Ross Welford

Das Kind vom anderen Stern


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Flasche.

      »Habt ihr … habt ihr gerade …?«

      Mit großen, unschuldigen Augen sahen Iggy und ich erst uns und dann Nadia an.

      »Was?«, fragten wir im Chor. Nadia wendete sich wieder ab.

      An ihrem Nacken konnte ich einen winzigen Brandfleck von Iggys »Todesstrahl« ausmachen. Und ich konnte erkennen, dass sie knallrot geworden war, denn alle im Bus hatten sich bei ihrem Aufschrei zu ihr umgedreht, auch ein Junge namens Damien aus der Neunten. Wir wussten alle, wie sehr sie für ihn schwärmte.

      Mit einem fiesen Grinsen machte sich Iggy aufs Neue ans Werk, nahm die Brille ab und brachte sie in Position, doch in dem Moment wurde der Motor wieder angelassen. Bei der Vibration war es ihm unmöglich, den Todesstrahl ruhig zu halten.

      So leicht wollte Iggy allerdings nicht aufgeben. Zwanzig Minuten später hielten wir vorm Schultor. Der Motor wurde ausgeschaltet und alle erhoben sich von den Plätzen.

      »Nicht so eilig!«, brüllte Maureen, die Busfahrerin, die die Türen immer erst öffnete, wenn sie ihren Bogen auf dem Klemmbrett ausgefüllt hatte.

      Iggy nutzte die Gunst der Stunde, riss sich die Brille von der Nase und lenkte den Todesstrahl auf Nadias Kniekehle.

      Nadia stand ganz still, der Lichtpunkt war spitz und grell. Sie unterhielt sich gerade mit Damien Sonstwie und warf das Haar zurück, als sie plötzlich laut aufkreischte.

      »Auuuuuuu!« Die Bücher, die sie im Arm hielt, fielen zu Boden. Alle starrten sie an, als sie sich runterbeugte und die schmerzende Kniekehle rieb.

      Dabei rammte sie Damien ihren Kopf in die Brust, sodass er in die anderen hinter sich stolperte, woraufhin Maureen losbrüllte: »Jetzt reißt euch doch mal zusammen, Leute!«

      Mir gelang es, keine Miene zu verziehen, doch Iggy schüttete sich aus vor Lachen.

      Als wir dann irgendwann den Bus verlassen durften, hörte ich, wie Damien zu seinen Kumpels sagte: »Die hat ja echt ’nen Hau!« Und zwar so laut, dass Nadia es hören musste.

      Tammy lief neben mir. »Das war ganz schön gemein von euch«, sagte sie, aber auch sie konnte sich das Grinsen kaum verkneifen.

      »Ich habe damit nichts zu tun. Das war Iggys Todesstrahl.«

      Tammy schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. »Die rächt sich. Wart’s ab.«

      Da musste Iggy nicht lange warten.

      12. Kapitel

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      In den Pausen hängt Iggy immer mit ein paar älteren Jungs rum, aber besonders zu mögen scheinen sie ihn nicht, denn einmal, als Iggy nicht dabei war, haben sie sich über seine Art zu reden lustig gemacht. Als ich nach dem Mittagessen über den Schulspielplatz geschlendert bin, hatte sich in der hintersten Ecke eine Gruppe aus Schülern versammelt, zumeist Jungs. Darunter auch einer oder zwei von Iggys sogenannten Freunden.

      Iggy rief: »Verehrte Damen und Herren, darf ich vorstellen? Der Todesstrahl!«

      Es folgte eine lange Pause.

      Dann sagte jemand: »Nun mach schon!«

      Und kurz darauf ein anderer: »Hey, guckt mal!«

      Beifallsrufe erklangen, eine Rauchsäule stieg empor und alle stoben davon. Ich sah, wie Iggy sich die Brille wieder aufsetzte, und da wusste ich, was passiert war. Der Inhalt des Drahtmülleimers brannte lichterloh. Keine Ahnung, warum die Flammen gleich so in die Höhe schossen, aber durch die Hitze war wohl alles trocken wie Zunder.

      Schon bald züngelten die Flammen so hoch, dass das Anschlagbrett aus Holz, von dem bereits die Farbe abblätterte, Feuer fing.

      Nix wie weg hier, dachte ich und hatte mich schon erfolgreich unter die anderen Schüler auf dem Schulhof gemischt, als Mr Springham mit einem Feuerlöscher in der Hand im Mordstempo zum Mülleimer rannte.

