Nachdenklich blickte der junge Graf hinter ihr her, und er wünschte sich von ganzem Herzen, seine unglückliche Liebe vergessen zu können, damit er mit seiner jungen Frau ein neues Leben beginnen konnte.