die Suche oder versuchte es zumindest, denn es ging trotzdem ziemlich chaotisch zu. Ich steckte mittendrin, ohne was zu tun zu haben. Gran zog sich die Laufschuhe an und setzte sich eine Stirnlampe auf. Sie wollte ihre übliche Strecke durch den Wald ablaufen, wo keine Autos durchkamen. In all dem Durcheinander sah ich zu Iggy hinüber, der mit gerunzelter Stirn auf dem Klavierhocker saß und seine Mütze in den Händen knetete. Cora stand neben ihm und wirkte mit ihrer rot-weißen Weihnachtsmannmütze irgendwie verloren.
»Mel«, sagte Dad zu Mam, »warum wartest du nicht einfach zu Hause.«
»Auf keinen Fall!«, rief Mam empört. »Ich komme mit und suche nach meiner Tochter!«
Als Nächstes sah Dad mich an. »Macht es dir was aus hierzubleiben? Falls sie zurückkommt?« Dann tauschte er einen Blick mit Cora Fox-Templeton, der wohl bedeuten sollte, dass sie nun die verantwortliche Erwachsene hier war.
Als sie nickte, bimmelte das Glöckchen an ihrer Mütze.
»Haltet eure Handys bereit. Verlasst den Pub nicht«, sagte Dad und zog sich eine Jacke über die Soldatenuniform. »Wir geben euch Bescheid, wenn wir sie gefunden haben.«
Wenn. Das klang gut.
Und so wartete ich mit Iggy, seiner Mutter und seinem eigenartigen Huhn in der Sofaecke im Pub, während die Suchtrupps ausschwärmten.
Betreten schwiegen wir. Ich kannte die beiden ja kaum.
Schließlich sagte Iggy: »Meinen Vater haben sie auch gefunden.«
Fragend sah ich ihn an.
»Als ich klein war, ist er auch mal verschwunden. Die Polizei hat ihn zwei Wochen später in London gefunden, da hat er auf der Straße gelebt. Also …«
»Geht’s … geht’s ihm gut?«, fragte ich.
Seine Mutter sah abwesend aus dem Fenster.
Iggy nickte. »Ja. Er hat jetzt eine neue Familie. Aber nach Weihnachten kommt er mich besuchen, stimmt’s, Cora?«
Jetzt sah Cora ihn an. »Er will es versuchen, Iggy. New York ist nicht eben um die Ecke und du kennst ihn ja.«
Iggy sackte regelrecht in sich zusammen. Verlegen zog ich mein Handy raus und rief Tammy zum x-ten Mal an.
»Hallo, hier ist Tammy. Ich bin nicht da, hinterlasst mir eine Nachricht!«
Mir gingen die schlimmsten Gedanken durch den Kopf. Tammy ist entführt worden. Ermordet …
Aber wer sollte es gewesen sein? Und wie?
Deshalb erzählte ich Iggy und seiner Mutter die ganze Geschichte noch mal. In aller Ausführlichkeit berichtete ich von dem See, dem Summen und der Nebelsäule …
Sie hörten zu und nickten nachdenklich. Dann klingelte mein Handy. Es war Mam. Ich versuchte, mir keine großen Hoffnungen zu machen. Doch genau wie vorhin, als ich mir vorstellte, dass Tammy aus dem Wald auf mich zukommen würde, wünschte ich mir sehnlichst, Mam sagen zu hören: »Wir haben sie gefunden.«
Aber stattdessen sagte sie: »Nichts. Wir machen uns auf den Rückweg. Die Polizei kommt vorbei, bestimmt will sie mit dir sprechen, Ethan.«
Iggy kriegte auch ohne Lautsprecher alles mit und zuckte bei dem Stichwort »Polizei« merklich zusammen. Ich hatte schon vorher gewusst, dass es ernst war, doch jetzt hatte ich Gewissheit.
11. Kapitel
Iggy Fox-Templeton wird in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielen. Ich hätte selbst nie damit gerechnet, dass wir mal so gute Freunde werden würden. Oder dass es überhaupt eine gute Idee sein könnte, sich mit ihm anzufreunden.
Iggy ist nämlich der Junge, der die Schule in Brand gesteckt hat. Obwohl das gar nicht stimmt, denn ich war zufällig dabei. Bloß der Junge, der den Mülleimer in Brand gesteckt hat klingt einfach nicht so toll.
Mam und Dad finden, dass Iggy kein guter Umgang ist, weil er besagte Tüte Chips aus dem Lagerhaus geklaut hat.