      »WER WAR DAS? WER AUCH IMMER DAS GETAN HAT, WIRD DAFÜR BÜSSEN!«

      Nadia hat dann ihre Rachegelüste gestillt, indem sie überall rumerzählt hat, wie Iggy mit seinem Todesstrahl den Mülleimer in Brand gesteckt hat. Bald kam es dann auch den Lehrern zu Ohren. Daraufhin wurde Iggy mal wieder vom Unterricht suspendiert und die anderen, die zugesehen und ihn angefeuert hatten, mussten nachsitzen und bekamen Briefe nach Hause. Natürlich waren alle stinksauer, wodurch Iggy nicht unbedingt an Beliebtheit gewann.

      Und Iggy selbst? Den habe ich danach kaum noch gesehen, obwohl wir im selben Dorf wohnen. Beste Freunde waren wir ja noch nie und nach der Sache haben Mam und Dad den Kontakt zu ihm verständlicherweise auch nicht gefördert.

      Kurz vor Weihnachten trafen Tammy und ich ihn dann unten am See. Da hatte er ein Huhn dabei. Ein lebendiges!

      Tammy hatte beschlossen, dass es das Steinweitwurf-Finale dieses Jahres werden würde. (Fünf Runden, der Verlierer muss dem Gewinner einen Muffin am Schulkiosk kaufen.) Nun stand es 2:2 und alles hing von meinem letzten Wurf ab. Ich holte weit aus, diesmal wollte ich sie unbedingt schlagen, doch mitten im Wurf rief jemand: »Suzy!« Das brachte mich total raus. Noch ehe der Stein im Wasser landete, wusste ich, dass ich verloren hatte. Wütend fuhr ich herum, um zu sehen, wer gerufen hatte. Tammy bog sich schon vor Lachen.

      »Wer war …«, setzte ich an. Da tauchte Iggy am Ufer auf, im Arm ein rotbraunes Huhn. Er setzte es ab und entfernte sich ein paar Schritte, während das Huhn geduldig wie ein Hund wartete. Dann rief Iggy: »Suzy, komm!« Und daraufhin trippelte es doch tatsächlich zu ihm!

      Tammy machte: »Ohhhhh!«, als wäre es ein süßes Kätzchen. Iggy bemerkte uns und kam rüber. Ich war noch immer sauer, dass ich seinetwegen das Spiel verloren hatte, und schnalzte leise mit der Zunge.

      »Hühner sind schlauer, als man denkt«, sagte Iggy. »Wusstet ihr das schon? Suzy, sitz!«

      Das Huhn blieb stehen und ließ sich nieder. Tammy schnappte erstaunt nach Luft und klatschte einmal in die Hände.

      »Wo hast du das denn her?«, fragte ich argwöhnisch.

      »Die, es ist eine Sie«, verbesserte mich Iggy. »Mein Vater meint, ich sollte mich um was kümmern. Damit ich lerne, ›Verantwortung zu übernehmen‹. Während seiner Entziehungskur hat er sich um Hühner gekümmert.« Dabei malte Iggy Anführungsstriche in die Luft. Für seinen Vater schämte er sich nicht die Bohne. »Als ob! Jedenfalls habe ich sie vor Tommy Natrass gerettet, der sie nicht wollte, weil sie nur winzig kleine Eier legt. Stimmt’s, Suzy?«

      Als ihr Name fiel, schaute Suzy auf, als wäre sie ein Hund. Tammy und ich lachten beide. Tammy drückte meinen Arm und quiekte: »Wie niiiedlich!« Und auf dem Nachhauseweg summte sie ihr Lieblingslied Chicken Hop, diesen Oldie von einer Sängerin namens Felina, die schon lange tot ist. Nachmittags hatte Mam Hühnerpastete zum Tee gemacht. Tammy meinte, sie sei nicht hungrig.

      So, das wär’s zu Iggy und Suzy. Bei unserer nächsten Begegnung habe ich ja dann Iggys Mutter fast die Finger mit dem Klavierdeckel gebrochen.

      13. Kapitel

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      Es waren zwei Stunden vergangen, seitdem ich mit der Nachricht von Tammys Verschwinden hereingeplatzt war, und inzwischen wimmelte es im Pub von Leuten, die aufgeregt miteinander redeten oder telefonierten. Nach und nach trudelten auch die Suchtrupps ein, die alle Straßen nach Norden oder Süden und überall sonst in der Umgebung abgefahren waren, stets mit einem traurigen Kopfschütteln. Mam drückte mich fest an sich und dann musste ich ihr die ganze Geschichte noch mal von vorn erzählen.

      Kurz darauf hielt ein Streifenwagen vorm Pub und zwei Beamte stiegen aus. Ich hatte schon gehört, dass die kleine Polizeiwache in Bellingham, dreißig Kilometer entfernt, über Weihnachten geschlossen