»Und dann nennt er seine Mutter auch noch Cora«, sagte Dad abfällig. »Durchgeknallte Hippietante trifft es wohl eher!« Das ging Mam aber zu weit und sie bat ihn, nicht so gemein zu sein.
Ich bin zwar erst seit September hier auf der Schule, aber Iggy war fast nie da, entweder schwänzte er oder er war vom Unterricht suspendiert, weil er mal wieder was ausgefressen hatte.
Und neulich hat er dann den Mülleimer auf einem der Schulspielplätze abgefackelt.
So schlimm war es eigentlich gar nicht. Niemand ist verletzt worden, wobei das natürlich hätte passieren können. Und Iggy wäre sogar ungeschoren davongekommen, wenn Nadia Kowalski ihn nicht verpetzt hätte. Mit der hatte er es sich kurz zuvor gründlich verscherzt und sie war auf Rache aus.
Es fing alles im Physikunterricht an. Unser Lehrer Mr Springham sprach über Lichtbrechung. Oder Spiegelung. Vielleicht auch beides, so genau erinnere ich mich nicht mehr. Allerdings weiß ich noch, dass Iggy nach vorn gerückt war und fasziniert beobachtete, wie Mr Springham einen Lichtstrahl mithilfe einer Wasserflasche auf einen einzelnen Punkt ablenkte. Iggy schrieb sogar mit, was ich sonst bei ihm noch nie erlebt hatte.
Am nächsten Tag saß er hinter mir im Schulbus.
Vor mir war Tammy mit Nadia Kowalski. Außer uns fuhren noch sechs weitere Schüler regelmäßig mit, alle aus verschiedenen Jahrgangsstufen, aber die kannte ich kaum. Manche unterhielten sich, andere hörten Musik oder spielten auf ihren Handys herum.
»Grüß dich, Tait.« Iggy beugte sich von hinten über die Lehne. Das war im Oktober, ein paar Monate nach unserem Umzug nach Kielder, da kannte ich ihn erst flüchtig. Außer Tammy war er im Dorf der Einzige in meinem Alter. Er ist sogar ein Jahr älter als Tammy und ich, aber weil er in der Schule so häufig gefehlt hat, geht er noch in die siebte Klasse.
»Willst du mal meinen Todesstrahl sehen?«, flüsterte er mit Seitenblick auf Tammy und Nadia.
Ohne meine Antwort abzuwarten (ich hätte ohnehin Ja gesagt, wer würde nicht gern einen Todesstrahl sehen, was immer sich dahinter verbarg?), drängte er sich an mir vorbei an den Fensterplatz.
»Versprichst du mir, dass du dichthältst?«, fragte er.
Ich zuckte die Achseln. »Klar.«
Dann nahm Iggy die Brille ab. »Warte, bis wir anhalten.«
An dem Tag war es echt warm, es fühlte sich mehr wie August als Oktober an. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel. Kurz darauf hielt der Bus an einem Feldweg, da würden wir jetzt eine Weile stehen, denn das Mädchen, das da wohnte, kam immer zu spät. Die Fahrerin stellte den Motor ab und alles wurde still. Iggy wühlte in seiner Tasche herum und förderte eine kleine, runde Glasflasche zutage, die genauso aussah wie die, mit der Mr Springham die Lichtbrechung demonstriert hatte.
»Hey, ist das …«, setzte ich an.
»Schhhh. Habe ich mir nur ausgeliehen. Jetzt pass auf.«
Er hielt die Flasche ans Fenster, nahm die Brille von der Nase und bewegte sie vor der Flasche auf und ab.
Die Sonne schien durch die Flasche und die dicken Brillengläser auf den Sitz vor uns und bildete da ein Lichtdreieck, an dessen Spitze ein heller Kreis thronte. Iggy drehte die Brille ein wenig, sodass sich der Kreis zu einem scharfen Lichtpunkt zusammenzog, den Iggy sogar bewegen konnte. Ganz langsam ließ er den Punkt die Lehne hinaufwandern, bis er auf Nadia Kowalskis Nacken ruhte.
»Das ist elementare Physik«, flüsterte Iggy, als wäre das sein Spezialgebiet. »Die Linse meiner Brille bündelt die Sonnenstrahlen zu einem Brennpunkt. Pass auf!«
Es dauerte nicht lange. Sekunden später schon schrie Nadia »Au!« und ihre Hand schoss in den Nacken. Nachdem sie zu Tammy gesehen hatte, drehte sie